Deutsche Texte Philippe Boudon

Lehre ans dem Versuch Le Corbusiers in Pessac

Diese Studie von Philippe Boudon über den Versuch Le Corbusiers zeigt einerseits die Vielseitigkeit und die Schwierigkeit einer humanistischen Architektur und führt andererseits zu einer neuen Haltung des Architekten gegenüber seinem Werk. Wenn zwischen dem „ Projekt “ des Architekten und dem Experimentierungsergebnis der Menschen und der Zeit eine ganze Reihe von Unbekannten in Erscheinung treten, so wird man durch die Prozeßanalyse dieses Experimentierens die Bekannten eines neuen Städtebaues, einer neuen, wirklich humanistischen Architektur feststellen können.

In Pessac wurde das Werk Le Corbusiers falsch aufgenommen. Es wurde umgewandelt, abgeändert und neu angepaßt. Ph. Boudon hat mit Hilfe genauer Beobachtung und direkter Untersuchung versucht, das Wie und Warum dieser „ Wieder-Schöpfung “ des Werkes durch die Benützer zu ergründen. Dies ist der Grund für den Reichtum an Analyseelementen und positiven Folgerungen dieser ausgezeichneten Studie.

Ein Architekt befaßt sich mit dem Werk eines anderen Architekten — vielleicht besteht hierin der Anfang des Humanismus in der Architektur.

Die im vorliegenden Artikel behandelte architektonisch-soziologische Studie betrifft ein von Le Corbusier 1925 in Pessac in der Nähe von Bordeaux gebautes Wohnviertel. Die von den Bewohnern in vierzig Jahren vorgenommenen Veränderungen und Umformungen übersteigen, was man an unvermeidbaren Anpassungen oder Restaurationen hätte erwarten können. Zu einem Grad, daß man versucht ist, darin, über alle durch ein normales Altern verursachten Änderungen hinaus, einem wirklichen Konflikt zwischen den Absichten des Architekten und den Reaktionen der Benutzer, eine Konfrontation von Leben und Architektur, zu sehen. Le Corbusier sagte im Hinblick auf Pessac: „ Wissen Sie, das Leben hat immer recht, der Architekt unrecht. “ Pessac bildet auf Grund des Verhältnisses von Leben und Architektur ein wirklich menschliches Problem.

Das Viertel war zunächst Gegenstand lebhafter Reaktionen, die in zahlreichen Spottnamen zum Ausdruck kamen: „ Marokkanische Stadt „ Sultanviertel “, „Frugès-Zuckerwürfel “ (eine Anspielung auf den Kommanditindustriellen einer Zuckerraffinerie, Frugès). Mehrere Jahre lang weigerte man sich, fließendes Wasser in das Viertel zu verlegen. Der Ausgangskontext war nicht beschaffen, die ersten schon durch eine so neue Architektur beunruhigten Bewohner zu versichern. Die Häuser fanden nur schwer ihre Käufer, die ersten Bewohner kamen oft aus sozial sehr niedrigen Schichten und zahlreichen unter ihnen wurde wieder gekündigt, da sie ihre obschon bescheidene Jahresmiete nicht bezahlt hatten. Auch Mängel in der Instandhaltung waren von Anfang an folgenschwer und führten auf ansteckende Weise den Verfall des Komplexes mit sich. An diesem Sachverhalt trägt jedoch von vornherein die Reaktion gegen den sozialen Ruf eines beinahe tabu gewordenen Viertels zweifelsohne größere Schuld als seine Architektur. Denn ihr gegenüber beweisen tatsächliches Verhalten und geäußerte Ansichten sehr verschiedenartige Reaktionen, die nicht immer einen Widerspruch ausschließen.

Lucio Costa

Das Interesse an einer vertieften Studie lag darin, zu sehen, daß die erstaunlichen an der Architektur vorgenommenen Veränderungen ohne Zweifel eine eher positive als negative Folge der ursprünglichen architektonischen Konzeption darstellen. Räumliche and konstruktive Auffassung („ breite Fenster ", „ Dachterrassen ", „ Pfeiler ", „ freie Fläche ", „ Freifassade ", Charakteristika Le Corbusiers) haben den Bewohnern eine Einrichtung ihrer Häuser mit vielfachen kombinatorischen Möglichkeiten gestattet. Eine befragte Person legt diese Erscheinung als eine Möglichkeit aus, neue Wohnformen zu finden: „ Was mir interessant erscheint, ist eine gewisse Ausgangsstruktur mit der Möglichkeit, das Haus seinen Bewohnern anzupassen und nicht allein die Bewohner an das Haus... “ und es ist auffallend über eine nach Standardplan gebaute Gesamtheit folgendes Urteil zu hören: „ Diese Häuser sind leicht umformbar und ich glaube, daß es ebenso viele verschiedene Stile wie Häuser geben könnte...

Zur Freiheit in der Einrichtung kommt die Tatsache, daß die Funktionen nicht auf absolute Weise auf den Raum abgestimmt sind und eine Wahl erlauben: so kann der Ort — der noch nicht einmal ein „ Zimmer “ ist und dem Le Corbusier den äußerst vagen Namen „ Sprechzimmer “ gibt — von Fall zu Fall als Eingangshalle, Büro, Zimmer, Salon oder, wie es eine der Bewohnerinnen tat, Frisiersalon benutzt werden.

Ebenso konnten die Garagen — und diese Garagen in 1925 für Arbeiter gebauten Häusern konnten als zukünftigen Eventualitäten offenstehender Raum betrachtet werden — als Zimmer, Küchen, Werkstätten oder Büros dienen.

Es ist bekannt, welche Bedeutung die Beschäftigung mit einer Synthese von Individuum und Kollektiv auf dem Gebiet der Wohnviertel für die Konzeption Le Corbusiers gehabt hat. Sie wird in den Wohneinheiten — in denen trotz allem das gesamte Kollektiv ausschlaggebend ist — eine andersartige Form annehmen als die von Pessac, das sich mehr der „ Gartenstadt “ nähert. Der Einfluß Fragès scheint bedeutsam gewesen zu sein und man verdankt die endgültige Form des Projektes ohne Zweifel der Dialektik zwischen seinem Ziel, „ streng individiellen Häusern ", und Le Corbusiers, der zu jener Zeit, 1925, eben eine Lösung in Form von Villen-Wohnhäusern, mit Hervorhebung der Kollektivauffassung, vorschlägt. Dasselbe Streben nach einer Synthese von kollektiver Notwendigkeit und der Erhaltung der Individualität bildet in Pessac das Fundament der städtebaulich-architektonischen Konzeption auf Grund des Standardisierungsproblemes: „ Die Standarte sind Buchstaben, mit diesen Buchstaben müßt ihr die Eigennamen eurer zukünftigen Besitzer schreiben Technische Notwendigkeit oder ideologischer Wille, die Standardisierung läßt eine andere in der Studie enthaltene Zweideutigkeit hervortreten: die individuelle materielle und physische Isolierung ist eine Sache, die Bestätigung dieser Individualität gegenüber der Gemeinschaft eine andere. Im ersten Punkte zeigt die Studie, daß das Viertel durch die Anordnung der Häuser gleichzeitig den gesellschaftlichen Kontakt und die individuelle Abgeschiedenheit begünstigt: „ in diesem Viertel herrscht eine gewisse Dichtheit, ohne daß man sich deswegen eingepfercht fühlt... ", „ man hat wirklich den Eindruck, ist man erst einmal zuhause, sich zuhause zu fühlen...

Im zweiten Punkte erweist es sich, im Gegensatz zu den gehegten Erwartungen und sieht man die Veränderungen als eine Reaktion gegen Standardisierung and Ähnlichkeit, daß die am meisten umgestalteten Häuser nicht die größte Ähnlichkeit aufweisen, sondern auf Grund ihrer Lage besondere Eigenschaften besaßen, die ihnen von Anfang an eine gewisse Individualität verliehen.

Die Veränderungen, anstatt eine Reaktion gegen die Uniformität darzustellen, sind also gerade die Übersetzung eines Individualitätsbewußtseins, das die Bewohner über die Standardisierung tatsächlich entdeckt haben. Diesbezüglich kann Pessac nicht mehr als ein Mißerfolg betrachtet werden, da die Bewohner darin eine Individualität bemerken und ihr Ausdruck geben konnten, was sie taten, indem sie ihre Eigennamen in ihrer Schreibweise niederlegten und nicht „ auf eine gewisse, Le Corbusier eigene, Weise ".

Diese Personifizierung wäre wahrscheinlich nicht eingetreten, hätte die Konzeption nicht Individualität besessen. Für Le Corbusier war Pessac eine Niederlage... aber seien wir versichert, die daraus gezogene Lehre war nicht ohne Einfluß auf seine späteren Konzeptionen, die die Rangordnung von Einzelnem und Gemeinschaft umgekehrt erscheinen lassen.

Schließlich wird ersichtlich, daß wenn ein Kontaktverlust zwischen der architektonischen Sprache Le Corbusiers und der der Bewohner existiert — und genau das wollte ersterer ausdrücken, scheint aber bei letzteren keinerlei Widerhall gefunden zu haben — so gibt es auch keinen vollständigen Zusammenhang weder beim Architekten, zwischen seinen Absichten und Handlungen, noch bei den Bewohnern, zwischen mündlich ausgedrückten Reaktionen und tatsächlichen Verhalten. Und die Dinge sprechen für sich selbst, die Beobachtung läßt hinter der Verschiebung der Ausdrucksweisen eine Übereinstimmung zwischen den Tatsachen, deren Zusammenhang gerade aus der dem Verwandlungsspiel der Bewohner und dem Auffassungsspiel des Architekten gemeinsamen Kombination hervorzigehen scheint, hervortreten. Darin hat sich die von Le Corbusier in Pessac vorgeschlagene Spielregel als fruchtbar und reich an Möglichkeiten erwiesen.

Im derzeitigen Kontext gewisser architektonischer Bestrebungen, die darauf ausgehen, das Problem der architektonischen Einrichtungsfreiheit der Benutzer zu stellen, kann die Erfahrung von Pessac eine interessante Lehre beisteuern, zumindest auf dem Gebiet der Wohnung. Um so mehr als sich die im allgemeinen erstrebte Geschmeidigkeit, Leichtigkeit und Beweglichkeit sehr wohl nicht an ein Soliditätsbedürfnis, ohne Zweifel korrelativ zu einer gewissen Verwurzelung, die in Pessac klar zu Tage getreten ist, anpassen kann. Sie zeigt vor allem, daß, wie groß auch immer die den Bewohnern gegebene Freiheit sei, diese notwendig der vom Architekten, der also die Verantwortung für sie trägt, auferlegten Regel folgt.

Der Städtebauer verteidigt seine Hauptstadt

Brasilien ist nicht eine grundlose Gebärde persönlicher oder politischer Eitelkeit nach Art der Renaissance, sondern die Krönung einer großen gemeinschaftlichen Anstrengung hinsichtlich der nationalen Entwicklung — Eisenindustrie, Petroleum, Dämme, Autobahnen, Schiffswerften, es entspricht also einem Schlußstein und

zeugt, durch die Eigentümlichkeit seiner Form und seiner architektonischen Ausdrucksweise, von der intellektuellen Reife des Volkes, das es erdacht hat. Ein Volk, das sich dem Aufbau eines neuen Brasilien geweiht hat, sich entschlossen der Zukunft zugewendet hat, und Herr seines Schicksals werden wollte. So haben also

die Brasilianer, in tausend Meter Höhe und tausend Kilometer entfernt von Rio, das vor drei Jahren seine vierte Jahrhundertfeier hatte, trotz ihrem Rufe, faul zu sein, in drei Jahren ihre neue Hauptstadt aufgebaut.

Daß es in einer so außergewöhnlich kurzen Zeitspanne erbaut wurde, ist, weil es unbedingt

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gebaut werden mußte, und zwar trotz aller Verwaltungs- und Regierungswechsel. Und der Beweis seiner guten Konstitution ist, daß es während seiner 7 jährigen Existenz fünf Präsidenten, einem Dutzend Präfekten und unvorhergesehenen politischen und militärischen Vorfällen standgehalten hat.

Es ist also normal, daß Brasilia auch seine Probleme hat, Probleme die im Grunde genommen die Widersprüche und Probleme des Landes selbst sind. Land, das in der Entwicklung steht und wo die noch frische Tradition einer sklavischen Bodenwirtschaft und einer verspäteten, planlosen Industrialisierung noch die hartnäckige Spur des Elends zeigt. Die einfache Verlegung der Haupstadt alleine hätte in der Tat diese gründlichen Widersprüche nicht aus dem Wege räumen können, umso mehr da Finanzkräfte von dem bisherigen Zustand „ chronischer Anomalie “ profitierten. Ich werde mich dennoch bemühen, allein die Idee der Stadt Brasilia zu rechtfertigen, denn die Wahrheit ist, daß es, trotz seinen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen existiert, und zwar an einem Ort, wo vor Jahren nur Wüste und Einsamkeit herrschte.

Die Wahrheit ist, daß ihm heute schon Autobahnen zugeführt werden, die von den äußersten Punkte des Landes kommen ( Rio Grande im Süden und Pernambuco im Norden). Die Wahrheit ist, daß längs dieser neuen Straßen das Leben wächst und gedeiht. Die Wahrheit ist, daß sich seine Bewohner dem neuen Lebensstyl anpassen und die Kinder dort glücklich sind.

Die Wahrheit ist, daß selbst diejenigen, die vorher in so schlechten Verhältnissen lebten, in seiner Peripherie jetzt besser daran sind. Die Wahrheit ist, daß seine ziemlich abstrakte Architektur sich auf ganz natürliche Art in das tägliche Leben einfügt, was der Stadt ihre Eigentümlichkeit und ihren Charme verleiht.

Die Wahrheit ist, daß der Aufbau der Stadt dazu beigetragen hat, die politische Krise zu dämpfen während die Wirschafts- und Finanzkrise sich so oder so ereignet hätte. Die Wahrheit ist, schlußendlich, daß Brasilia wirklich Hauptstadt ist, und nicht eine Provinzstadt, denn durch seinen Maßstab und durch seinen Ehrgeiz entspricht es schon, kaum geboren, und trotz all seinen Schwächen, der Grösse und dem Schicksal seines Landes.

Übrigens wurde es nach drei verschiedenen Maßstäben erbaut. Der gesellschaftliche, der tägliche, der herdenmäßige Maßstab. Das Spiel dieser drei Maßstäbe gibt der Stadt ihren eigenen unterschiedlichen Charakter. Momentan existiert diese dritte Stufe die den Gesellschaftsund Freizeitszentren entspricht, noch nicht.

Dieses Zentrum besteht aus zwei großen

Alexandre Persitz

das Andenken der schönen, geschickt angeordneten Perspektiven aus Paris zu wahren.

Normal zu bauen und zu organisieren heißt Verhältnisse zu schaffen damit die Stadt wird, die Zeit und der Überraschungseffekt tun ihr übriges. Während in Brasilia es sich darum handelte, sich den Ort zunutzen zu machen und ihm eine Stadtstruktur zu geben, die in sehr kurzer Zeit die Entstehung einer Haupstadt bewirkt. Im Gegensatz zu den Städten die sich der Landschaft anpassen, den wüstenähnlichen Savannen, einem riesigen weiten Himmel ausgesetzt, wie auf dem Meer, hat sich hier die Landschaft der Stadt angepaßt.

Wenn es sich auch vorläufig um eine inselgruppenförmige Stadt handelt, das Zentrum existiert noch nicht und es hat überall leere Flächen, so haben doch alle Brasilianer, auch die der alten Hauptstädte Rio und San Paulos, das Gefühl, wenn sie ankommen, hier wirklich in ihrer Hauptstadt zu sein.

Was sein architektonisches Aussehen anbelangt, so folgt Brasilia einem Idealbegriff plastischer Reinheit wo eine strenge und schnörkellose Eleganz immer gegenwärtig ist. Obwohl es sich um eine freie formelle Auffassung handelt, und in diesem Sinne derjenigen des bewundernswerten Nervi widerspricht, und obwohl einige Kritiker wie zum Beispiel Zevi, mehr oder weniger vorgefaßte Einschränkungen hegten, entspricht Brasilia ebenso durch seine Planung wie durch seine Architektur der brasilianischen Realität und seinem Gemüt und stellt daher einen vollwertigen einheimischen Beitrag dar, trotz der französischen intellektuellen Abstammung.

Der Platz der drei Mächte, der nach Art der Concorde offen daliegt, ist der einzige zeitgenössische Platz, der den Traditionen würdig ist.

Vor drei Jahren, als die Stadt noch keine Grünflächen hatte, bezeugte die Direktorin des berühmten Museums des Carrosses in Lissabonne: Brasilia war für mich ein großes Erlebnis. Zuerst ein Schock: die brennende Sonne, die rote Erde, keine Vegetation — ein Wald geometrischer Formen: eine Gespensterstadt!

Aber dann begann ich seine Schmucklosigkeit zu verstehen und ich fühlte die ruhige Stimmung die diese Stadt ausstrahlt und die wirklich diejenige ist die, der moderne Mensch heute braucht um sich selbst zu finden. Brasilia ist eine Läuterung des menschlichen Lebens wie wir es in den meisten unserer heutigen Städte leben. Es ist eine Stadt die so ist, wie der Mensch sein sollte — monumental, menschlich, einfach und grandios, asketisch in der Reinheit seiner Formen, die bis auf das Nötigste vermindert wurden.

Es ist eine mystische Stadt in ihrer Unbefangenheit und Freiheit.

Ton angibt, Werke und Raumbegriffe erklärt und rechtfertigt, ihnen die Unnötigkeit einer reinen Àstethik abspricht die ja eigentlich nichts anderes als ein gereizter individualistischer Ausdruck eines Künstlers ist, wenn sie auch noch so schön ist.

Doch ist der Humanismus, den die wenigen Visionäre besitzen, —- Tony Garnier, Wright, Le Corbusier... — erst eine Abstraktion und existiert, wenn sie ihre Werke ausführen, weder in ihren Gewohnheiten noch in ihren Tätigkeitsmitteln. Jeder dieser Architekten hat versucht alleine eine globale Synthese zu verwirklichen. Le Corbusier war der erste der fühlte, daß die Aufgabe über die Kräfte eines einzelnen Mannes geht, und daß kein menschliches Gehirn, sei es auch noch so genial, im Stande ist, heutzutage das Stadtphänomen zu meistern.

Eine humanistische Architektur erklären zu wollen, heißt, zu versuchen, die Prinzipien einer Raumorganisation freizumachen, so daß der Mensch seinen Idealen näherkommt. Aber so daß ihn auch nichts daran hindert, sich zu entwickeln.

Das neue Phänomen der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ist die unzweifelhafte Beschleunigung aller Entwicklungen auf allen Gebieten,

in solchen Ausmaßen, daß man beobachtet hat, daß die revolutionären Phasen immer weniger weit auseinander liegen und andauernd das schon Erworbene wieder in Frage stellen. Diese Beschleunigung ist ein entscheidender Faktor mit dem die Architektur in einer ganz nahen Zukunft rechnen muß. Die Dauerhaftigkeit, die während Jahrhunderten die Hauptaufgabe der Architektur war, ist heute ein Hindernis, eine Fessel für die Schöpfung. Der Nachwelt einen Beweis des Genies unserer Zeit zu hinterlassen, ist ein nicht mehr annehmbares Ziel. Was wichtig ist, ist den zukünftigen Generationen keine Hindernisse in den Weg zu stellen. Denn der Humanismus hat nicht den Wunsch, die Probleme des heutigen Menschen zu lösen, um die Zukunft des Menschen von morgen zu behindern.

Das was man im Allgemeinen „ menschlicher Maßstab nennt “, führt heute oft zu Verwechslungen. Es ist unbestreitbar, daß dieser Maßstab sich geändert hat, und daß der Mensch des 20. Jahrhunderts, gewöhnt, eins zu sein mit Fahrzeugen die sich mit großer Geschwindigkeit am Boden oder in der Luft fortbewegen, sich daran gewöhnt hat, Raum und Volumen mit anderen Augen anzusehen als seine Vorväter.

Architektur und Humanismus

Der Humanismus ist ein moralisches Engagement außerhalb jeder architektonischen Auffassung. Der Architekt, der sich heute seiner Mission bewußt ist, der Rolle, die er sich in der Gesellschaft ausgesucht hat, fühlt sich dadurch verpflichtet, aber wie alle seine Vorgänger ist auch er einsam und abgesondert. Unverstanden ebenso von der anonymen Macht, die alleine die Betätigung gestattet und die noch geführt wird durch die Prinzipien einer scheinbaren Sparmaßnahme und einer Unzweckmäßigkeit, dem Pressantesten den Vorzug gibt, nicht im stände ist, die Tragweite der Architektur-Ereignisse zu ermessen, und von den Konsequenzen ihrer eigenen Beständigkeit. Wenn die Stadtarchitektur die politischen und sozialen Strukturen beeinflußt, so ist es Sache der Regierung, dem Städtebauer die Chance zu geben um demokratische Strukturen zu schaffen. Der Architekt ist auch von demjenigen unverstanden, für den diese Hilfsaktion bestimmt ist: Der heutige Mensch, festgefahren in einer verjährten Erbschaft, immer wieder zu der Vergangenheit hingezogen, der nicht auszudrücken im stände ist, was er möchte, aber doch genau weiß was er nicht möchte!

Die humanistische Architektur setzt als erstes eine Philosophie voraus, eine Lehre die den

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Gebäuden mit je fünf Etagen, für Büros, mit Tea-rooms und Restaurants im Parterre, mit Terrassen und Portalen. Dazwischen sind Boutiques, Nachtlokale, Theater und Kinos vorausgesehen, das ganze mit einem kompakten System aus Sträßchen, Plätzen und Loggias (Das Ganze wurde schon einmal gebaut im südlichen Teil der Stadt.), ausschließlich für die Fußgänger bestimmt und für Autos direkt von der großen Plattform aus zugänglich.

Der Herd des Andrangs im Zentrum wurde absichtlich erschaffen um einen Kontrapunkt zu errichten gegen die offenen Flächen der bewohnten „ Superquadras “ entlang der Straßenaxe. Die Erschaffung dieser Quadras, das heißt, Baumalleen, angeordnet in großen Vierecken sollte in erster Linie die allgemeine Harmonie der Stadt zu versichern.

Jedesmal vier dieser „ Superquadras “ bilden eine Einheit mit den erforderlichen Ergänzungen — Primär- und Sekundarschulen, Geschäfte, Klubs, etc. Einer der Charakterzüge des Planes war die Vereinigung der, verschiedenen Gesellschaftsklassen in diesen zusätzlichen Flächen, die so der städtischen Gesamtheit einverleibt werden und nicht in „ reiche “ und „ arme “ Bezirke eingeteilt werden. Mangels Vernunft und wegen der Ungeschicklichkeit der Administration ist der Hauptaspekt Brasilias noch nicht verwirklicht worden. Die sehr gelungene Nationalbank scheint beim ersten Blick die geeignete Initiative zu sein um diesen Fehler zu verbessern, aber es ist beklagenswert, bis heute wurde nichts unternommen in diesem Sinne und die Verständnislosigkeit hält an.

Dieses Bauschema (Straßen und Wohnaxe) ist eine andere Eigenartigkeit Brasilias. Gewöhnlich machen die Autobahnen Halt vor den Toren der Stadt. In Brasilien aberführt die Straße direkt ins Zentrum und durchquert die Stadt von einem Ende zum anderen, ohne ihren Elan zu verlieren.

Während in den Stadtquartieren das Auto, kaum angekommen, instinktiv langsamer fährt, und anstatt verbannt zu werden, sich dem alltäglichen Rythmus anpaßt.

Was den kollektiven und Verwaltungsteil der Stadt anbelangt, ist sie durch verschiedene aufeinanderfolgende Stufen gekennzeichnet 1) das ländliche Gebiet, 2) Sitz der drei autonomen demokratischen Mächte, Ort eines gereinigten Volks-Versailles 3) Ministerien und Kulturzentren, 4) die große Fläche wo sich auf drei Stufen die zwei Achsen der Stadt kreuzen. 5) der Vorhof mit dem Fernsehturm.

Die Sorglosigkeit gegenüber den Tabus und die Gleichgültigkeit gegenüber den Moden erlaubten es, Dank der Anordnung der Quadras, und da es sich um eine Hauptstadt handelt, die alten Prinzipien des CIAM anzunehmen und

Was wichtig ist, ist die Einführung in diese großen Dimensionen, eines kleineren Raummaßstabes, derjenige, der sich dem Menschen anpaßt, der diese Dimensionen zu Fuß durchquert.

Zwischen den zwei Neigungen besteht ein großer optischer Unterschied. Die Übereinstimmung der zwei Style mit großen unterschiedlichen Maßstäben, im Inneren der Stadt, sollte zu einer Mikro-Bauart führen, die es dem Menschen erlauben wird, diesen seinen Maßstab wieder zu finden. Das wird die moderne Atmosphäre in diejenigen der ehemaligen charmanten kleinen Städte, die wir so bewundern, umwandeln. In diesem Zusammenhang und auf dieser Ebene kann man den Beitrag voraussehen, den die Phantasie, die Plastik, die Poesie, alle Künste, alle „ Zufälle “ bringen, die einem Ort erst seinen Charakter und seinen persönlichen Charme geben.

Die Normalisierung, die Typifikation, GrundGiovanni Klaus-Koenig

lagen einer Bau-Industrialisation, widersetzen sich keineswegs diesen Prinzipien. Aber anstatt Zellen, Blöcke, Gebäude oder Quartiere zu standardisieren, und die Architektur und die Massenpläne gewissen Bausystemen unterzuordnen, handelt es sich um die industrielle Schaffung von Bestandteilen, die unendliche Möglichkeiten von Zusammenfügungen gestattet.

Die Gruppierung der Zellen und die Möglichkeit sie zu kombinieren, ist seit Jahren das Thema hitziger Diskussionen und unzähliger Experimente. Es ist nicht so wichtig, eine Art,, Gebäude zu verteidigen, sondern den Menschen eine Möglichkeit der Auswahl zu geben. Dieses Fehlen einer Auswahl, durch die sich immer ähnlich sehenden Typen, durch die Kasernisierung in Häuser, Türme undPavillions ist mehr als alles andere der Grund dieser Neurosen, genannt „ große Einheiten Falls sich eine Humanisierung in die Architektur

einführen kann, stellt sich zuerst eine wichtige Frage: Wer ist der Mensch für den man einen Rahmen zu seiner Entwicklung schaffen soll?

Wir wissen, daß es je länger, je schwieriger ist, den heutigen Menschen zu charakterisieren und noch schwieriger, seine Entwicklung vorauszusehen. Man sagt, daß es zwischen Mensch und Wohnung eine Beständigkeit gab und immer noch gibt, die tief in seinem atavischen Unterbewußtsein verankert ist (Komplex der Höhle), daß die Familie immer noch eine beinahe unveränderliche Grundlage formt, und daß daher gewisse traditionelle Begriffe von den Wohnungen der Massen humanistischer werden.

Das ist noch teilweise richtig aber zweifellos nicht mehr für allzu lange Zeit. Wir erleben eine Veränderung der menschlichen Rasse die die bisher beständigen Prinzipien in Frage stellt.

Aber auf diesem Gebiet fehlen uns noch die wissenschaftlichen Angaben.

Humanismus und Architektur

1. Die Abwesenheit eines humanen Bewußtseins, Folge eines Fehlens der Allgemeinbildung auf Seiten der Architekten, ist eine laufende Erscheinung in den Ländern wo diese Spezialisten in technischen Universitäten und Kunstakademien geformt werden. Hinsichtlich der Lehrkunst sind die zwei Schulen aufs Äußerste gegen die Lehre der Architektur gerichtet. Die Vereinigung dieser zwei Schulen hat seit 1930 Italien in eine bevorzugte Lage gebracht. Doch leider haben wir uns auf diesen Loorbeeren ausgeruht und die Unterrichtskrise ist heute vollkommen und wie nie zuvor.

Wir gedenken den Leser zu interessieren, wenn wir unter diesen Umständen die italienische Krise und die Architektur die sich daraus ergibt, beschreiben, und eventuelle Illusionen zerstören, falls er glaubt, daß es genügt, die zwei Unterrichte zusammenzutun um das Problem zu lösen. Das ununterbrochene Hinzufügen von Stoffen hat eine unüberwindbare Mauer aufgestellt: Man unterrichtet heute deren 37 in Italien. Es ist also klar, daß eine radikale Transformation der Unterrichtsmethoden der Universitäten notwendig ist.

2. Jede Architekturgeneration trägt das Jahr ihrer Diplomierung in sich geprägt. Außer denjenigen die sich dem Lehramt verschreiben, gibt die große Masse der Fachleute immer wieder das Gelernte wieder. Sich auf dem Laufenden zu halten indem man schnell einige Architekturzeitschriften durchblättert, ist ungenügend. Die Bildungsgrundlage bleibt dieselbe die in den Universitäten erlernt wurde. Wenn es schwer ist, die Arbeit, den Stil eines Verfassers zu erkennen, so ist es umso leichter, die Schule die er besucht hat, die Epoche und die Lehrer die damals unterrichteten, herauszufinden.

In der deutschen Bundesrepublik zum Beispiel, hat der Untericht ausgesprochener Rationalisten wie Eiermann, Kramer und Österlen eine große Ausbreitung der rationalistischen Art hervorgerufen, gesetzlich vereinigt in einer ziemlich vereinheitlichten Technologie und Morphologie.

Im Gegensatz dazu verfolgen die wenigen Schüler Max Tants und Scharouns, wie W. Rausch und Chen-Kuen-Lee völlig verschiedene Wege.

In Italien hat die Nachkriegszeit nicht so einen totalen und plötzlichen Umsturz der Lage gekannt. Die Generation der rationalistischen Architekten hat diejenige der alten Akademiker allmählich, ohne Aufsehen ersetzt. Außerdem ist die erste Woge der Rationalisten im Krieg oder in Nazilagern umgekommen (G. Pagano, G. Terragni, G. Banfi) oder sonst vorzeitlich verschieden (A. Libera). Andere Architekten, mit ängstlicherem und problematischerem Charakter haben selber die Krise der rationalistischen Art hervorgerufen, indem sie den Stamm der organischen Bestandteile (C. Scarpa, I. Gardeila), der Neu-realisten (M. Ridolfi) und sogar der Expressionisten (G. Michelucci) pfropften.

Das heutige Erwachen der Interessen an der Geschichte der Architektur ist vor allem das Werk von S. Bettini, B.C. Argan, R. Pane,

B. Zevi, und C.L. Ragghiami, und hat dazu beigetragen, daß sich die Architekturbildung ausbreitet, sei es durch die Universitätslehren oder sei es durch die Erschaffung einer reichlichen Kritikliteratur über die moderne Architektur.

3. Man könnte glauben, wenn man das Vorangegangene liest, daß Italien sich in einer beneidenswerten Situation befindet, und daß es im Stande ist eine gute Architektur zu produzieren. Leider ist die Wirlichkeit ganz anders.

Der Beweis dafür wurde beim letzten nationalen Wettbewerb geliefert. Es handelte sich um Büros des Abgeordnetenhauses in Rom. Ich hatte die Ehre, mit Nervi und Michelucci. Mitglied der Prüfungskommission zu sein, es wurde kein Preis verteilt, doch bekamen wir eine allgemeine Übersicht von der Architektur unseres Landes, da die meisten Baumeister eines gewissen Niveaus teilgenommen haben. Alles war vorhanden. Von den Bögen und Säulen der alten noch lebenden Akademiker bis zu den gänzlich Rationalisten, über die Pop’art, die Strukturalisten, die Neu-Barocken und Neu-Liberty. Alle Tendenzen waren vertreten aber kein einziger Plan war überzeugend genug. Immerhin haben wir die interessante Feststellung gemacht, daß die originellsten Ideen von Personen kamen, die gleichzeitig Professoren der Kunstgeschichte sind, wie zum Beispiel P. Portoghesi. Schließlich waren die besten Projekte gebildete Werke, voll mit gut und oft überlegten Zitaten. Aber auch ihnen fehlte diese Intuition der „ richtigen Form “ die so charakteristisch war bei der „ geduldigen Forschung “ Le Corbusiers im Spital von Venedig.

4. Während einer Versammlung die letzthin von der Revue „ Casabella “ organisiert worden war, hat der Architekt F. Borsi in einem sehr interessanten Vortrag über die Rolle der Revue, hervorgehoben, daß die Architektur seit jeher, wenn sie gegen die siebziger Jahre geht, stehen bleibt, als ob sie eine erste Bilanz ziehen wolle.

So war es der Fall bei den Florentiner „ Manieristen “ im Jahre 1570, den Eklektikern unter Napoleon III und der Dritten Republik. Es ist der sozusagen unvermeidliche Augenblick während dem sich alle Experimente des Jahrhunderts in einem Zustand momentaner Synchronisation befinden. Beinahe wie wenn ein unvorhergesehenes Hindernis während einer Fuchsjagd, die vorher staffelförmig verteilten Reiter zusammengruppiert. Und gerade aus diesem provisorischen Erstarren bilden sich neue Aufschwünge.

Wenn man Buontalenti oder Ammannati gefragt hätte, wo zum Teufel sie die Renaissancearchitektur hingetan haben, hätte man bestimmt nicht die Antwort bekommen die uns heute so normal scheint: Aber... zum Barocken, natürlich! Und doch kamen sie dem ganz nahe ohne es zu wissen. Buontalenti mit seiner ausdrücklich fantastischen Dreistigkeit im Chor der „ Sainte Trinité “ wurde auch in Versuchung geführt durch eine unmögliche Reminiszenz Brunelleschis. Mit der Villa de Artimino folgte er dem linienformigen, „ eingedrückten “ Style Michelozzos.

Und gerade aus diesen Schwankungen, aus diesem Willen, im Ziele der Forschung vorwärts und rückwärts zu gehen, entstand der Name der „ Manieristen Er erscheint uns gerade heute wie die Offenbarung nicht einer regen, unkontrollierten Fantasie, sondern einer kritischen Reife, die gelitten hat.

5. Nun, diese Situation mißfällt mir nicht von vornherein, denn sie hat im Grunde genommen nichts Negatives. Und doch muß man hervorheben daß sie viel zusammengesetzter und verwickelter ist als die Vorhergehenden. In der Tat, die manieristische Krise von 1570 war eine rein italienische Angelegenheit, die eklektische eine Europäische, aber die heutige ist eine Internationale. Genauer gesagt handelt es sich um eine Folge von ungleichartigen, widersprüchigen Krisen. Zum Beispiel, während die italienische Architektur im Laufe der Jahre 1955-60 versuchte, den „ Liberty “ wiederzuerlangen, fühlte sich Amerika zu dem dekorativen Neu-Klassizismus hingezogen. Während Japan den Eisenbeton erfand, und die traditionelle Morphologie der Anwendung von Holz ziemlich durcheinander brachte, berührte die Errichtung einer Mauer in Berlin diese Stadt aufs Tiefste und ermöglichte die Verwirklichung der expressionnistischen Vorschläge Sharouns, die bis dahin in der Ruhe der Verbraucherzivilisation vergraben waren.

Das ist die größte Gefahr während dieser Wartezeit und darum wird der kritische Sinn wesentlich, denn der Geschichte, der Kritik, der Vergangenheit und der Zukunft gelingt es dann, sich einander zu nähern und sich zu einer einzigen Aktivität zu vereinigen. Daher auch die Wichtigkeit der Zeitschriften, der Debatten, die Vereinigung zu einem internationalen Studium. Vielleicht ist es jetzt der günstigste Augenblick um die heutige, unsinnige Trennung zwischen Architektur die sich mit Geschichte, Kritik und typologischen Forschungen beschäftigt und solchen die sich selber „ Komponisten “ nennen. Diese Trennung, die während der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts entstand, ist völlig sinnlos, denn die beiden Aktivitäten können sich nicht richtig entfalten, wenn sie sich nicht anerkennen. Die eine damit beschäftigt, immer tiefere Fundamente zu graben, die andere darauf konzentriert, Mauern ohne Fundamente zu errichten.

Die Vereinigung dieser zwei Kategorien wird ohne Zweifel eher durch eine Gruppenarbeit ermöglicht werden, als durch die Schaffung beweglicher Persönlichkeiten. Sie ist vielleicht die wichtigste Aufgabe die uns die nächsten zwanzig Jahre auferlegen werden.

Giovanni Klaus König, geboren in Turin, 1924.

Architekt, Schüler G. Micheluccis. Universitätsprofessor in Venedig, gibt Vorlesungen über die „ verteilten Charakteren der Architektur Lehrt „ Kunstgeschichte. Geschichte und Style der Architektur “ an der Universität in Florenz.

Professor der „ Ästethik “ für Vorlesungen für technisches Zeichnen an der Kunstschule von Florenz.

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Hat, unter anderem, folgende Bücher geschrieben: „ Das Altern der modernen Architektur, gefolgt von zwölf anderen Berichten (Florenz, 2. ed. 1967) “ — „ Analyse der architektoDom Angelico Surchamp

scheint, als ob sie sich, um für ihren Dienst am Menschen Verzeihung zu erhalten, mit Fassaden und anderen unnützen Verzierungen, die oft schlecht mit der Bestimmung des Objektes übereinstimmen, schmücken müßte.

Die notwendige Reaktion stellte sich auch tatsächlich ein und und es wurde, zu Recht, eine funktionelle Zweckbestimmung der Baukunst gepredigt. Schön und gut. Aber der Funktionalismus ist nicht allein materiell oder elementar.

Es reicht nicht aus, seine Mahlzeit in der Küche zu bereiten, in seinem Schlafzimmer schlafen und im Wohnraum fernsehen zu können. Die Familie muß sich darin entfalten, sich wohlfühlen, sich selbst wiederfinden. Sie muß der Wohnung ihr eigenes Gepräge geben und sich in ihr zuhause fühlen. Darin liegt das tatsächlich Wesentliche.

Was für die Wohnung des Menschen notwendig ist, gilt auch für das Haus Gottes. Die Gläubigen einer Gemeinde sollen sich in ihrer Kirche zuhause fühlen. Selbst wenn diese ihrer Funktion nach für Messen und Gottesdienste gedacht ist, so wird sie, fehlt ihr dieser tief menschliche und persönliche Charakter, zu einer Maschine des Gebetes und der Gottesverehrung und damit unmenschlich.

Hat man dies erst einmal verstanden, so wird man nicht sich mehr an der Fassade, die oft eine mit dem äußeren Gebot in keiner Beziehung stehende Wirklichkeit verbirgt, aufhalten. Der Widerwille gegen den eiskalten Schmuck wird sich einstellen: man betrachtet vom Innern her und versteht die Gesetze der ewigen Architektur — die römische Epoche hat uns abendländischen Menschen eine beispielhafte Übertragung dessen gegeben —, die die innerste Altarstätte als wesentliche, geheime, verborgene Tatsache sieht, wobei ihre äußere Erscheinung eine reine, einzig und allein durch diese innere Logik postulierte und geleitete Übertragung bleibt.

der sozialistischen Revolution, die sich in unserer sozialen Praxis vollzieht, auch im Bereich der Architektur den Triumph eines höheren Humanismus zur Folge hat. Dies zeigt sich durch sehr hohe Konstruktionszahlen: in 50 Jahren wurden in der Sowjetunion in den Städten 1 000 000 000 m* Wohnfläche bebaut und auf dem Lande 20 000 000 Wohnungen erstellt. Aber dies muß auch durch die Vereinigung der zur Persönlichkeitsentwicklung des Menschen objektiv notwendigen Bedingungen ersichtlich sein. Der Humanismus des zeitgenössischen Architekten kann an seiner Fähigkeit, die technischen Probleme zu lösen, gemessen werden, aber ebenso an seinem Verständnis für die sich bildende Lebensform, für den Psychismus des Bewohners, auch an seiner Fähigkeit, Beton und Glas mit dergleichen Ergriffenheit, mit der gleichen Inspiration zu behandeln, die bei unseren Vorfahren zu finden

war, als diese ihre merkwürdig geformten Kirchen und Isbas erstellten. Aber wir müssen noch viel nachdenken und finden. Heutzutage benötigt der Architektenberuf (wie in der Antike) eine umfassende Allgemeinbildung. Der moderne Architekt arbeitet in den Bereichen der industriellen Ästhetik, der Landesplanung, der angewandten Kunst, der Bühnengestaltung, der Ausstellungen und selbst der Weltraumschiffe.

Das Studium der menschlichen Umgebung ist jedoch nur unter Mithilfe einer umfassenden Zusammenarbeit möglich. Der Architekt, dessen Projekt in Zusammenarbeit mit entsprechenden Berufen ausgeführt wurde, ist mit einem Regisseur zu vergleichen, der sich mit sämtlichen Einzelheiten des Stückes befassen muß, wenn er eine ästhetische und funktionelle Einheit erreichen will. Im 20. Jahrhundert muß er zugleich Historiker und Soziologe, Techniker und Psychologe, Philosoph und Dichter sein.

grüßen, — da gibt es Wunderkliniken, die man gesehen haben muß. Sie ist zum Beispiel im Tierpark in Berlin-Friedrichsfelde. Und auch den müßte sich, im ganzen, jeder anschauen gehen. „ Was brauchen wir Mustertierparks “ sagt der Sparmeister und nörglerische Kritiker.

„ Wir sind nicht reich genug für diese Sorte von Luxus. Realistisch sein, das müssen wir! “ Aber da ist kein besserer Platz, Realismus zu lernen, als gerade im Zoo. Eine Basis von wirklich humaner, gesellschaftlicher Realität ist „ Biorealismus ", Lebenswirklichkeit, biologische Tatsächlichkeit. Das ist, was man in den neuesten Zoos zu sehen kriegt, nicht bloß den

besten Spaß, die Bärenjungen anzuschauen, wie putzig und täppisch sie spielen. Es ist sogar Bargeld-Realismus, wenn man sieht, um man an Klinik ausgeben muß, um ein schwangeres Dickhäuterweibchen mit einem Spezialapparat zu röntgenisieren, bevor es sich bald anschicken wird, ein Baby zu bekommen ohne Zwischenfall. Für Elefanten gibt's, wenn man ihren Weltmarktpreis von Devisenkosten umrechnet, zigtausend Mark zu zahlen, und dieselbe Sorte von Schaden überkommt die Tierparkleitung, wenn ein Löwengebiß vernachlässigt, anstatt den König der Tiere mit aufgesperrtem Rachen so zu immobilisieren, daß man seine Zähne

Was kostet’s?

Ach, wie teuer das Leben ist! Im sentimentalen so wie im finanziellen Sinn stellt es sich hoch, aber eigentlich doch nur für eingefleischte Pessimisten. Vergleichsweise ökonomisch ist für diese Art von Leuten der Tod, wenn mal die Beerdigungskosten beglichen sind. Aber krank sein, geschwächt sein, Patient sein ist die teuerste Sorte von Leben, für den einzelnen und die Allgemeinheit, und das billige Totsein ßngt erst lange nachher an, wenn schon eine Menge Klinik und Krankenhaus bezahlt ist, von viel fürsorglicher Bauerei bis zu Bayer-Leverkusen.

Weil wir schon bei Kliniken sind, die wir von Herzen als Wohltat fürs Gesundwerden be-

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Dies ist so offensichlich, daß wir, in dem Maße wie sich die Notwendigkeit des städtischen Wohnens und des Stadtlebens entwickelt und aufdrängt, eine Art physiologisches Bedürfnis nach Gegengift konstatieren. Sobald der Samstagnachmittag kommt, setzt die Auswanderung ein. Man flieht die Stadt, die großen Ballungen und unpersönlichen Blocks, um aufs Land zu entweichen. Dort werden mehr und mehr Häuser gekauft, alte Behausungen werden nach eigenem Geschmack restauriert und eingerichtet, neue Häuser auf möglichst originelle und persönliche Weise gebaut. Hier liegt eine vitale Notwendigkeit, ein tief menschliches Bedürfnis vor, mit dem man sich nicht abfinden kann.

Es hat mich für meinen Teil immer erstaunt, die folgende, aus der Feder des Heiligen Chrysostomus (354-407) stammende, kurze Erläuterung zu finden: „ Der Ackerbau ist die erste der Künste, die Weberei die zweite und die Architektur die dritte. Das Schuhmacherhandwerk ist von allen die letzte (selbst bei uns leben viele Bedienstete und Bauern ohne Schuhwerk). Das also sind die nützlichen, notwendigen Künste. “ Worauf sein Zeitgenosse der Heilige Basilius (329-379) antwortet: „ Architektur, Holz- und Metallbearbeitung und Ackerbau, das sind die zum Leben notwendigen, wirklich nützlichen Künste. “ Man sieht den Gedankengang, der dieser Rangordnung vorangeht: Die höchste Kunst ist die wesentliche, ohne die der Mensch nicht leben kann. Die letzte die nutzloseste.

Wir wurden unglücklicherweise umgekehrt erzogen. Das Schöne, hat uns (unter anderen) Alain erklärt, wird durch seine Überflüssigkeit, seine Unentgeltlichkeit charakterisiert. Daher stranden die Skulpturen auf den Rasenflächen öffentlicher Parkanlagen und die Museen verschließen sich der Allgemeinheit.

Die Architektur leidet unter dieser Auffassung und das Ideal hat sich dem Leben entzogen. Es

Architektur und Humanismus

Heutzutage formt sich und wechselt das städtische Milieu mit unwahrscheinlicher Schnelligkeit. Tausende von Gebäuden wachsen aus dem Erdboden und erzeugen gleichzeitig neue Formen der Lebensorganisation. Die Lage wird noch komplizierter, wenn man bedenkt, daß die Erstellung eines General-Bebauungsplanes praktisch für viele Jahre die Lebensbedingungen der Bewohner festlegt.

Das wesentliche Problem des Humanismus bei der Architektenarbeit besteht wohl darin, in den großen Städten die vorteilhafteste Beziehung zwischen dem Sozialen und Individuellen zu finden. Im Zeitalter der Vorfabrikation rechnen die Architekten mit Hunderten von Hektaren Und mit Tausenden von Einwohnern pro Gemeinschaft. Neigen wir unter diesen Bedingungen nicht dazu, die großen sozialen Gruppen als ein Schaden des Einzelnen zu betrachten? Für uns steht fest, daß die humanistische Wesentlichkeit

Richard Neutra

des Expressionismus, 2. Teil (Vitali und Ghianda, Genua 1967) Lebt in einem Landhaus in den florentiner Hügeln.

Über eine menschliche Architektur

Wir leben in einer Zeit, in der die Technik den Menschen zu versklaven droht.

Es überrascht also keineswegs, zu sehen, daß die Architektur häufig unmenschlich zu werden tendiert: das Gegenteil wäre weit erstaunlicher.

Dies um so mehr als, auf Grund der Umstände, die technischen „ Programme “ mehr und mehr Raum und Bedeutung in der Baukunst einnehmen. Ein Blick auf die Baupläne genügt, sich davon zu überzeugen. Allein das Gebot, im Innern der Wände unzählige Leitungen einzuplanen, stellt eine Forderung dar, der man sich nicht mehr entziehen kann.

Dieses Erfordernis aber, und all die anderen unaufhörlich zahlreicheren, drohen immer mehr, das Wesentliche vergessen zu lassen. Le Corbusier gebrauchte, als er von „ Wohnmaschine “ sprach, ein unglückliches Wort. Seine Gedanken verrieten sich übrigens durch solche Vokabeln und es ist wichtig, daran zu erinnern.

Denn nichts stände mit dem Endzweck der Architektur, Kunst der Künste, mehr im Widerspruch, als die Absicht, Wohnmaschinen zu schaffen und den Menschen mehr zu einem Produkt der Architektur zu machen als zu ihrem Gebieter, jedenfalls zu einem Benutzer, nicht zu einem Besitzer.

Die Tatsache ist wesentlich. Verliert unsere Zeit nach und nach den Sinn für die grundlegendsten und beständigsten Werte in der Menschheitsgeschichte, so zu einem guten Teil deshalb, weil dem Begriff des Heimes ungenügende Bedeutung beigemessen wird. Das Haus war schon immer eine der wesentlichen menschlichen Gegebenheiten. Die Familie bildet den Grundstein der Gesellschaft. Die Familie aber verlangt ein Haus.

Ohne Heim, keine Familie und ohne Familie kein wahrhaftiger, das heißt seiner Pflichten, seiner Würde und Verantwortung bewußter Mensch mehr, Glied in einer Kette, der ein empfangenes Gut an andere auf ihn folgende weitergibt.

Oleg Chvidkovski

nischen Sprache (lef. 1964) “ — „Deutsche Architektur der zweiten Nachkriegszeit (Cappelli, Bologne, 1965) “ — „ Die Architektur

plombiert, während er nichts bewegen kann als seine Stimmbänder. Das tut er denn auch in seiner gewaltig majestätischen Manier.

Aber das Großartigste in einem Tierpark ist gar nicht der eindrucksvolle Klinikbau, um Krankheit frühest zu diagnostizieren, zu erforschen, zu verhindern. Der echteste Biorealismus gilt den noch wertvoll Gesunden dieser Tierbürgerschaft.

Durch einen Stab von Tierverhaltensforschern, Zoologen, Biologen unter berühmten wissenschaftlichen Autoritäten, wie es sie in der ganzen Welt gibt — Dathe in Berlin-Friedrichsfelde, Hediger in Zürich oder Grzimek in Frankfurt, um nur einige der großen Forscher zu nennen — da wird jede Art von Getier mit hingebender Sorgfalt für Jahre studiert und auf seine minutiösesten Lebensnotwendigkeiten und psychosomatischen Reaktionen hin durchkannt. Aber das ist nicht alles: dieser Schatz von Einsichten wird, wie es sich im Zeitalter der Wissenschaften für jedes Unternehmen geziemt, angewandt! Es heißt hier nicht, per Pavian gibt's gesetzlich tarifmäßig soundso viele Quadratmeter Käfig und per Wallroß soundsoviel Liter oder Kubikmeter Schwimmwasser, basta.

Es ist überhaupt nicht mehr die Ära der Käfige in Tierparks.

Die Zeit ist vorüber, als der Gesellschaftskritiker mit dem Stift in der Hand, Heinrich Zille, — (der übrigens 1921 ganz Berlin mit einer Karikatur zum Lachen brachte über eine

Sofll Teshigahara

exemplarische Ausführung und Probe aufs Exempel! Wieviel wird wissensdurstig fiir's biologisch Erträgliche einer flüchtigen Raketenkapsel spendiert, und wie wenig auf die ganz fein detaillierte Durchkennung eines Volksschulklassenzimmers, hunderttausendmal wiederholt fürs Aufbringen der nächsten, der kommenden Generation. Das Tägliche ist uns, sehr unberechtigterweise, viel gleichgültiger als das sensationell Außertourliche. Der allmorgendlich vollgepfropfte Bus wird mit der rücksichtslosesten Mechanik angefahren oder angehalten und macht Wendungen, daß der InnerohrGleichgewichtssinn der zum Ausgang torkelnden Passagiere außer Rand und Band gerät. So gibt es erhebliche Abstriche von ihrer Vitalität zwischen Frühstückstisch und Arbeitsplatz.

Es ist vorläufig kaum in Umrissen erforscht, aber noch weniger angewandt, was man über die „ Zivilisationsschäden “ in unserer fehlerhaft aus verschiedenen Fabriziertheiten recht zufällig zusammengestöberten Welt zu lernen, zu bewältigen und durch Zusammenstimmen zu heilen hat.

Es wäre wert, diese gesündere Umgebung wenigstens in Beispielen zu schaffen, um Ziele zu setzen und sie Anzustreben. Was immer der erste Einzelfall kostet — und er muß mehr kosten als Wiederholsamkeit im Überholten —, Kosten werden gangbar durch massive Wiederholung des Geglückten.

Der gewisse Humanismus eines gewissen Innern

Sofu Teshigahara, Großmeister der Blumenarrangements (Sogetsu), Bildhauer und Maler, der sich schon immer mit der Problematik einer Umgestaltung oder Wiederentdeckung des Humanismus auseinandergesetzt hat, hat sich auch mit dem möglichen Sinn einer japanischen Innenarchitektur beschäftigt. Obgleich das „ Innere “ nur eine Gesamtheit von Bedeutungen darstellt, so sollte das allzu europäisierte japanische Innere nach Ansicht Teshigaharas Wiedererstehen und die Besonderheit der japanischen Empfindung durch einen authentischen, aus Enthüllung und „ Nichtigmachung “ geschaffenen Stil ausdrücken. Daher paßt dieser Artikel gut in das weite Gebiet des Gespräches über „ Humanismus und Architektur “.

Es ist schon lange her, seit Tagore nach Japan kam. Er war Dichter, Philosoph und Schulleiter.

Sein Japanbesuch diente dem Zweck, das japanische Volk und seine Lebensart kennenzulernen.

Offensichtlich war er aber besonders an japanischer Architektur und Innengestaltung interessiert. Ich habe ihn auf seinen Besuchen japanischer Häuser und Inneneinrichtungen begleitet und ihm dabei besonders das „ Tokonoma das Herz des japanischen Hauses, gezeigt.

Heute bildet das,, Tokonoma“keinen Bestandteil

Kunio Mayekawa

meiner ersten Schöpfungen — Häuser, ausgeführt mit Drehbühne für dynamische Wechselbenutzung der guten Stube) — als also Zille zwei Weddinger Jungens zeichnete. Der eine zieht auf einem Spielzeugwägelchen eine tote Ratte, seinen lieben Spielkamaraden, den er bestatten will. „ Von wat is se denn jestorbn? “ „ Unse Wohnung is zu naß! “ Menschen hatten schon manchmal den Wert von Ratten, sind ln so manchen Elendsquartieren einer kommerziell aufgezogenen Welt noch nicht sehr im Kurs gestiegen; Hausfrauen scheinen dort leicht billiger als Elefantenweibchen und Wallrosse.

Aber wie dem auch sei: für menschliche Zukunft gibt's einen neuen Humanismus, von Wissenschaft unterbaut. Volksgesundheit ist fraglos heikelstes Volksgut, es vergeuden ist Verbrechen, irgendwo, irgendwann, oder mehr, heutigentags, alberne Missetat am Volkswesen, an seiner so sensitiven Produktivkraft.

Wir müssen immer wiederholen: Architektur ist langfristiges Gehäuse für alles menschliche Funktionieren, langlebigste Investition von Volksvermögen. Unsere teuerste MilliardenMondlandung ist kurzlebig, korrekturfähig, vorübegehend, verglichen mit einem massigen, in beständigem Beton verewigten Siedlungsprojekt auf Erden.

Experimentalforschung muß wenigstens parallel, wenn nicht voraus laufen, ebenso wie

des täglichen Lebens mehr, auch gerät es bei den Leuten in Vergessenheit und scheint seinen Charme für die Öffentlichkeit verloren zu haben. Tagore hingegen war beim Anblick des „ Tokonoma “ sehr bewegt und sagte: „ Hier zeigt sich Japan “.

Vor seiner Ankunft in Japan hatte er mehrere europäische Länder besucht und Japan war das letzte Land auf seiner Reise. Folglich, so sagte er, konnte er den Charakter Japans genau kennen. Er hatte sich in Kyoto und Nava historische Monumente (Tempel, Zeremonienhäuser, Schlösser...) angesehen. Aber ich will versuchen, den Tag zu beschreiben, an dem ich ihn beim Baron Shibusawa, einem der bedeutendsten Bürger Japans, eingeführt habe.

Es war zu Beginn des Sommers, sein Haus war von Bäumen umgeben und Tagore hatte ganz besonders den großen Tatami-Saal geliebt.

Dieser große Saal war mit neuen Tatami bedeckt, die eine frische Gewächsfarbe haben und sehr gut duften. In Japan wird der Tatami im allgemeinen einmal im Jahr gewechselt und die hundert Tatami dieses Saales waren gerade überholt worden. Der Saat öffnete sich auf zwei Seiten zum Garten, die dritte Seite war vom nächsten Raum durch eine Schiebetür getrennt und auf der letzten Seite schließlich trennte eine Erdmauer den Saal vom Tokonoma. In diesem Tokonoma befand sich ein Kakimono und ein

Blumengebinde. (Siehe Bilder). Kein weiterer Schmuck: Ein Sitzkissen und ein kleiner Aschenbecher, in dem Weihrauch verbrannte...

Im Garten hörte man das Plätschern des Wassers und den Gesang der Vögel.

Nachdem er sich niedergelassen hatte, sagte Tagore: „ Wie göttlich! Welcher Reichtum!

Ich habe das Herz einer Schönheit, die nirgends sonst existiert, gekannt. Hier befindet sich die Schönheit des Japans meiner Bewunderung/“ Tagore kannte bis dahin nur die europäische Inneneinrichtung, wo die Leute ihr ganzes Besitztum ausbreiten. Den wahren Reichtum fand er in Japan, wo es im Raum beinahe nichts zu zeigen gibt. Diese Inneneinrichtung des japanischen Hauses ist nicht mit Leere gleichzusetzen. Sie stellt sich ein, nachdem man das Ganze erlebt hat. In diesem Fall übersteigt das Nichts das Ganze. Diesen Geist, nur ein Mann wie Tagore konnte ihn verstehen.

Jeder weiß wie leicht es ist, nach Vollkommenheit zu streben, aber es ist schwer im Nichts entschlossen zu bleiben. In seinem derzeitigen Schönheitsempfinden steht Japan unter dem Einfluß des europäischen Lebens. Es besteht eine immer stärker werdende Tendenz, das vollständige äußere Leben zu suchen, nicht das innere Nichts-Leben. Ich glaube, man sollte wieder an das Japan denken, das Tagore bewundert hat. Morgen wird es zu spät sein!

Der Humanismus und die Architektur

Daß das Thema Humanismus und Architektur heute das Interesse der Architekten findet, hat seine Ursache zweifelsohne in der allgemeinen Situation des menschlichen Milieus, das immer verhängnisvollere Formen annimmt, und in der Mechanisierung, die sich auf allen Gebieten der heutigen Gesellschaft manifestiert. Die Probleme von Humanismus und Architektur verdienen auch eine sehr umfangreiche Beschäftigung von seiten der zeitgenössischen Architekten, da sie für eben diese menschliche Umgebung verantwortlich sind. Was mich, den Architekten aus dem Fernen Osten, betrifft, so muß ich gestehen, daß ich allmählich das Gefühl habe, daß der Humanismus wie ihn der Okzident versteht, uns nicht mehr das Heil verkünden kann, da der Humanismus selbst, Kind europäischen Denkens, das er ist — jenem Denken, das die Wiege der westlichen Kultur mit all den Geiseln der modernen Welt gewesen ist — niemals einen wirkungsvollen Ausgang aus dem

Circulus vitiosus, in den er uns geführt hat, finden kann.

Europa hat sich während der zweitausend Jahre seiner Geschichte bemüht, eine glänzende Kultur zu schaffen, immer gestützt durch eine glückliche Überzeugung, daß Gott die Welt geschaffen habe, damit sie dem Menschen diene.

Ist es nicht diese Überzeugung, die das gesamte abendländische Verhalten gegenüber allen Dingen, außer gegenüber den Menschen, bestimmt hat, die diese Gegenstände als Dinge betrachteten, die durch die Menschen zugeschnitten, unterworfen und erobert werden müssen, wobei sie immer eine strenge Trennung zwischen den Menschen und den außerhalb von ihnen liegenden Objekten beachten? War nicht der Humanismus selbst ihre intelligente Erfindung, um dieses Trennungsprinzip zu rationalisieren, jenes Prinzip, das die unerschöpfliche Quelle des europäischen Denkens bildete, den Beginn des rationalen Denkens bestimmend und Mutter der

technologischen Zivilisation Europas ? Unbestreitbar ist es ihm zu verdanken, daß es gelang, den gegenwärtigen Höhepunkt des grandiosen Bauwerkes der Maschinenkultur zu erreichen, aber auch dank der gegenwärtigen Verwüstung der menschlichen Umgebung, die heute unser Nachdenken über den Humanismus und die Architektur fordert.

Man kann sagen, daß dem Menschen die Schaffung der gegenwärtigen Industriekultur gut gelungen ist, indem er seit der Dämmerung seiner Geschichte an der Kontrolle der Natur gearbeitet hat, und daß es jetzt an der Zeit ist, nach dem Mittel zu forschen, um diesmal die Industriekultur selbst zu kontrollieren. Der Humanismus scheint als ein wirkungsvolles Kriterium für dieses neue menschliche Abenteuer betrachtet zu werden. Ich befürchte aber, daß man mit diesem auf dem traditionellen Prinzip des europäischen Denkens basierenden Humanismus schließlich neue Jahrhundertübel scluif-

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fen wird, indem man die allen vernichtet und die Verfremdung der gegenwärtigen Menschheit ganz einfach durch eine andere ersetzt. Man wird diesem Circulus vitiosus, in dem wir gefangen sind, niemals entrinnen.

Die Natur wie sie das Abendland verstanden hat, ist immer etwas gewesen, das außerhalb der Menschen existierte, während die orientalische Betrachtungsweise die Menschen immer miteinschloß. In diesem Augenblick, in dem das Gebot lautet, einen neuen Orientierungspol zu

Dr P.-C. Racamier

Engagements in der Natur, in der Umgebung oder in dem von uns bereits geschaffenen menschlichen Milieu führen. Ich bedaure es tief, daß mein Wortschatz weit davon entfernt ist, einer beredten. Sie überzeugenden Ausführung zu genügen, ich wäre aber sehr zufrieden, wenn ich Ihnen sagen könnte, daß ich über des Stand der Architektur und des menschlichen Milieus Europas offen beunruhigt bin, da das Schicksal des Europa von heute, morgen das unsere sein könnte.

Psychologie des architektonischen Raumes

Französischer Psychiater und Psychoanalist, Arzt an Psychiatrischen Spitälern, war Oberarzt im „ Hôpital de Prémontré ", dann in einer Klinik in der französischen Schweiz. Mitglied der internationalen psychoanalytischen Vereinigung und verschiedener wissenschaftlicher Gesellschaften. Gab Vorlesungen über Psychoanalyse in Paris und Lyon und in der franz.

Schweiz. Gibt heute Vorlesungen über psychoanalytische Psychiatrie, die er auch während mehreren Jahren an der Universitätsklinik Cery in Lausanne gehalten hat. Er hat viele Werke veröffentlicht und manche Vorträge über die moderne Psycho-Pathologie, Sozial-Pathologie, Psychotherapie, über psychoanalytische Behandlung der Geisteskranken und die Einrichtungen der Asyle gehalten. Er arbeitet momentan an mehreren Werken über die heutige Psychoanalytische Psychiatrie und an der Verwirklichung einer modernen psychiatrischen Anstalt.

Es liegt mir fern, die Anmaßung aufzustellen, aus einem Psychiater oder besser noch aus einem Psychoanalisten einen Zauberer zu machen von dem alle Rezepte des richtigen Lebens kommen. Und doch hat diese Persönlichkeit etwas über Architektur zu sagen.

Der moderne Sachverständige der Psychologie kann der Architektur und den Architekten gegenüber nicht gleichgültig bleiben, aus dem einfachen, sonnenklaren, unbestreitbaren Grunde weil einer der Hauptzwecke jeder architektonischen Schöpfung ist, gewisse psychologische Bedürfnisse des Menschen zu befriedigen.

Man möge sich das einmal nur einen Augenblick lang überlegen. Es ist klar, daß jede Konstruktion, der die Befriedigung psychologischer Bedürfnisse nicht gelingt, nie etwas anderes sein wird als ein Werkzeug, wenn auch ein bequemes, so doch ein trauriges Werkzeug, dafür liefern uns unsere Beobachtungen schwerwiegende und vielfältige Beweise.

Man wird auch bemerken, daß die architektonischen Erfolge, ob sie alt oder modern sind, alle nach derselben Eintracht gerichtet sind. Die Eintracht zwischen der funktionellen Notwendigkeit, den technischen Hilfsmitteln und den psychologischen Bedürfnissen. Gewiß, das Eine oder das Andere hat sich im Laufe der Zeit und der Kulturen verändert, die technischen Hilfsmittel am meisten, die psychologischen Bedürfnisse bleiben beständig, umso mehr da sie sehr groß sind. Aber immer nur den Architekten überleben seine Werke, dem es gelingt, die intime Vereinigung dieser gegebenen Größen, so wie sie sich ihm darstellen, zu verwirklichen.

Der architektonische Erfolg versteht sich im Allgemeinen als eine Sache der Àstethik und der funktionellen Angemessenheit. Wenn dieses Verhältnis heute durch die Einführung des industriellen Genies ergänzt wird, so vereinfacht es sich, im Gegenteil, wenn man zugibt, daß die Schönheit von selbst kommt, 'wenn ein Gebäude wirklich und vollständig seinem Zweck und seinen Materialien angemessen ist.

Aber man irrt sich wenn man unter dem Zweck eines Gebäudes nur die Nützlichkeit versteht, so wie es viel und oft getan wird. Der Mensch hat nicht nur materielle Bedürfnisse, diese scheinen übrigens im heutigen Zustande der westlichen Zivilisation die am leichtesten zu befriedigen zu sein. Aber der Mensch verrät sich selbst ernstlich, jedesmal wenn er seine eigenen psychologischen Bedürfnisse vergißt.

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finden, benötigt man, glaube ich, ein neues Orientierungsinstrument, und ich glaube auch, daß man dieses Instrument nur in einem bis dahin dem Menschen unbekannten Repertoire finden kann.

Der westerländische Humanismus hat den Menschen in den Mittelpunkt des ihn umgebenden Universums gestellt, daher die totale Trennung des Menschen von der Natur und seiner Umgebung. Ein Aufgeben dieses tausendjährigen Prinzipes wird uns notwendigerweise zu

Man muß hier erkennen, daß in den meisten Fällen seine eigenen psychologischen Bedürfnisse diejenigen sind, die der Mensch am wenigsten kennt.

Deswegen wünschte man sich nicht nur, daß der Architekt diese psychologischen Bedürfnisse kenne, man möchte auch, daß er es versteht, sie zu erraten, ihnen zuvorzukommen und vorzubeugen, man möchte, daß er durch Intuition, mit Wissen, dem Kunden hilft, seine eigenen Bedürfnisse zu entdecken. Es ist wahrhaftig eine Künstleraufgabe, anderen Menschen beizubringen, Geschmack an etwas zu finden, das sie noch gar nicht entdeckt haben.

Der Psychoanalist hat im Geheimnis seiner Praxis und in seiner Aufgabe den Patienten zu zeigen, was sie sind und was sie sich wünschen, die Gelegenheit zu entdecken, welche psychologischen, oft verborgenen Bedürfnisse, ihre Befriedigung in Wohnung, Haus und Gebäuden suchen.

Der Psychiater, der Kranke beobachtet und versucht, ihnen zu helfen, begreift, wenn er sie in ihren eigenen vier Wänden sieht, durch das Vergrößerungsglas der Pathologie gesehen, die geheimen Gesetze, die die Beziehungen des Menschen zu dem, was er in sich verwahrt, bestimmen. Denn die Seelenpathologie erfindet nicht. Sie entstellt und bringt, wenn sie es zu weit treibt, gewisse Mechanismen und gewisse Funktionen deren Prinzip allgemein und normal ist, aus dem Gleichgewicht. Und damit holt sie oft wesentliche psychologische Wahrheiten hervor, die sonst unbemerkt geblieben wären.

Der Asthmatiker weiß besser, als der, der mühelos atmet, was Luft und Atmung für eine Bedeutung haben.

Gewiß, wir kennen erst einen Teil der Gesetze, die die Psychologie der bewohnbaren oder architektonischen Orte regieren. Aber wir wissen zum Beispiel, daß das Haus im Allgemeinen ein Symbol des mütterlichen Schoßes darstellt, dieser Schoß, dessen sich gar wenige erinnern, bleibt doch eingeprägt in jedermanns Unterbewußtsein als ein erster Anziehungspol und als ein immer lebender Rückkehrpunkt. Der kleine Mensch ist so hilflos, wenn er auf die Welt kommt, den Bedarf den er hat an Fürsorge und mütterlicher Umgebung ist in dem Augenblick so stark und so dringend lebensnotwendig, daß er sich niemals ganz von dieser ersten Aspiration loslösen kann. Das Gefühl der Sicherheit, das er in seiner Behausung sucht, ist dauerhaft. Von da kommt auch, daß die Mauern erprobt werden imd wie eine Hülle geschaffen werden sollten.

Umso mehr, da der Wohnort des Menschen ganz natürlicherweise auch seine psychologische Hülle darstellt. Hierin besteht kein Widerspruch zu dem Vorhergesagten, denn wir wissen, daß der Mensch sich seine eigene Persönlichkeit erst schafft, nachdem er zuerst diejenige seines ersten Objektes, seiner Mutter, erfaßt hat.

Sich als Wesen zu erkennen, heißt, seine Grenzen zu kennen. Die Haut ist die körperliche Grenze, aber das Erlebte eines jeden (ein eher unbewußtes aber entscheidendes Erleben) enthält eine Fortsetzung psychologischer Hüllen. Es ist bekannt, daß der angezogene Mensch seine Kleider in seine persönliche Spatie einschließt, wir könnten das den Raum des Ichs nennen, der Autofahrer schließt sein Fahrzeug in sich ein und man sagt, er ist eins mit ihm. Die Mauern in denen wir leben bilden eine andere Hülle dieses Raumes des Ichs. Es ist also ganz normal,

daß der Mensch sein Zuhause als eine Darstellung seiner selbst fühlt, daß er versucht, es sich anzueignen und daß es gewissermaßen sein eigener Spiegel wird.

Es besteht kein Zweifel, das Bedürfnis ist groß, das den Menschen seit jeher dazu treibt, seinen Namen und sein Bildnis auf die Mauern seiner Umgebung zu prägen und seine Geschichte damit erzählt, sei es auf Mauern von Höhlen, Kirchen, Palästen oder Ställen.

Die Beziehung zu den Mauern besteht mit einer seltsamen Heftigkeit bei den Geisteskranken, denn ihr Gefühl einer eigenen Persönlichkeit und ihres persönlichen Wertes als Mensch, weit davon entfernt, die relative Beständigkeit, die normal ist, zu zeigen, ist schrecklich zerbrechlich, geschwächt, wankelmütig und zerstückelt, das macht es außergewöhnlich abhängig von den Räumen in denen sie leben und von den Mauern.

Darum beobachtet man auch, daß die Kranken sich aufs Tiefste entwertet fühlen, wenn sie zwischen geringfügigen Mauern leben. Das Niveau ihrer psychologischen Funktionen hängt sehr von ihrer Umgebung ab.

Gewiß, der normale, oder für normal gehaltene Mensch reagiert nicht so stark wie der Kranke auf die Eigenschaften der Hülle die ihn umgibt, außerdem gibt er sich Mühe, sie neu zu gestalten und zu verändern, dennoch ist die Beeinflussung umso inständiger, da sie meistens ohne sein Wissen wirkt. Und die erfolgreichen Experimente der „ funktionellen “ Verfärbung der Werkstätte, vom Museum bis zur Fabrik und die Ästethische Belebung der Arbeits- und Aufenthaltsorte beweisen, daß das Wohlbefinden und damit die Leistungen der Leute von der Qualität des architektonischen Raumes abhängig sind.

Es liegt mir fern, die Behauptung aufzustellen, daß die psychologische Aktivität nur von unmittelbaren, naheliegenden Faktoren abhängig ist. In der Tat, wir wissen, daß die seelische Aktivität im Normalzustand von sehr starker Selbständigkeit, daß sie ebenso, wenn nicht noch mehr, von dem Erlebten in der Vergangenheit als von dem Gegenwärtigen, mehr vom Unbewußten als vom Wahrgenommenen bestimmt wird, und daß jede äußerliche „ Angabe “ innerlich umgeändert wird, durch eine unablässige, eingebildete Verwandlung. Dennoch spielt sich diese Aktivität nur unter gewissen, naheliegenden Verhältnissen, zufriedenstellend ab. Verhältnisse deren Spielraum, wenn auch beim normalen Menschen größer als beim Kranken, trotzden nicht unbeschränkt ausdehnbar ist.

Man weiß zum Beispiel infolge sorgfältig ausgeführter Experimente, daß die Aufmerksamsfähigkeit, die Objektivität, das Gedächnis und die Einbildung eines normalen Menschen schnell und stark vermindert werden, wenn er künstlich der zahlreichen Anregungen, die laufend seine Sinne nähren, beraubt wird. (Sicht, Gehör, Tastgefiihl, usw.) Mit anderen Worten, das Seelenleben behält seine funktionelle Vollständigkeit nur, wenn es von naheliegenden Anregungen genährt wird; es ist interessant zu bemerken, daß ähnliche und monotone Anregungen auf die Dauer die gleiche Beeinflussung haben, wie überhaupt keine, und man darf nicht vergessen, daß ein Übermaß an Anregungen ein Erstarren der Empfangsapparate bewirkt, was schließlich genau so schwerwiegend wirkt wie das Fehlen von Anregungen. Quantitativsmäßig sind diese psychologischen Gesetze elementarisch. Man

tut gut daran, es sich in Erinnerung zu rufen, denn die Anzahl derer ist gering, die daran denken, die Augen ebenso fleißig zu ernähren wie den Bauch.

Wenn die quantitativen Bedürfnisse (die auch nicht immer respektiert werden) einmal vorbei sind, wird die Qualität unentbehrlich.

Es gibt ein Seelenverzeichnis, dessen Wert, von der Intuition schon erkannt, von modernen Forschungen bestätigt wurde: Es ist dasjenige der Einbildung, der Fantasie, dieser ganzen unterirdischen Aktivität, unterbewußt und unbewußt, der Umgestaltung und Verklärung der Wirklichkeit, bei der der Traum nur ein Teil davon ist, das Bemerkenswerteste aber nicht das Beständigste. Nun weiß man aber, daß jeder Mensch, wenn er von diesem unentbehrlichen Verzeichnis beraubt wird, auf kurz oder lang krank wird, körperlich oder seelisch.

Fragen wir uns also, was für eine Stütze die funktionellen heutigen Bauten für die Ausübung dieser Aktivität sind. Man muß zugeben, daß sie oft sehr gering und manchmal negativ ist. Nun kann aber kein Ort lebendig und bewohnbar sein, wenn er nicht die Eigenschaften einer symbolischen Resonanz besitzt. Um dieses Bedürfnis zu befriedigen, liebt es der Mensch manchmal, sich mit Sachen zu umgeben, die keine andere Zwecksmäßigkeit haben als einfach zu sein, und die ich „Phantasieträger “ oder „ Traumträger “ nenne. Man muß übrigens bemerken, daß das Symbol nicht sichtbar sein darf um zu wirken und seinen Charme zu behalten, das zeigt sich uns übrigens beim Umgang mit Kunstwerken, wo die symbolische Zirkulation, ähnlich wie die Blutzirkulation, zwar erraten und erfühlt aber niemals augenscheinlich wird.

Vermutlich sind die Größenverhältnisse bewohnten Raumes mehr in die Sinne fallend. Es ist wahr, daß die Größenverhältnisse, die Form und der Aufbau der Gesellschaftsräume in bemerkenswerter Art das Verhalten der dort verkehrenden Menschen beeinflußt.

Um es besser zu begreifen, begeben wir uns auf einen kurzen Ausflug in den Zoo. Viel intensiver als der Mensch organisiert in der Tat das Tier den Raum, in dem es lebt es hat im allgemeinen seinen Bezirk, der sein Lebens- und Jagdraum

Henri Lefebvre

ist, und es hat auch seinen körpernahen Raum, Gebiet aus dem sich schließen läßt, daß das Tier es lebt, wie wenn es ein Stück seiner selbst wäre, und dessen Umkreis man kritische Distanz nennt. Tatsache ist, daß das Tier es nicht zuläßt, daß diese kritische Distanz übertreten wird, Tatsache ist auch, daß, wenn es in einem zu engen Raum eingesperrt ist, es anfängt, rundherum oder ziellos hin und her zu laufen, auf immer gleichbleibenden Bahnen, nach der Art einer Maschine, so wie man es tatsächlich in mehreren Zoologischen Gärten beobachten kann. Diese Bewegungen sind absolut abnormal, sie erinnern an jene, die man bei gewissen schweren Geisteskranken beobachtet. Es ist also nicht überraschend, zu erfahren, daß die Einsperrung in einen engen und unförmigen Raum die Erscheinungen dieser steifen und eintönigen Bewegungen, die immer zusammen mit einer Art gedanklicher Erschöpfung und geistiger Entleerung auftritt, fördert und manchmal sogar herbeiführt.

Es kommt vor, daß ein Kranker auf einen engen Raum mit Angst oder Heftigkeit reagiert wie wenn er körperlich ersticken würde, im Gegensatz dazu kommt es auch vor, daß er sich inmitten eines großen Raumes buchstäblich verlassen und zugrunde gerichtet vorkommt.

Man denkt mit gutem Grunde, daß diese Erscheinungen der Aneignung des umliegenden Raumes auch beim normalen Menschen existieren, wenn auch mit einer weniger heftigen Entschlossenheit als beim Tier oder beim Kranken.

Aber er ist sich dessen nicht bewußt. Viele Leute leiden seelisch darunter, zusammengedrängt, einer nebeh dem anderen, leben zu müssen, aber auf unbestimmte Weise und ohne zu wissen, daß der Grund dafür derjenige ist, daß ihr persönlicher Raum andauernd übertreten wird. Sehr wenig Menschen wissen, wieviel Platz sie benötigen vor ihrem Schreibtisch, ihrem Fauteuil, oder ihrem Bett, um sich wohl zu fühlen, und doch existiert diese Distanz, sie ist nicht dieselbe für alle, und sie hängt nicht allein nur von der Bequemlichkeit ab.

Es ist bekannt, daß gewisse Raumstrukturen mehr zu bestimmten Beziehungen als zu anderen einladen. Um ein einfaches Beispiel zu

nennen, man weiß genau, daß ein Gruppengespräch nicht den gleichen Ton und eventuell auch nicht das gleiche Resultat hat, ob es an einem runden, oder an einem langen, viereckigen Tisch stattfindet.

Es gibt gewiß noch genug zu lernen über die Beziehungen zwischen Gesellschaft und Raum, wo sich die Architekten bis heute nur auf die Erfahrungswissenschaft und die Intuition verlassen haben.

Aber es gibt ein Gebiet, wo der Architekt wie auch der Psychiater ein bevorzugtes Beobachtungsfeld zu finden gedenken: Es ist das der psychiatrischen Gebäude, Spitäler und Kliniken, die in der Tat ein richtiggehendes ArchitekturLaboratorium bilden.

Man muß zugeben, daß die psychiatrische Architektur uns bis heute vor allem eine bemerkenswerte Ansammlung an Fehlern zur Anschauung stellt, und wie man weiß, haben die Fehler der Architektur ein langes Leben.

Man merkt hier, daß die psychologischen Bedürfnisse mit besonderer Schärfe eines der Dilemmen der Architektur zur Sprache bringen, das der Widerspruch eines sehr menschlichen, psychologischen Dilemmas ist. Soll man geschlossene oder offene Wohnungen bauen ? So, oder so, diese Frage muß verworfen werden. Die Wohnungen müssen gleichzeitig offen und geschlossen sein. Der Mensch hat immer sein Bedürfnis an Sicherheit und sein Bedürfnis an Freiheit zu vereinigen, und die Kunst der Architektur ist es auch, es zu verstehen, in ihren Werken das Bedürfnis an Grenzen und an Ausdehnungen zu vereinigen, die beide in der Natur des Menschen eingeprägt sind: Die Hülle und die Erhebung.

Es ist vernünftig zu erachten, daß die Architektur einer der wahrsten Widerscheine einer Zivilisation ist, auf ihrem Niveau befindet sich der technische Werdegang, der psychologische Werdegang, der gesellschaftliche und der ästhetische Werdegang. Aber die Architektur ist nicht nur ein Widerschein des Menschen, auf eine gewisse Weise beeinflußt sie ihn auch.

Die Beziehungen zwischen dem Menschen und seiner Architektur sind sehr intim, wie jede Vereinigung braucht auch diese, um glücklich zu sein, viel Wissen und viel Liebe.

Humanismus und Städtebau - Einige Vorschläge

I. Die Laufbahn des alten „ klassischen “ Humanismus ist seit langem abgeschlossen, und schlecht dazu. Er ist tot. Sein mumifizierter, einbalsamierter Kadaver ist schwer und riecht nicht besonders gut. Er hält viele öffentliche wie private Plätze besetzt, unter dem Schein des Menschlichen in Kulturfriedhöfe verwandelt: Museen, Universitäten, diverse Veröffentlichungen. Dazu neue Städte und einige Städtebaurevuen. Trivialitäten und Gemeinplätze hüllen sich in diesen Einband: „menschliche Skala", „ menschliches Maß “, „ Dienst am Menschen “.

Während wir uns Maßlosigkeit aneignen und „ etwas “ im Universumausmaß schaffen sollten.

II. Dieser alte Humanismus fand seinen Tod in den Weltkriegen, während der demographischen Flutwelle, die die großen Massaker begleitet, unter den Erfordernissen des wirtschaftlichen Wachstums und Wettbewerbs und unter dem Stoß der schlecht beherrschten Techniken. Er formt nicht einmal eine Ideologie mehr, kaum ein Thema für öffentliche Ansprachen oder Provinzjournalisten (diese Provinz erstreckt sich bis ins Herzen von Paris).

III. Erst neulich hat man wieder laute Schreie ausgestossen, als ob der Tod des klassischen Humanismus mit dem des Menschen gleichzusetzen wäre. „ Gott ist tot und mit ihm der Mensch “. Vorsicht! Diese in Erfolgsbüchern verbreiteten Formeln („ Die Worte und die Dinge", von Michel Foucault, zum Beispiel), von einer verantwortungslosen Publizität aufgegriffen, haben nichts Neues an sich. Nietzsches Betrachtung begann vor ungefähr einem Jahrhundert, anläßlich des Krieges von 1870-71, schlimmes Vorzeichen für Europa, seine Kultur

und Zivilisation. Als Nietzsche den Tod Gottes und des Menschen verkündete, ließ er keine gähnende Leere: er füllte sie nicht mit Zufallsstoff, Sprache und Linguistik. Er verkündete das Übermenschliche, dessen Erscheinen er sah. Er überwand den Nihilismus, den er diagnostizierte. Unsere Autoren, die aus den theoretischen und poetischen Schätzen des XIX. Jahrhunderts bare Münze schlagen, stürzen uns von neuen in diesen Nihilismus. Wenn der Mensch tot ist, für wen werden wir bauen? Warum bauen? Wobei unwichtig, ob die Stadt verschwunden ist oder nicht, ob man sie neu entdecken muß, auf neuen Fundamenten wiedererstellen oder sie überholen muß. Unwichtig ist, ob Terror regiert, die Atombombe abgeworfen wurde oder nicht, ob der Erdplanet auseinanderbricht oder nicht. Welche Bedeutung? Wer denkt, wer spricht noch und für wen? Wenn Sinn und Endzweck verschwinden, wenn wir sie selbst nicht einmal erklären, in der Praxis schaffen können, dann besitzt nichts mehr Bedeutung oder Interesse.

IV. Der alte Humanismus entfernt sich. Er verschwindet, selbst das Heimweh vergeht und wir wenden uns immer seltener um, um seine quer über die Bahn liegende Form wiederzusehen. Er war die Ideologie der liberalen Bourgeoisie. Er beugt sich über das Volk und seine Leiden. Er deckte, stützte die Rhetorik der schönen Seelen, der großen Gefühle, der guten Gewissen. Er setzt sich aus griechisch-lateinischen Zitaten, bestreut mit etwas Juden-Christentum, zusammen. Ein schrecklicher Cocktail, eine Mischung zum Erbrechen! Einzig einige Intellektuelle (linksgerichtete) finden noch Geschmack an diesem traurigen Getränk. Weder Revolutionäre, noch

offene Reaktionäre, weder Dionysier noch Appolonier lassen sie ihre Kompromisse, die den Taufnamen „ Humanismus “ erhalten, weihen.

V. Wir müssen nach einem neuen Humanismus streben, das heißt nach einer neuen Praxis und einem neuen Menschen. Indem wir den Mythen, die dieses Streben bedrohen, entrinnen, indem wir die Ideologien, die von diesem Vorhaben ablenken, vernichten. Das Stadtleben hat noch nicht begonnen. Wir werden die Überreste einer tausendjährigen Gesellschaft, in der das Land die Stadt beherrscht hat, inventieren, einer Gesellschaft, deren Ideen und „ Werte Tabus und Vorschriften zum größten Teil agraren Ursprungs waren, mit ländlicher und „ natürlicher “ Dominante. Kaum, daß sich sporadisch Städte aus dem ländlichen Ozean erhoben. Die Agrargesellschaft war (und ist es noch) eine Gesellschaft des Nicht-Überflusses, des Mangels, der akzeptierten oder verweigerten Entsagung, der Verbote, die die Entbehrung etablierten und regelten. Entscheidende Bemerkung: die Krise der traditionellen Stadt begleitet die Weltkrise der ebenfalls traditionellen Agrarzivilisation. Sie gehen zusammen und teilweise fallen sie sogar zusammen. Unsere Aufgabe ist es, diese doppelte Krise zu lösen, besonders indem wir mit der neuen Stadt ein neues Leben in der Stadt schaffen.

VI. Das „ wir “ im vorhergehenden Satz hat nur die Bedeutung einer Metamorphose. Es bezeichnet die Interessierten. Weder der Architekt, noch der Städtebauer, noch der Soziologe oder der Ökonom, weder Philosoph, noch Politiker können neue Formen und Beziehungen

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durch Erlaß aus dem Nichts schaffen. Einzig das soziale Leben (die Praxis) in seiner globalen Schöpfungsfähigkeit besitzt eine solche Macht.

Oder nicht. Die oben genannten Leute können, einzeln oder in Gruppen, den Weg freimachen, sie können auch Formen vorschlagen, versuchen und vorbereiten. Und besonders die gewonnene Erfahrung inventieren, die Lehre aus den Mißerfolgen ziehen und durch eine mit Wissenschaft genährte Mäeutik dem Möglichen bei der Geburt helfen.

VII. Wir wollen hier auf die Dringlichkeit einer Umformung der intellektuellen Konzepte und Instrumente hinweisen. Da wir hier anderswo verwendete Formulierungen wiederaufnehmen, sind einige noch wenig vertraute geistige Schritte unumgänglich: a) Die Transduktion. Sie ist eine intellektuelle Operation, die methodisch fortgeführt werden kann und unterscheidet sich von der klassischen Induktion und Deduktion, aber auch vom Modellbau, dem Schein und der Aufstellung von Hypothesen. Die Transduktion erarbeitet und konstruiert einen theoretischen Gegenstand, ein mögliches Objekt, ausgehend von Informationen, die sich aufdie Wirklichkeit beziehen, sowie von einer von dieser Wirklichkeit gestellten Problematik. Die Transduktion setzt ein unablässiges Feed-back zwischen dem benutzten Konzeptrahmen und der empirischen Beobachtung voraus. Ihre Theorie (Methodologie) verleiht den spontanen Geistesoperationen des Städtebauers, Architekten, Soziologen, Politikers und Philosophen Form. Sie bringt Kraft in die Erfindung und Kenntnis in die Utopie.

b) Die Experimentalutopie. Wer ist nicht Utopist, heutzutage? Einzig die hoch spezialisierten Praktiker, die auf Bestellung arbeiten, ohne die festgesetzten Normen und EinschränkJean Bosso

Ganze, das mehr als diese Aspekte, Elemente, Teile darstellt, bildet. Diese viel zu kurzen methodologischen Angaben erfordern eine Ergänzung. Unter den intellektuellen Instrumenten, über die wir verfügen, ist eines, das weder Geringschätzung noch das Privileg des Absoluten verdient, es ist dies das System der Bedeutung (oder Unter-System).

Wir wissen, daß der einfache Bewohner sein Bedeutungssystem (oder vielmehr sein „ Untersystem “) hat. Die Tatsache, hier oder dort zu wohnen, beinhaltet Empfang, Annahme und Übertragung eines solchen Systèmes, zum Beispiel das der „ Pavillonwohnung der neuen Städte oder der alten Viertel, usw.

Die Architekten scheinen Bedeutungsensembles aufgestellt und häufig dogmatisiert zu haben, die als solche schlecht bestimmt und unter die Vokabeln „ Funktion „ Form „ Struktur “ gestellt werden. Diese wurden nicht von wahrgenommenen und von den Wohnenden gelebten Bedeutungen aus erarbeitet, sondern ausgehend von der von den Architekten verstandenen und aufgestellten Tatsache des Wohnens. Es besteht aller Anlaß, dieses oft in Form eines extrapolierten Städtebaues, ohne weitere Verfahren oder Vorsichtsmaßnahmen, errichtete System zu formulieren.

Das System, das man zu Recht „ Städtebau “ nennen könnte, das den Sinn der alten Stadt wiederfinden würde, — das wieder an die Bedeutung der „ Wohnen “ (das heißt menschlich) genannten Praktik anknüpfen würde, das durch Transduktion zu diesen gewonnenen Tatsachen eine Theorie der bedeutungsvollen ZeitRäume fügen würde, — das eine sich von dieser theoretischen Ausarbeitung ableitende Praktik zeigen würde, dieser Städtebau existiert noch nicht.

schiedenen städtischen Attraktionsthemen versammeln wollte und die Stimmung des Faubourg Saint-Honoré, des Place des Vosges, der Rues de Tivoli, Bucci, Mouffetard... wie auch die Parkanstalten Monceau, Montsouris, Bagatelle,..., wieder auferstehen lassen wollte. Die Struktur des aufgebauten „ travelling “ ist als Zivilgenie behandelt worden. Die Auswahl der Fassaden wird ganz den Bewohnern überlassen.

Das Strassenverkehrsnetz des Umkreises ist

unsichtbar und den Bewohnern steht ein freier Platz von 1700m zur Verfügung.

Der Plan Bossus umschließt ebenfalls alle notwendigen Einrichtungen: Geschäfte, ein Warenhaus, öffentliche Verwaltungen, Kulturzentren, Ärzte und soziale Dienste, Kindergärten, Primarschulen, sportliche Einrichtungen und Garagen. Er zeigt zwei Seiten eines städtischen, verbesserten Zentrums und eines angepaßten Freizeitzentrums.

eine neue Schule zur Blüte, die einen beträchtlichen Beitrag zur Architektur unseres Landes und der ganzen Welt leistet.

„ In diesen für uns Russen so bemerkenswerten Jahren, sagt Melnikov, waren wir von einem unglaublichen Fieber gepackt, den Menschen ein neues Glück zu bereiten. Alles was sich im Innern eines jeden von uns erhoben hatte, war auf Erfahrungen und uneigennützigen Hoffnungen gerichtet und nach langen Jahren der Imitation entstand endlich eine großzügige Kunst. Die Architektur fand in den kraftvollen freischwebenden Formen der Strukturen ihre natürliche Ausdrucksweise wieder.

Die Erneuerungsbestrebungen, die sich in diesen Jahren am meisten durchsetzen, sind mit den Namen Tatlins, der Brüder Vesnin, Ladivskis, Guinsbourgs, El Lissitskis, Nikolskis. Krinskis und natürlich Melnikovs verbunden, der sehr bald einen großen Zuhörerkreis um sich hat.

Konstantin Melnikov nimmt in dieser Bewegung eine besondere und sehr zurückhaltende Stellung ein, seine Projekte und späteren Bauten aber lassen niemanden gleichgültig.

Melnikovs Credo drückt die tiefe Individualität seines Berufs aus: „ Die Schöpfung nimmt ihren Anfang da, wo man sagen kann, dies ist mein... “ Der Architekt hat einen außerordentlichen Sinn für die Form im Raum, er erfindet unermüdlich, er bringt die Funktion, den künstlerischen Ausdruck mit dieser Form in Einklang und sucht emotionell zu schockieren.

Er teilt nicht die Ansicht, derzufolge die Form

der Funktion folgt. Sobald letztere in allen ihren technischen Einzelheiten vorliegt, meint Melnikov, usurpieren die Techniker die Rolle des Architekten und entwerfen das Gebäude. Der Künstler braucht sich dann nur noch um seine äußere Erscheinung zu kümmern. Die Aufgabe des Architekten, versichert Melnikov, hat er einmal die funktionellen Erfordernisse erfaßt, besteht darin, in einem gegebenen Raum eine optimale Anordnung der Form zu erhalten und gleichzeitig auf der Suche nach der eigentlichen Bestimmung des Raumes zu sein. Darum bemüht sich Melnikov in allen seinen Entwürfen und genau das kommt im ersten seiner gebauten Projekte, dem Pavillon des Tabaksmonopols auf der Landwitschaftsausstellung von 1935, den er „ den großen Grauen “ (Makhorka) nennt, zum Ausdruck.

Hier werden zum ersten Male Verfahren sichtbar, die in der Folge das gesamte Werk Melnikovs charakterisieren werden: Zerlegung des Bauwerkes in Volumen verschiedener Höhen und Formen, Etagenflächen mit variablen Seiten, freistehende Partien, einflächige Dächer mit verschiedenen Winkeln, Außentreppen. Sein bekanntestes Werk aber bleibt der Nationalpavillon der UdSSR aus dem Jahre 1925, Höhepunkt der Weltausstellung der dekorativen und angewandten Kunst in Paris. Melnikov bebaut das gestreckte Rechteck des verfügbaren Geländes vollständig, läßt aber in der Diagonale eine breite Treppe hervortreten, die den Pavillon teilt. Eine über die Treppe hängende Struktur aus

Plan einer Siedlung

Der Plan einer Siedlung Jean Bossus, erster Versuch einer Lösung des städtischen Problems, entspricht der dringenden Notwendigkeit an städtischen Wohnwesen und Freizeit- und Entspannungsorten, indem die (Bewohnbarkeit) eines zentralen Laufes verstärkt wird und den 8000 Einwohnern 40ha Park zurfreien Verfügung gestellt werden. Mit 1800 Wohnungen ist dieses städtische Zentrum in ein doppeltes „ travelling “ gegliedert, wo Bossu auf 30 000 m2 alle verAnatole Strigalev

Constantin Melnikov

Der sowjetische Architekt Konstantin Melnikov, einer der glänzendsten Architekturpioniere des 20. Jahrhunderts, wurde im Jahre 1890 in Moskau geboren. Seine Berufsausbildung, die dem Bildungsstand der Akademien und Kunstschulen jener Zeit entsprach, kann wohl kaum als ausreichende Vorbereitung auf eine so außergewöhnliche Karriere angesehen werden.

An der Moskauer Akademie der schönen Künste studiert der junge Melnikov Vestibüle im kretischen, Bahnhofshallen im römischen, Kirchen im russischen und Kritgsmuseen im klassischen Stil. Im Jahre 1917 empfängt er sein Architektendiplom.

Bereits in seinen ersten selbständigen Arbeiten verwirft Melnikov die Nachahmung der historischen Stile und begibt sich auf die Suche nach einer Architektur, die seine Zeit ausdrückt, eine Epoche, in der die alte Welt zusammenstürzt, und die keinen Künstler gleichgültig lassen kann.

Melnikovs Anfänge fallen also mit der russischen Revolution zusammen. Es ist eine unglaublich schwere, aber ebenso packende Zeit. Ein neues Russland erhebt sich, eine neue Lebensweise, eine neue Kultur, neue menschliche Beziehungen entstehen.

Das eigentliche Bauhandwerk liegt jedoch darnieder. Nichtsdestoweniger erfährt die russische Architektur eine hektische Aktivität, die in zahllosen Wettbewerben, Vorschlag-Projekten, Fachdiskussionen und Polemiken in der Presse zum Ausdruck kommt. Sehr bald gelangt

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ungen auch nur der geringsten kritischen Prüfung zu unterziehen, einzig diese wenig interessanten Personen entgehen dem Utopismus. Alle Utopisten, die Prospektivisten inbegriffen, ebenso die Konstrukteure, die das Paris des Jahres 2000 projektieren, die Ingenieure, die Brasilia geschaffenhaben, und so fort ! Es gibt aber mehrere Utopismen. Der schlimmste ist jener, der anonym bleibt, sich mit Positivismus bedeckt und in Stellung den härtesten Zwang und den lächerlichsten Mangel an Technik auferlegt.

Die Utopie muß experimental betrachtet werden, indem man ihre Widersprüche und Folgen an Ort und Stelle studiert. Sie können überraschen. Welches sind, welches werden die sozial gelungenen Plätze sein? Nach welchen Kriterien? Hier liegt das Interesse.

VIII. Nächster intellektuel notwendiger Schritt: die drei Grundkonzepte, Struktur, Funktion, Form, zu unterscheiden, ohne sie zu trennen.

Ihre Anwendbarkeit und Tragweite kennen, ihren Gültigkeitsbereich, ihre Grenzen und gegenseitigen Beziehungen. Wissen, daß sie ein Ganzes formen, aber daß die Elemente dieses Ganzen eine gewisse Unabhängigkeit und relative Autonomie besitzen. Wird eines von ihnen privilegiert, so wird dadurch eine Ideologie, das heißt ein Begriffssystem geschaffen: Strukturalismus, Formalismus, Funktionalismus. Sie reihum gleichberechtigt zur Analyse des Wirklichen (das nie erschöpft sein wird und keine Rückstände läßt) benutzen sowie zur „ Transduktion “ genannten Operation. Wohl verstehen, daß eine Funktion mittels verschiedener Strukturen erfüllt werden kann, daß es kein gemeinsames Band zwischen den Begriffen gibt.

Daß Funktionen und Strukturen Formen annehmen, die sie offenbaren und verschleiern, — daß die Dreifachheit dieser Gesichtspunkte das

leichten, geneigten Platten stellt die Verbindung wieder her. Diese Struktur hat nichts Nützliches, soll aber in der Sprache des Architekten die Einheit der Republiken, die durch ihren gegenseitigen Beistand unser Land bilden, symbolisieren. Der Bau macht durch seine Originalität, seine Anmut, seinen freudigen Charakter und etwas Pathetischem zugleich einen großen Eindruck. Er war aus Holz und Glas ausgeführt und rot, mit einigen weißen Elementen gestrichen. Ein typischer Ausstellungsbau.

Die kapitale Bedeutung dieses Bauwerkes muß am Einfluß gemessen werden, den es auf die Entwicklung der Architektur und der modernen Industrieästhetik ausgeübt hat.

Melnikov zögert übrigens keinen Augenblick, diese Idee einer aus freistehenden, sich gegenseitig stützenden Elementen (die aber hier nur dekorative Bedeutung haben) geformten, räumlichen Struktur in ausschließlich konstruktiver Absicht zu verwenden.

Ein Jahr zuvor war in Moskau ein nach Melnikovs Plänen gebauter Markt entstanden, der sich aus einer Vielzahl zahnartig ineinandergreifender Zellen zusammensetzt. Diese Anordnung soll eine optimale Verbindung zu den Ausgängen und der im Zentrum gelegenen Verwaltung garantieren. Durch Verwendung lebendiger Farben soll ein ästhetischer und praktischer Zweck zugleich erfüllt werden: in die Reihen der Standardzellen ein Element der Verschiedenheit bringen und durch Bezeichnung jeder Warengruppe mit einer Farbe den Kunden orientieren.

Derlei Kompositionen tauchen bei Melnikov immer wieder auf, wie er es überhaupt liebt, mit Projektserien analogen Types, denen er jedoch jedesmal eine andere Lösung gibt, zu arbeiten.

Für die Ausstellung von 1925 in Paris erhält er den Auftrag zum Bau einer Garage für 1000 Taxi, für welche er mehrere Varianten entwirft. Eine davon bringt eine ganz außerordentliche Idee: eine Garage über der Seine, der Straßenverwaltung, einer Brücke und den anliegenden Vierteln liegend und somit Errichtung einer zweiten Bauzone über der alten. Bei dieser Gelegenheit arbeitet Melnikov den Entwurf zu einer ungeheuren, dreidimensionalen Struktur aus, die von zwei gigantischen, sich gegenseitig im Gleichgewicht haltenden Konsolen gebildet wird. Um dem Gefühl der Unsicherheit, das die in einem gewaltigen Gleichgewicht aufgehängten Massen bei den darunter gehenden Menschen auslösen könnte, entgegenzuwirken, stützt Melnikov sie an ihren Enden auf rein dekorative, mächtige Säulen. Erst 25 Jahre später wurde eine ähnliche Struktur geschaffen.

Melnikovs neue Auffassung von der Dimension macht sich vor allem in einer aktiveren und gesteigerten Verwendung der Diagonale bemerkbar: in der ebenen Fläche, der Fassade und im Schnitt. Diagonalen im Raum: Treppen, Konsolen, Loslösung des Daches, von einem gemeinsamen Punkt ausgehende Strahlenfächer.

Obwohl er diesem Verfahren eine große Einheit verleiht, wendet er es, ohne sich zu wiederholen, auf tausenderlei verschiedene Arten an und entdeckt dabei unaufhörlich unvorhergesehene Raumteile, neue Strukturen und Ausdrucksweisen.

Die Diagonale des Rechtecks ist länger als dessen Seiten. Indem die Diagonalen zu Achsen seiner Kompositionen werden, erhält er eine Erweiterung des verfügbaren Raumes und seine Gebäude scheinen im Innern größer als die Betrachtung von außen ahnen läßt.

Melnikov drückt das so aus: „ Meine besten Hilfsmittel waren die Symetrie außerhalb der Symetrie, die unendliche Geschmeidigkeit der Diagonale, die gediegene Dürftigkeit des Dreiecks und die unwägbare Masse der Konsole Seine besondere Vorliebe für Diagonalachsen gestattet es ihm, sie auf so statisch gehaltene Formen wie Kreis und Zylinder anzuwenden.

Sein Entwurf zum Zouievklub (1927) beruht auf der Durchschneidung fünf zylindrischer Räume verschiedener Höhe, die an einer Längsachse aufgereiht sind. Der Abstand zwischen Zylinderhöhe und Bodenseiten betont

darüber hinaus die Vorherrschaft der schrägen Mittellinien in der Innenkomposition.

Die ersten Entwürfe zum Haus des Architekten stammen aus dem Jahre 1918. Eine der Varianten besteht aus einer Kreisebene, die sich nicht den Radien sondern dynamischeren Schrägen unterordnet. Eine andere aus einer Quadratfläche, die durch einen Patio aus sich überschneidenden, aber weniger als die Diagonalen betonten, Flächen geteilt wird. In beiden Lösungen bildet ein großer Kamin den Mittelpunkt. Im endgültigen Bauplan (1927-28) nimmt Melnikov das Zouievverfahren wieder auf, diesmal aber den Umständen entsprechend auf zwei Zylinder beschränkt. Längs einer Nord-Süd-Achse angeordnet überschneiden sie sich mit einem Drittel ihres Durchmessers. Auf das leicht angehobene Erdgeschoß sind Eingang, Eßzimmer, einige Küchenräume, Bad und Toiletten verteilt. Im zweiten Stock befinden sich Aufenthaltsraum, durch eine zwanzig Quadratmeter große Fensterfront ins Sonnenlicht getaucht, Schlafzimmer und Studio, beide mit Hängeböden und durch Dachfenster (38) gleichmäßig erhellt.

Die zylindrische Gestaltung der Nordfassade und die Anordnung der Fenster beschränken deren Nachteile auf ein Minimum.

Diese Symmetrie außerhalb der Symmetrie vermittelt einen Eindruck außerordentlicher Vertrautheit. Was beim Betrachten des Äußeren als Formalismus erscheint, wird im Innern zu Wärme, Lyrismus und Bequemlichkeit.

Obschon er die Raumstudien F. L. Wrights sehr hoch schätzt, hält Melnikov den fortlaufenden Innenraum nicht für absolut notwendig. Der Gesamtraum soll sicherlich in jedem Punkt fühlbar sein, aber nicht auf Kosten der Bequemlichkeit, die durch eine Aufteilung vermindert wird.

Daß die Architektur dem menschlichen Auge gebietet wie etwa die Musik dem Ohr ist dem Meister höchstes Gebot. Bei jeder Gelegenheit will er ein architektonisches Thema entdecken, das auf Grund seiner Eigenschaften eine gewisse Eindrucksfolge, den gesuchten Ausdruck vermittelt. Melnikovs Ideen bauen auf dem Willen auf, den Bedürfnissen „ der rätselhaften aber wirklichen Welt unserer Sinne zu entsprechen.“ In seinen Augen bleibt die Übereinstimmung des architektonisch gestalteten Gebäudes mit den komplexen und mannigfaltigen Regeln der Natur oberstes Kriterium. „ Ich liebe eine natürliche, von Menschen geschaffene Ästhetik,“ so formuliert er es.

Die Suche nach einer dynamischen Architektur mit bewegten Räumen ist ein anderer Aspekt seines Werkes. Als Kind fiel ihm auf, wie ein einziger Mann durch Betätigung einer Drehscheibe die ungeheure Masse einer Lokomotive bewegte. Die Drehung großer Massen stellt also keine besonderen technischen Probleme... 1925 erhält er im Wettbewerb um eine Zweigniederlassung der Leningrader Pravda in Moskau den ersten Preis. Die Beschränktheit des Bauplatzes macht eine vertikale Konstruktion notwendig.

Das Gebäude soll originell sein und ist für eine umfassende und oft erneuerte Publizität gedacht.

Der Architekt schlägt eine Gruppe von fünf identischen, übereinanderliegenden und verglasten Zylindern vor. Alle haben eine trapezoide, nach außen hin erweiterte Fensterfront. Die vier oberen Zylinder drehen sich unabhängig um eine Zentraltreppe und lassen sich unter jedem beliebigen Winkel festsetzen, wodurch der Gesamtaspekt des Bauwerkes eine Unzahl von Kombinationen erlaubt.

Auf diese Idee von der Rotation einer bedeutenden, architektonisch gestalteten Masse kommt Melnikov anläßlich des Wettbewerbes für das Christoph-Kolumbus-Memorial in Santo Domingo (1928) zurück. Sein Entwurf stellt zwei umgekehrte, an ihren Gipfeln vereinigte Kegel vor, an deren Schnittpunkt das Grabmal Kolumbus' liegt, Symbol der Vereinigung von Neuer und Alter Welt durch die Entdeckung des großen Seefahrers. Der obere Kegel trägt dreieckige, vom Winde bewegte Schaufelblätter. Dadurch wird das Denkmal beweglich, seine Formen veränderlich. In der oberen Basis des Kegels sammelt sich Regenwasser und

fließt aufeine das Grab schiitznde Glaseinfassung herab. Ein durch die Schaufelblätter betätigter Reguliermechanismus leitet überschüssiges Wasser in eine Turbine, die das Gesamtwerk dreht.

Es war sichtlich eine kosmische Auffassung vom Memorial, die dem Architekt die Einbeziehung der Elemente Wind, Wasser und Tropenregen eingab.

Einer weiteren Anwendung des Rotationsgedankens begegnen wir im Projekt zum Theater der Moskauer Gewerkschaften (MOSPS).

Der Saal mit seinen 3000 Plätzen hat die Form eines abgestumpften Kegels, der fünf Balkons und ein geräumiges Parterre enthält. Zwei voneinander unabhängige Maschinerien können es beliebig an eine der drei Szenen anschließen, die, in Ausmaß und Bestimmung verschieden, nach den Radien des Saales angelegt sind.

Diese Idee wurde bekanntlich in der Folge wiederholt aufgenommen, auch von Melnikov der zwischen 1927 und 1929 sieben Arbeiterklubs, wovon sechs gebaut wurden, entwirft und die einen sehr interessanten Teil seiner Tätigkeit bilden.

Die Programme von Klub und Theater unterscheiden sich, obgleich verwandt, beträchtlich.

Ein Klub ist ein weniger repräsentatives, auf verhältnismäßig kleinen Raum beschränktes Mehrzweckgebäude. Um ein Maximum an nutzbarer Fläche zu erhalten, beginnt Melnikov, einen Teil der Treppen nach Außen zu verlegen und ein System von Sälen verschiedener Form, Bodenfläche und Höhe zu konstruieren. Der Moskauer Roussakov-Klub ist wohl Melnikovs bekannteste und umstrittenste Konstruktion dieser Art. Die Komposition gruppiert sich um zwei fühlbare, sich treffende Achsen. Die erste, beinahe zentripetale, ist auf Saal und Szene ausgerichtet, die zweite, symmetrische, verleiht dem äußeren Volumen durch eine zentrifugale Bewegung der Massen Rythmus. Freitreppen verhaften das Gebäude gut am Boden, aktive und gewichtige Konsolen fügen es glücklich in seine städtische Umgebung ein. Der Klub ist um einen flächenmäßig aufgeteilten Saal, der durch bewegliche Trennwände verschieden aufgeteilt werden kann, gruppiert, wodurch sechs unabhängige Auditorien entstehen.

Analoge Umformungssysteme finden sich in einer Variante zum Zouiev-Klub, im Kleinen Klub der Frunzewerke, im großen Saal des Maxim-Gorki-Kulturpalastes und dem Klub der Bourevestnikwerke. Unter den, entfernbaren, Böden der beiden letztgenannten Klubs hat Melnikov Schwimmbäder vorgesehen und die Gesamtanlage ist so konstruiert, daß eine wirklich polivalente Benutzung möglich wird.

Mit dem Roussakov-Klub verwandt ist der Arbeiterklub, den er in Dulevo (bekannt für seine Porzellanmanufaktur) errichtet. Hier war der Architekt vom Wunsch geleitet, das Gebäude mit dem umliegenden Park zu verbinden. Die Szene dient sowohl dem Saal als auch einem im Park gelegenen Amphitheater.

Die Erweiterung des Saales geschieht durch Verbindung mit einem etwas höher und zurückgesetzt gelegenen Raum. Hier zeigt sich besonders sein Streben nach einer reichen, je nach Standpunkt veränderten Folge von Eindrücken — ein für zahlreiche Bauten Melnikovs sehr charakteristischer Aspekt.

Melnikovs Studien verführen durch eine unaufwägbare Phantasie, eine erstaunlich weitgehende Auffassung vom Raum, eine sichtbare Abstufung.

Manchmal aber entsteht bei der äußerlichen Betrachtung seiner Bauwerke der Eindruck eines Maßstabverlustes im Verhältnis zum Projekt. Ein Eindruck, der sich beim Betreten des Gebäudes auf Grund des Reichtums der räumlichen Aufteilung, der Vielzahl der Gesichtspunkte und des Überraschungseffektes noch verstärkt.

Ein Verstehen seiner Pläne setzt ein solides Raumgefühl und die Aufbietung des gesamten Vorstellungsvermögens voraus. „ Die Architektur im Entwurf sehen, bedeutet dasselbe wie Musik aus der Partitur hören, „ sagt Melnikov." Es macht keinen Unterschied, wenn nur der Schöpfer einer Symphonie diesen ungeheuren Vorteil hat, ihre Aufführung verlangen und somit

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eine korrekte Wertschätzung seiner Arbeit schaffen zu können Nach Meinung Melnikovs krankt die Nachkriegsarchitektur daran, daß sie weiterhin im Arsenal der Ideen aus den Zwanziger Jahren schöpft und sich von einer, hauptsächlich technischen, Flut von Neuigkeiten überschwemmen läßt. „ Die Kunst der Architektur führt zur Zeit einen harten Konkurrenzkampf, schreibt Melnikov, und man ist dabei, ihr einen gewissen Status zu verleihen. Nur die oberste Schicht, von einer recht widerlichen Schönheit, wird noch Architektur genannt, während alle Eingeweide, die gesamte Struktur dem Ingenieur

H. Robert Von der MÜhll

Zum

75.

Geburtstag Richard

Richard J. Neutra, geboren in Wien am 8. April 1892, hat nicht nur Weltruhm, sondern unzählige Ehrungen erworben. Bei der Eröffnung seiner Werke in Wien hat ihn der Kanzler als einen der besten Söhne des Landes begrüßt.

In Amerika, in Russland, in Italien, in Nordafrika, in Indien und in der Schweiz, überall sind lobende Stimmen erklungen, die die außergewöhnlichen Gaben Neutras gepriesen haben.

Das Fernsehen wird einen Film über die Bauten Neutras bringen, wo nicht nur die technischen, sondern auch die menschlichen Werte der Architektur hervorgehoben werden.

Der Mensch und sein Verhalten im gebauten Raum gelten Neutra mehr als das Aussehen der eigentlichen Bauten, wenngleich dieses auf die Bewohner eine dauernde Wirkung ausübt. Als Schüler Otto Wagners und Bewunderer seines Mitbürgers Adolf Loos hatte er in Amerika

Roberto Segre

J.

die Schule der Malerei an der Moskauer Kunstakademie absolviert und diese Ausbildung war, obwohl er als Maler immer Traditionalist geblieben war und niemals formelle Versuche unternommen hat, für sein gesamtes Werk ein wertvoller Umstand. Die ganze Kühnheit seiner Forschungen, die Unzufriedenheit über seine Werke von gestern, der Wille unabläßig erneuerte Formen in den Dienst des Menschen zu stellen, war bei diesem Manne auf die Architektur konzentriert. In den Augen Konstantin Melnikovs ist sie die vollständigste Kunst, die wahrhaft unerschöpfliche Wirkungsfälngkeit des Ausdrucks in sich birgt.

Neutra

Gelegenheit, das Werk von Sullivan und Frank Lloyd Wright wertschätzen zu können.

Seine Werke aufzuzählen ist hier nicht der Ort, es dürfte bei der Unzahl von Objekten zu weit führen. Drei Bände, die in der Schweizerschienen sind, zeigen erschöpfend Neutras Wirken und Schaffen.

Stets nimmt der menschliche Gehalt den ersten Platz ein. Als wir vor Jahren (es war zur Zeit des dritten internationalen Kongresses für neues Bauen in Brüssel) in Antwerpen die Hafenanlagen besuchen sollten, schlug mir Neutra vor, lieber im Dom die Kreuzabnahme von Rubens zu besichtigen, indem er es vorzog, ewige Kunstwerte zu würdigen statt sich mit technischen Errungenschaften vergänglicher Art abzugeben.

Zur Zeit der Landesausstellung in Lausanne 1964, der er besondere Aufmerksamkeit und großes Interesse bezeugte, war es mir vergönnt, ihn dem berühmten Maler Dunoyer de Segonzac

vorzustellen, wobei beide angeregt über die immer stärker werdende Auflösung der Formen und Farben sprachen, eine Erscheiung, die im Städtebau der immer größeren Sprengung der menschlichen Siedlungen entspreche.

Für Neutra bedeutet dies die große Gefahr und Bedrohung des Menschen; in diesem Sinne muß der Ausdruck der biologischen und bio-somatischen Architektur als Heilmittel verstanden werden.

Um seinen Ideen festen Grund zu verleihen, hat Neutra, außer seinem eigenen Wirken verschiedene Institute gegründet, die durch Tat und Schrift die Probleme des Bauens erforschen sollen, so in Amerika, in Österreich und in der Schweiz.

Wir möchten es nicht verfehlen, bei Gelegenheit des 75. Geburtstages des Meisters in das allgemeine Lob einzustimmen und ihn als einen der großen Architekten der Gegenwart zu rühmen.

Die kolonialen Befestigungsanlagen Kubas

Die Angriffsmittel des 20. Jahrhunderts haben eine Militärarchitektur überflüssig gemacht.

Angesichts der Atombombe ist keine architektonische Verteidigung mehr möglich. Übriggeblieben ist nur eine Negation der Architektur, die im Bau von Raketenschächten und komfortablen Schutzkavernen, in denen die Menschheit auf Überleben hoffen kann, zum Ausdruck kommt.

Der moderne Krieg wird von zwei extremen Gesichtspunkten bestimmt, der Interkontinentalrakete und dem Einzelkampfin offenem Gelände.

Da die heutigen Militärbauten nur einem organisatorischen und keinem operativen Zweck mehr dienen, bilden die Verteidigungsanlagen der Vergangenheit eine architektonische Erfahrung, die nicht allein historisch, sondern auch plastisch, räumlich, städtebaulich und stimmungsmäßig, also menschlich ist. Die Bürgendes Mittelalters und die Städte der Renaissance waren definitiv der physische Rahmen, innerhalb dessen sich das soziale Leben einer Gemeinschaft abspielte. Auch geben die Militärbauten, deren Formen sich bisweilen an die Natur anlehnen, bisweilen ihr entgegenstehen, Aufschluß über die Beziehungen des Menschen zur Natur. Das Genie eines Boullé verwendet gigantische Steinmassen, um die absolute Klarheit der Vernunft auf der Stufe der menschlichen Gemeinschaft darzulegen. Louis Kahn’s Studium der Massenvolumen ließ uns die vom zeitgenössischen Elementarismus vergessenen geometrischen Regeln wiederentdecken, die beim Bau der Räume und Volumen abgrenzenden Mauern verwendet wurden. Die Militärarchitektur wurde fälschlicherweise immer als eine Gesamtheit von Ingenieurtaten betrachtet, doch haben technische Momente wie Strategie und Ballistik tatsächlich nie die Wahl eines Bautypes entschieden. Ohne Zweifel entsprechen die gewählten Formen mehr einem extremen Respekt der Funktion als einer Stilforschung, doch finden sich auch die für uns allein repräsentativen Elemente von Form, Volumen und Raum.

Während des Mittelalters bildete das direkte Verhältnis von Mensch zu Mensch, von Angreifer zu Verteidiger, das allein ausschlaggebende

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überlassen bleiben, der, seinen Kopfzerbrechend, die Kunst vernichtet Nicht daß Melnikov die Bedeutung der Technik für die heutige Architektur unterschätzt. Seine eigenen Werke und Projekte sind ausreichende Zeugen seines tiefen Struktursinnes und seiner beständigen Suche nach neuen, noch brachliegenden Formeln. Aber er bemüht sich gleichzeitig um die Bejahung „ der Seele der architektonisch gestalteten Struktur. Es verstehen, sie zum Leben zu erwecken, bedeutet Architektur schaffen Vor seinem Architekturstudium hatte Melnikov

Kriterium. Das beschränkte Waffenarsenal jener Zeit erlaubte eine große Freiheit in der Gestaltung und ließ den Einfluß der natürlichen Umgebung stark hervortreten. So wurde beim Bau der damaligen Befestigungsanlagen vor allem die „ organische “ Strukturierung, das heißt die klare Grenze zwischen der natürlichen Umgebung und dem abgeschlossenen inneren gesellschaftlichen Rahmen, der Burg-Einheit, berücksichtigt.

Mit dem Aufkommen der Feuerwaffen in der Renaissance verändern sich nicht nur die zwischenmenschlichen Beziehungen sondern auch die architektonischen Formen. Die Unerbittlichkeit der physikalischen, geometrischen und mathematischen Gesetze wird in den trapezoidalen Bastionen, den polygonalen oder sternförmigen Mauern und den Gevierten sichtbar, die sich auf die Erkenntnisse Leonardo da Vincis, Filaretis und Franzesco di Giorgios gründen. An Stelle der Burg-Einheit wird die Stadt-Einheit zur Grundlage der Verteidigungsstruktur. Michelangelo weist aber nach, daß das technisch und wissenschaftlich objektive Moment der Geschoßbahn nicht unbedingt eine architektonisch feststehende Gestaltung bedingt. Die Befestigungen von Florenz sind plastisch, menschlich und dynamisch.

Die größte, während des Barock, erreichte Komplexität und Wirksamkeit der Waffen führt zu jenem von Vauban geschaffenen architektonischen System, das die Quadratform der Renaissance mit der dynamischen Konzeption Michelangelos verbindet und einer abgestuften Folge von Formen und Räumen gleicht.

Die amerikanischen Festungen sind keine einfache Übertragung europäischer Konzeptionen. Ihre Originalität leitet sich vielmehr vom historischen Grundphänomen ab: Spanien erobert einen märchenhaft reichen Kontinent, den es gegen die übrigen europäischen Großmächte zu sichern hat. St. Jean de Porto Rico, Santo Domingo, Portobelo, Carthagena, Veracruz und Havanna bilden das Rückgrat dieser Verteidigung, und die Basen der alljährlich nach Spanien segelnden Silberflotten. Die Wahl dieser Häfen erklärt sich aus den Wind- und

Strömungsverhältnissen, die das Befahren einer bestimmten Route notwendig machen: Einfahrt in den Golf von Mexiko über die Kleinen Antillen, Ausfahrt zum Nordatlantik durch die Meerenge von Florida.

Spaniens Macht zu jener Zeit ist so groß, daß seine Rivalen England, Frankreich und Holland Eroberungen durch traditionelle Kriege als aussichtslos ansehen müssen und sich daher auf den wirtschaftlicheren und sparsameren Seeräuberkrieg verlegen. Aber der unerbittliche Terror, den berühmte Männer wie Drake, Hawkins, Morgan, Hein und de Sores auf die spanischen Häfen und Flotten ausüben, zwang Spanien, beträchtliche Summen in den Bau eines wirkungsvollen Festungskranzes zu investieren.

Gerade die Periodizität der Flottenüberfahrten und die dadurch bedingte Häufung der Schätze in den karibischen Häfen machten diese Überfälle zu Millionenobjekten.

Ebenso wie die Ausbeutung eines ganzen Kontinentes zu dieser Zeit der kapitalistischen Anfänge neu war, so stellte auch die Schaffung einer internationalen Verteidigungsstruktur ein originelles Problem. Spanien, das gerade den mit medievalen Mitteln geführten Wiedereroberungskrieg gegen die Araber beendet hatte, war außerstande, es zu lösen. Daher berief es ausländische, mit der modernen Kriegstechnik vertraute Fachleute, unter denen sich die italienische Familie der Antonellis besonders hervortat.

In der Zeit von 1537 bis 1555 war Havanna zwei Mal ein Opfer der Piraten geworden. Seine mit geringem technischen und finanziellen Aufwand errichteten Forts waren eine Übertragung der Verteidigungsprinzipien der Renaissance, und den besonderen Gegebenheiten unangepaßt. Sie zeugen jedoch wie am Beispiel des von Bartholomäus Sanchez 1550 erbauten Schlosses der Herrscher zu ersehen ist, vom Wirken einer im Steinbau erfahrenen Arbeitskraft. Es wird von einer kompakten, quadratischen Steinmasse gebildet, deren Inneres einen Patio formt. Die vier trapezoidalen Bastionen sind gleichzeitig Unterkünfte der Besatzung. Es ist die erste Festung Amerikas, die den kämpfenden Ritter in ihre Kasematten einschließt. Trotz ihrer

gewaltigen Ausmaße spielte sie bei der Verteidigung Havannas nie eine entscheidende Rolle, und diente nach der Errichtung der Festungen Mono und Punta den Gouverneuren als Residenz. Die Tatsache, daß die amerikanischen Städte am Meeresufer oder in tiefen Buchten lagen und die Angreifer stets den Seeweg benutzten, machte italienische Verteidigungsprinzipien unanwendbar. Eine wirksame Verteidigung mußte also schon am Eingang zu den Raden beginnen und bedingte den Bau von Forts als einer Verlängerung der Stadtbefestigungen.

In diesem Sinne wurde die Fuerza-Festung gebaut, die mit den Stadtmauern verbunden war, jedoch die umliegenden Hügel, von denen aus Havanna leicht verwundbar war, völlig ungedeckt ließ.

Das Werk Battista Antonellis, später von seinem Sohn Jean-Battista und von Cristobai de Roda fortgeführt, weicht von den zeitgenössischen Schemata beträchtlich ab. Ihm sind die Festungen von Cartagena und Santo Domingo, der Mono von Puerto Rico, die Häfen von Veracruz und der Insel San Juan de Uhia, das Schloß von Santiago de Araya in Venezuela und die Festungen Morro und Punta in Havanna zu verdanken.

Die Lage der drei Hauptfestungen Lateinamerikas, Havanna, Santiago und ein Jahrhundert später San Carlos de la Cabana, auf der wirtschaftlich bedeutungslosen Insel Kuba hat besondere Gründe: die Existenz von natürlichen Häfen und die Lage der Insel inmitten des bogenförmigen Seeweges, dessen wichtigste Passagen, der Kanal von Florida, mit dem Fort St. Augustin, und die Meerenge der Bahamas, mit den Festungen Matanzas und Baracoa, somit ausreichend geschützt waren.

Wie viel der spanischen Krone an der Sicherung ihrer Schatzkammer lag geht aus der formellen und technischen Perfektion der Militäranlagen und der primitiven Architektur der Städte hervor. Das Gebot der doppelten Verteidigung zu Lande und zur See führt zum langsamen Verfall der starren Renaissancesysteme. So weisen die Festungen San Salvador de Punta in Havanna (1590), Santiago de Araya in Cumana (1604) und Fuerza in Havanna eine Quadratform mit asymmetrischen Verlängerungen auf. Letztgenannte Festung wird aber unter der Leitung Antonellis durch zwei Forts, deren Kreuzfeuer den Eingang zur Rade verbieten, ersetzt. Die Festung Très Reys del Morro (1589-1630), auf einem unregelmäßigen, felsigen Vorgebirge gelegen, ist hingegen terrassenförmig angelegt, wordurch ein abgestuftes

Pierre-A. Emery

Kanonenfeuer erhalten wird. Die Terrassenmauern sind von einer klaren und sauberen geometrischen Perfektion, die die beiden Hauptvolumen in einem Kontrast von Licht und Schatten erscheinen läßt. Ihre Steinmasse ist eine Herausforderung an die zerbrechlichen Skelette der angreifenden Schiffe. Auf der Landseite finden sich natürlich massive, beinahe symmetrische Bastionen. Der tiefe Trockengraben und der enge, gewölbte Durchgang machen den Felsen zu einer von Menschenhand geschaffenen Insel. Da die Morro-Festung abseits der Stadt liegt, mußte ihre Gestaltung den Bedürfnissen einer unabhängig lebenden Gemeinschaft Rechnung tragen. An Stelle des offenen Patio treten nun Gebäude und Wege, die zu den Bastionen und Terrassen führen. Diese bilden zusammen mit den notwendigen Rampen eine dynamische Struktur. Dieses Bauwerk Antonellis vereinigt zwei entgegengesetzte Traditionen: die organische Einfügung in die Natur, Erbe des Mittelalters, und die geometrische Abstraktion des Renaissancerationalismus.

Mit seinen drei bedeutenden Festungen und seinen gewaltigen Mauern, die die Angriffsmittel der Piraten weit übersteigen, wird Havanna zum Schlüssel des karibischen Verteidigungssystemes und zum Mittelpunkt des ersten kolonialen Handelskomplexes.

Der Morro von Santiago de Cuba gehört mehreren architektonischen Epochen an. 1643 begonnen, durch einen englischen Angriff 1662 zerstört, 1678 durch ein Erdbeben stark beschädigt, gelangte er schließlich zu Beginn des 18. Jahrh. zur Vollendung. Er erinnert stark an den Morro von Havanna, absorbiert aber den Höhenunterschied von 80 Metern zwischen der oberen Plattform und dem Meer vertikal. Die geschlossene, in sich autonome Form macht massiven kubischen Volumen, die sich wechselseitig den Diagonalen der Rampen und Treppen entgegenstellen, Platz und da die Terrassen untereinander durch eine Reihe von Unter-Wällen und Dämmen verbunden sind, fügt sich das Bauwerk harmonisch in seine Umgebung ein. Der Schöpfer dieser Festung sucht nicht nur die von der militärischen Strategie gestellten Probleme zu lösen. Er berücksichtigt auch die monumentale Landschaft und es gelang ihm das zackige Profil der Sierra Maestra durch klare und senkrechte Mauern zum Meer hin vorzuschieben. Von der See betrachtet ist sein raummäßiger Charakter rein, drohend und wird von den tief in die Steinmassen gehauenen Linien der Schießscharten diktiert. Auf der Landseite zeigt es sich als einfache, geometrische

und in die gekrümmte Linie des natürlichen Abhanges eingegliederte Form. Zusammen mit den Sekundärforts Estella und Santa Catalina, die das Innere der Rade verteidigen, macht der Morro die Bucht von Santiago unangreifbar.

Havannas Befestigungen, so wirkungsvoll gegen den Kleinkrieg der Seeräuber, waren dem Angriff einer konventionellen Armee nicht gewachsen. Als England während des Siebenjährigen Krieges mit der größten bis dahin in der Neuen Welt gesehenen Streitmacht, einer Flotte von 200 Schiffen mit 8000 Seeleuten und 12 000 Soldaten an Bord, in die Kariben eindringt und Havanna angreift, fällt die Stadt nach 44-tägiger Belagerung. Nach der Wiedereinnahme beschließt Spanien die Befestigungsanlagen zu erweitern und zu modernisieren. Der intellektuelle Stillstand Spaniens respektiert aber zu sehr die Tradition und es zeigt sich unfähig, die dynamische Erfahrung, die den Piraten so viel Erfolg gebracht hatte, zu assimilieren. Die neuen Steinmassen sind gigantisch, können aber den nahen Zerfall des Kolonialreiches nicht aufhalten.

Die Erweiterungsbauten umfassen die auf einem dominierenden Hügel gelegene Festung San Carlos de la Cabana, die Altaresfestung am Ende der Rade und das Schloß des Prinzen im Westen. Französische Techniker ersetzen die italienische Tradition durch die Prinzipien Vaubans. Typischstes Beispiel dieses Umschwunges die von M. de Vallières entworfene und von Sylvestre Albarca zwischen 1763 und 1774 gebaute Cabana-Festung. Während alle übrigen Festungen einen geschlossenen homogenen Perimeter einnehmen, ist diese entschlossen auf die Landverteidigung gerichtet und vom Meer nur durch eine einfache Mauer getrennt. Die Vervollkommnung der Technik und die wachsende Zahl der Verteidiger macht die innere Struktur komplizierter. Trotz ihrer ausgearbeiteten Architektur bewahren diese Bauten die Form ihrer Vorgänger und die europäischen Merkmale sind klar zu erkennen.

Die neuen und wunderbaren Verteidigungsanlagen Havannas kamen nie zur Anwendung. Die kontinentalen Besitzungen Spaniens verschwanden in der Tat bald. Seit dem 19. Jahrhundert diente diese Befestigung dem Schutze der politischen Macht gegen innere revolutionäre Bewegungen, wobei sie einen hemmenden Gürtel um die Stadt bildeten. Sie vertauschten also die ihnen von der Architektur zugedachte Rolle. Obgleich sie jeglichen Charakter funktioneller Aktualität verloren haben, bleiben sie stumme Zeugen der Entwicklung der Menschheit.

einige Missionare, portugiesiche wie spanische, heran. Am Ende des XVI. Jahrhunderts läßt Kaiser Sartsa Denghel in Guzara das erste von Türmen im Gondarstil flankierte Schloß, von dem noch einige Überreste mitten im Busch erhalten sind, bauen.

Zwischen 1619 und 1621 errichtet der Jesuitenpater Paez die erstaunliche Gorgorakirche, Maryam Guemb, auch Marienburg genannt, auf einem Vorgebirge, das das Nordufer des TanaSees beherrscht. Ihr Stil war reine Renaissance.

Die bedeutenden Ruinen zeugen von der Pracht ihrer Dekoration.

Der Kaiser Sousneyos bekehrt sich in dieser Kirche in den Händen des portugiesischen Paters Alfonso Mendez zum Katholizismus. Gleichzeitig zwingt er sein Volk, den römischen Glauben anzunehmen. Der Übereifer der Missionare treibt die Bevölkerung zur Revolte und eine Erhebung im Jahre 1632 vertreibt sie und die letzten Abkönvnlinge der portugiesischen Kapitäne.

Nach dem Bau eines Palastes in Goumneghie durch den Kaiser Sousneyos errichtet sein Sohn, Kaiser Fasilidas, das erste Monument der neuen Hauptstadt Gondar. Es ist unter dem Namen „ Fasilidas-Bad “ bekannt. Eine anmutige Villa auf Bögen und Gewölben ruhend mitten über einem geräumigen Bad in einem von befestigten Mauern umfriedeten Park. Wenige Kilometer

weiter unternimmt er den Bau eines imposanten Schlosses auf vier Ebenen, flankiert von kuppelbedeckten Rundtürmen. Die Gesamtanlage wird von Terrassen mit gesinnten Mauern, analog zu den portugiesischen Schlössern von Mazagran in Marokko, überragt.

Sie bilden die Grenze der Kaiserstadt. Der Zugang geschieht durch zwölf Portale und über ebensoviele Brücken, die über einen tiefen Graben führen. Mehr als ein Jahrhundert lang werden die Nachfolger Kaiser Fasilidas sein Werk in diesem ungewöhnlichen äthiopischen Stil weiterführen, dessen Gesamtaspekt feudal und europäisch bleibt, mit einigen Einzelheiten, die an die römische Architektur erinnern und anderen vage renaissancebeeinflußten. Einige dieser Bauwerke erstaunen durch ihre Anmut und Eleganz, Produkt einer besonders verfeinerten Kultur, die durch die Berichte einiger Reisender bezeugt wird. Einer von ihnen, der Arzt François Poncet, 1699 von Ludwig XIV. zu Kaiser Yassou dem Großen gesandt, verfaßt über seine Mission einen Bericht, der durch die Schilderung vom Luxus und der Verschwenderischheit des äthiopischen Hofes überrascht. Der Schriftsteller Jean Doresse hat das außergewöhnliche und wahrscheinlich einzigartige Phänomen, das diese gondarische Architektur, die so eng mit dem Wiedererstehen des äthiopischen Kaiserreiches verbu/iden ist, darstellt, wunderbar

Die Schlösser von Gondar

Die Kulturen des nicht-islamischen Afrika, nur vereinzelt und während relativ kurzer Perioden aufgetreten, finden das wachsende Interesse der Archäologen: Zimbabwe oder das äthiopische Axum-Königreich zählen zu den älteren. Ife und Ibadan in Nigeria, Kumasi im Ashantilan in Ghana und schließlich die Gondarkultur in Äthiopien zu den jüngeren.

Gondar, Hauptstadt des Königreiches und Sitz des Hofes, war in seiner Blütezeit kulturell mindestens ebenso glanzvoll, verschwenderisch und glorreich wie es die Jahrhunderte axumitischer Kultur waren und kann vielleicht am besten mit dem verglichen werden, was Carcassonne in der Mitte des XIX. Jahrhunderts vor dem Eingreifen Violet-le-Due's gewesen sein mußte. In der Geschichte der afrikanischen Architektur stellt es einen einzigartigen Fall dar.

Gegen 1540 säubern die Truppen des arabischen Eroberers Mohamed Gragne die äthiopischen Hochebenen und zwingen die Monarchie zum Rückzug in die Provinz Choa an den Ufern des Tana-Sees. Eine Insel in diesem See wird von einer religiösen koptischen Niederlassung besetzt gehalten. Portugiesische Krieger unter dem Befehl Don Christoph de Gamas kämpfen auf Seite der äthiopischen Armee und dasselbe Jahr 1540 sieht die endgültige Niederlage und den Tod des Iman Gragne. Die Portugiesen verstärken ihre Stellung in Äthiopien und ziehen

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analysiert. Diese Kunst und Architektur waren nicht eine Folge von Äthiopiens Aufstieg zu wiedererlangtem Wohlstand, sondern, was ein wenig paradoxal erscheint, die Grundursache für Größe und Schönheit seiner nationalen Existenz. Sie entsprang offensichtlich fremden, jedoch nie mit Sicherheit identifizierten Quellen.

Es ist also wichtig, zu wissen, in welchem Fall diese Kunst Nachahmung war, in welchem anderen sie sich frei an eingeführten Modellen inspirierte und warm sie begann, eine authentische äthiopische Reaktion auf fremde Einflüsse zu bilden.

Zu seiner Blütezeit zählte Gondar über 100 000 Einwohner. Das Rätsel, das der Bau einer Stadt dieses Ausmaßes aufgibt, ist niemals klar gelöst worden. Es ist bekannt, daß das älteste Monument der Stadt aus der Zeit nach der Vertreibung der Portugiesen stammt, nach der sich wahrscheinlich immer noch einige Geistliche im Lande aufhielten. Andererseits besteht berechtigter Grund zur Annahme, daß einige der vierzig Kirchen der Stadt schon vor deren Gründung bestanden haben. Der Gedanke scheint also vernünftig, daß Gondar sowohl von portugiesischen Mestizen als auch von Bauleuten, die deren Lehrlinge gewesen waren und ihrerseits wahrscheinlich von levantinischen und indischen Handwerkern unterstützt waren, erbaut worden ist. Die Portugiesen hatten die Kunst der Steinhauerei, die seit der axumitischen Epoche in Vergessenheit geraten war, den Gebrauch des Kalkes, den Bogen und die Methoden des Gewölbebaues ins Land gebracht. Die Kuppeln, die die Ecktürme mehrerer Gebäude krönen, bilden dagegen zusammen mit den koptischen und nubischen Kirchen des Niltales eine Gruppe. Sie erinnern übrigens auch an die Anordnung und die Architektur gewisser Paläste im Süden Arabiens. Die äußere Rampe, die zum ersten Stock des Fasilidas-Schlosses führt, erinnert, natürlich mit Berücksichtigung der Maßstäbe, an die der Zitadelle von Aleppo.

Das Schloß des Fasilidas (1622-1667), unter der Herrschaft seiner Nachfolger Tsadiq Johannes und Yassou dem Großen vollendet, ist das imposanteste Bauwerk der Kaiserstadt.

Eine heute eingestürzte Terrasse verband es mit dem nahegelegenen Schloß Yassou des Großen.

Diese Terrasse bedeckte eine weite Ausschachtung mit dem Namen Bad des Fasilidas, wahrscheinlich einer Zisterne. Eine der Fassaden des Yassou-Schlosses ist erhalten geblieben, im Innern aber ist das Gewölbe des großen Saales eingestürzt und läßt Reste einer seltsamen und originellen Arbeit sehen. Über dem großen Turm erhebt sich eine Kapelle. Eine Wendeltreppe legt sich um die Mauern eines Turmes in Form eines abgestumpften Kegels. Zwei dem Yassou-Schloß gegenüberliegende kleinere Gebäude werden Tsadiq Johannes zugeschrieben.

Ihre Eleganz und Feinheit sind bemerkenswert.

Das eine ist Bibliothek, das andere Kanzlei, von der nur Außenmauern und Turm erhalten sind.

Darilish Borbor

errichten. Ihr Grundriß ist rechteckig, eine Form, die die religiöse koptische Architektur einige Jahre später verwerfen wird. Ihre Lage ist unvorstellbar romantisch und der Zugang geschieht durch ein Mauerportal voll Anmut und Originalität. Die Architektur der Abtei ist nur durch ihre außergewöhnliche Einfügung in die Landschaft interessant, davon abgesehen besteht ihre Anziehungskraft besonders in den Innenmalereien, die wahrscheinlich seit ihrer Ausführung unversehrt erhalten geblieben sind und zu den ältesten und wertvollsten gehören, die in diesem an religiösen Malereien so reichen Land zu sehen sind.

Abseits der Stadt und direkt neben dem FasilidasBad erhebt sich ein abgesondertes Monument seltsamen Aussehens, eine Art Pavillon auf Arkaden, das „ Pferdegrab “ genannt. Nicht weit davon entfernt eine weitere bizarre Konstruktion, genannt das „ Hühnerhaus Die verwitwete Kaiserin Mentouab ließ auf einem Hügel einige Kilometer im Westen Gondars die bedeutende Abtei Gousquam bauen, in der sich auch ihr Grab befindet. In der Mitte einer doppelten Festungsmauer erhebt sich die Debra-Tsehaye-Rundkirche, die Sonnenkirche, mit ihren konzentrischen Stufen und ihrem konischen Dach, das auf einer von vierzig Bögen gebildeten Rundgalerie ruht. Ein unglücklicher Restaurationsversuch hat den Einsturz eines Teiles der Kirche zur Folge gehabt. Durch eine in die Umfassungsmauer eingelassene Pforte, über der die Wohnung des Priesters liegt, gelangt man zu den Ruinen des Palastes und dem Bettzimmer der Kaiserin, noch stehende, über den Abgrund ragende Eckmauern von herrlicher Erscheinung, mit den beinahe noch unversehrten traditionellen gondarischen Rundtürmen. Im Innern weite Säle, deren Böden jedoch eingestürzt sind. Die Einzelheiten und Verzierungen an Türen und Fenstern zeugen von derselben seltsamen Verfeinerung wie sie in den anderen Palästen der Herrscherin zu beobachten ist. Die Überreste eines Tiefenreliefs, Darstellung eines Elephanten, überraschen indessen und vermitteln den exotischen Anblick, der zu diesem Dekor einer verspäteten Renaissance paßt.

Im Laufe der Jahrhunderte haben Gondars Monumente Feuersbrünsten und Erdbeben widerstanden. 1867 wurde Gondar erst von den Soldaten der Armee des Kaisers Theodoros im Kampf gegen ein englisches Expeditionskorps geplündert und später, 1888, von erobernden Derwischen. Die von den Pioniertruppen der italienischen Armee durchgeführten Restaurationsarbeiten haben sicherlich einige dieser Denkmäler gerettet, andere aber entstellt oder zerstört. Seit 25 Jahren scheint nicht viel zur Rettung Gondars unternommen worden zu sein, obgleich es eine der größten Attraktionen des äthiopischen Tourismus bildet. Es steht daher zu befürchten, daß Gondar in einigen Jahr-zehnten unglücklicherweise nur mehr ein Andenken und ein Steinhaufen sein wird.

Der Einfluß der persischen Gärten auf die islamische Dekoration

Das Wort Paradies, vom altpersischen Firdaus, bezeichnete ursprünglich einen eingefriedeten Garten. Es gelangte über Xenophons Economica in die europäische Sprache. Das im lydischen Sardes vier und einhalb Jahrhunderte vor Christi Geburt angelegte „ Paradies “ ist die erste historische Erwähnung des persischen Gartens, dessen Ursprünge jedoch sicherlich weiter zurückreichen. Xenophon berichtet wie fasziniert Lysander von Cyrus’ Paradies war, doch kann es sich dabei auch um einen chaharbagh gehandelt haben.

Der Entwurf der persischen Gärten Der chaharbagh oder „ Vier-Gärten “ wird von zwei baumgesäumten, sich in ihrer Mitte schneidenden Alleen gebildet. Der Raum zerfällt so in vier, wiederum teilbare Rechtecke.

Unveränderlich im Schnittpunkt der Alleen liegt das für einen tropischen Garten so bedeutsame Wasserbecken, neben dem sich eine Reihe kleinerer, durch einen flachen, mit blauen oder

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Zwischen diesen und einigen relativ gut erhaltenen, am Nordteil der Umfassungsmauer gelegenen Gebäuden finden sich halbzerfallene und vollständig eingestürzte Bauten. Unter ihnen das Haus des Tierbändigers, das Löwenhaus und das Haus der „ Gesänge und Freude das der Kaiser Dawit (1716-1721) bauen ließ.

Der Nordteil der Mauer ist im XVIII. Jahrhundert während der Regierung Becafas (17211730) und seiner Witwe der Kaiserin Mentouab (1730-1775) entstanden. Der massive Charakter dieser Gruppe von Bauten sehr verschiedener Ausmaße und ziegelartig übereinandergeschachtelt spielt subtil mit den Höhenunterschieden der Terrassen und Gartenhöfe. Sie bildet den Nordteil der Kaiserstadt. Mit ihren Türmen und Zinnen mutet sie mittelalterlich roh an. Erstaunlicherweise finden sich in ihrem Innern Paläste und Bauten, deren Anblick liebenswürdig und gefällig ist und deren Stil seltsam an die Renaissance erinnert. Es sind dies der Palast des Königs Becafa, mit weiten Hallen, Stallungen und einem großen trapezförmigen Hof, der Palast der Kaiserin Mentouab, eine Villa auf drei Ebenen und einer sehr gefälligen Anordnung der Türen, Fenster und Baikone. Dem Mentouab-Palast gegenüber überragt das reizende Haus des Befehlshabers der Kavalerie einen großen Gartenpatio und beherrscht eines der Hauptportale der Mauer. In diesem Ensemble liegen außerdem türkische Bäder und ein Haus der Ehevorbereitung oder Sfandesamt, stammend aus der Regierungszeit Yassou des Großen.

In der Kaiserstadt standen auch zwei Kirchen, eine von ihnen, Guemjabiet Maryam oder Marienschatz, in Ruinen, zerstört und in traditionellem äthiopischen Stil auf einer Kreisebene wiedererbaut, die andere, Attatami Queddous, Sankt Michael der Schöne, weit interessanter.

Diese Kirche, heute durch teilweisen Zerfall etwas entstellt, verdankt ihre Errichtung dem Kaiser Dawit III. Sie ist auch heute noch eines der charakteristischsten Denkmäler der religiösen Architektur jener Zeit. Ursprünglich eine dreischiffige Basilika mit terrassenartiger Bedachung, die man durch eine Portika, die aus Arkaden bestand und von Rundtürmen flankiert war, betrat.

So interessant die Bauten der Kaiserstadt sind, so bilden sie doch nicht die einzige architektonische und archäologische Attraktion Gondars.

Aufeinem Hügel gegenüber der Kaiserstadt liegt der Palast des Ras Micael Sehoul. Dieses erstaunlich gut erhaltene Bauwerk entstand wahrscheinlich um die Mitte des XVIII. Jahrhunderts. Es erinnert an ein Fasilidas-Schloß in Kleinformat und es würde ausreichen, einige ungeschickt restaurierte Einzelheiten wegzulassen, um ihm sein ursprüngliches Aussehen wiederzugeben. Heute dient es als Kaiserresidenz.

Auf dem Gipfel eines Hügels, zwei Kilometer im Norden der Stadt, ließ Yassou der Große die befestigte Abtei Debra Berhati Sellassie

smaragdenen Ziegeln bedeckten Kanal miteinander verbundener Becken finden kann. Arrangements von Brunnen und kleinen Wasserspeiern bewerkstelligen die Bewässerung am Hang. Die Becken haben meist geometrische Form und das Wasser fällt über den Rand, wodurch der Eindruck einer im Raum hängenden, fließenden Decke entsteht. Die Notwendigkeit der künstlichen Bewässerung hat den Charakter der tropischen Gärten bestimmt und ihre geometrischen Formen sind ausschließlich eine Folge des Wasserhaushaltes. Den traditionellen persischen Garten durchziehen flache, jubes genannte, Kanäle und Blumenbeete werden wie Reisfelder von kleinen Dämmen gesäumt, um ein Verrinnen des Wassers zu verhindern.

Das Wesen des chaharbagh wird bisweilen dem alten kosmologischen Ursprung der viergeteilten Welt zugeschrieben, wie sie im zweiten Kapitel der Genesis, in dem von den vier Flüssen Pison, Gihon, Hiddikel und Euphrat die Rede ist, beschrieben wird. Sollte es jemals ein Paradies

oder einen Garten Eden gegeben haben, so hatte er wahrscheinlich die Form eines chaharbagh.

Der Islam und die Abbildung des Menschen Azraki, der erste gewissenhafte islamische Historiker, er starb 858, berichtet, daß außer einem Bildnis des Propheten auch Bilder von Abraham und von Maria und Jesu die wiedererbaute Kaaba schmückten und daß Mohammed, als er 630 nach Mekka zurückkehrte, ausdrücklich gebot, diese Bilder im Heiligtum zu belassen, wo sie auch bis 637 blieben. Die bildliche Darstellung des Menschen unterlag also keinem religiösen Verbot.

Zur Zeit der Gründung des Islam war wenig mehr als ein Zehntel der Bewohner Arabiens seßhaft und lebte in provisorischen Strohbehausungen primitivster Art. Ein künstlerischer Einfluß der muselmanischen Araber auf die unterworfenen Syrer und Perser ist also zumindest in Architektur und Dekoration

unwahrscheinlich. Dafür spricht weiterhin, daß die ersten Muselmanen persische Paläste und Kultstätten als Gebetsräume benutzten. Umgekehrt wirkt die persische Kultur sehr bald auf ganz Arabien ein. So dekorieren persische Künstler die 684 wiedererstellte Kaaba und ihre Musik- und Instrumentalkenntnisse verbreiten sich über die gesamte islamische Welt. Der allgemein verbreitete Glaube, der Islam habe Musik und Spiele als verwerflich angesehen, ist sicherlich irrig. Die sassanidischen Traditionen wurden mit einem derartigen Eifer bewahrt, daß der Islam, mit gewissen Veränderungen natürlich, in ihnen aufging.

Auch die erste Verwendung der kufischen Schrift als einem künstlerischen Motiv bei der Dekoration von Gebäuden, Büchern, Metallarbeiten, Töpfereien und Textilien stammt aus Persien. Diese ursprünglich von den Arabern verwendete Schrift ist möglicherweise deren einziger authentischer Beitrag zur islamischen Dekoration. Ein prächtig gravierter Metallkübel aus der seldschukisehen Zeit, den kufische und naskhische Schriftzeichen, Jagdszenen und Gelage zieren, findet sich im Ermitagemuseum.

Die geringe Verbreitung der Porträtkunst kann nicht auf religiösen Einfluß zurückgeführt werden, da sie schon vor der muselmanischen Besetzung nur in geringem Umfang existierte.

Die Darstellung des Menschen findet sich jedoch in der Form der Miniaturmalereien auf Porzellan, Silber- und anderen Metallobjekten und weist eine enge Verwandtschaft mit den Tiefenreliefs von Persepolis und Tagh-e-Bostan auf. In beiden Fällen werden Bild und Gegenstand mehr symbolisch als lebensgetreu behandelt, was einen weiter zurückliegenden Grund religiöser oder kosmologischer Art gehabt haben muß. Analysiert man die Dekorationselemente der verschiedenen Perioden, so fällt auf, daß Menschen- und Tiergestalten auf allen Gebieten der islamischen Ornamentik erscheinen: Töpferei, Miniaturen, Keramik, Weberei, illustrierte Bücher. Im 14. Jahrhundert tragen die abgebildeten Personen oft mongolische Kleidung und während der safavidischen Epoche tauchen auch häufig europäische Gewänder auf. All diese Kunstobjekte waren übrigens keine Museumsstücke, sondern Gegenstände des täglichen Gebrauches. Der sassanidische Einfluß wird wohl am klarsten in jenen herrlichen, feingearbeiteten Metallarbeiten deutlich, deren Ziselierungen Jagdszenen, Göttergestalten und Phantasielebewesen wiedergeben. Auch diese Kunst bestand nach Ansicht Douglas Barrets lange vor dem Islam.

Der illustrative Wert der menschlichen Abbildung erscheint sehr typisch im Shah-Name, einem epischen Gedichtbuch, in der tragischen Legende von Laili und Majnum oder in den Arbeiten des berühmten Webers Ghiya-al-dins, die jedoch keinerlei religiöse Tragweite besitzen.

Jagdszenen, ein anderes traditionelles Illustrationsthema, finden sich auch auf Teppichen, die oft dazu bestimmt waren, einem Garten symbolisch das Aussehen eines Zeltes oder Raumes zu verleihen. Auch diese Kunstart, deren berühmtestes Stück der Teppich im Audienzsaal des großen Königs Ctesiphon ist, erreichte ihre höchste Entfaltung unter den Sassaniden, weit vor dem Islam.

Die Teppiche der islamischen Zeit waren ebenfalls sehr stylisiert. Der Gartenteppich, ein

F. da Silva Dias

wunderbares Exemplar findet sich im Museum von Jaypur, hatte seine Blüte während der Regierungszeit Shah Abbas. Im islamischen Heim, das fensterlos und nur karg möbliert war, war der Teppich ein Blickfang, der den Eindruck eines von der oberen Etage eines Pavillons betrachteten Gartens vermittelte.

Eine Malereitradition in europäischem Sinne hat Persien nie gekannt. Der Überreichtum der Ziegelarbeiten auf den Moscheen erklärt sich aus dem Aufkommen einer Art primitiver Industrialisierung und ihrer besseren Verwendung zur Bedeckung weiter, gewölbter Flächen. Das Verfahren, große Backsteinflächen mit bunten Ziegeln zu bedecken, ist einer der ersten Versuche zu einer industriellen Kunst. Fresken und Wandmalereien mit Menschengestalten finden sich auch zur islamischen Zeit in großer Zahl.

Die Wandmalereien des Bazars von Lashkari in Afghanistan zeigen Menschen in den prachtvollen Gewändern der ghaznavidisehen Zeit.

Bagdads Kalifenpaläste und die der persischen Herrscher weisen oft Porträts auf.

Die Miniaturkunst bedient sich reichlich der menschlichen Form, wobei Gärten fast immer den Hintergrund bilden. Auf den Miniaturen werden auch häufig nackte Frauenkörper dargestellt. Gewisse Kashan-Stücke zeigen eine große Zahl damals populärer Schönheiten mit ihren geschwungenen Augenbrauen und mandelförmigen Augen.

Ein anderer interessanter Aspekt der persischen Malerei ist die teilweise Verwendung der Perspektive zur Betonung besonders wichtiger Elemente, wobei das übrige Bild den Flächencharakter beibehält. Vom Ende des 16. Jahrhunderts ist uns ein Buchdeckel erhalten, aufdem nur der Mittelpunkt, ein Prinz unter einem Baldachin, perspektivisch gemalt ist. Das entgegengesetzte Verfahren findet sich auf einer Seite des Shah-Name. Der schlafende Held Rostan erscheint flächig, während sein Pferd und ein angreifender Löwe in Perspektive gemalt sind. Der Übergang von Fläche zu Perspektive ist so meisterhaft ausgefiihrt, daß ihn das Auge nicht wahrnimmt.

Da die Darstellung der menschlichen Gestalt in der islamischen Welt sehr gebräuchlich war, muß die Verwendung von Blumendekorationen als einem Dekorationselement gewissen anderen außerreligiösen Elementen zugeschrieben werden.

In einem Lande wie Persien mit seinem wüstenartigen Klima darf das psychologische Vergnügen an Wasser und Grünfläche nicht unterschätzt werden. Da die Blumenmotive nicht da Ergebnis eines religiösen Verbotes sind, kann vielleicht die Beschreibung, die Ibn Jubavr von der Großen Moschee in Damaskus gab, ihr Entstehen erläutern: Sie war mit vielfarbigen Mosaiken verziert, deren Schönheit der eines Gartens gleicht.

Symbolismus und Symmetrie der persischen Dekoration entspringen dem Wunsch nach einer strengeren Ausführung der Monumentalbauten.

Die Wandmalereien Michelangelos besitzen nicht dieselbe enge Verwandtschaft mit der Struktur wie die persische Dekoration.

Die Blumenmotive lassen sich nur aus den natürlichen Gegebenheiten des Iran erklären.

Nach langen und trockenen Monaten wird das Land für eine kurze Zeit durch einen Frühling märchenhafter Blüte verzaubert. Gebirgshänge werden zu lebenden Wandteppichen, Wiesen blühen verschwenderisch, Täler werden zu blumenbedeckten Schalen. Diese Vision des Paradieses (Paradaiza) wirkt auf die ganze persische Seele. Der Frühling ist ein heiliges Symbol für Leben und Glück und es ist nur natürlich, daß man die flüchtige Schönheit des Gartens in einer beständigeren Form zu bewahren sucht.

Den Persern ging es darum, ihre Freude am Garten in Zeit und Ewigkeit zu bewahren. Daher symbolisierten sie ihn mit ihren Farben und machten ihn in ihren Teppichen und Monumenten unvergänglich. Dieses Verlangen beherrscht auch die Stunde ihres Todes wie es ein Vers Omar Khayyams ausdrückt: „ Mit Trauben stütze mein erlöschendes Leben und wasche meinen Körper, den das Leben verläßt. Eingehüllt in die Falten des Weinblattes, so begrabe mich an der milden Seite eines Gartens. “ Vase und Weinkrug, Motiv vieler Moscheenportale, drücken den Garten mit den Formen der Baustoffe aus und die Ecksteine der Kuppeln bilden den Punkt, wo der Baumstamm sich verzweigt.

Dem Betrachter entsteht so der Eindruck, zwischen vier Bäumen mit ihrem Uber ihm ausgebreiteten Astwerk zu stehen.

Das Bild des Gartens beschäftigt seit dem Tage der Schöpfung den Geist des Menschen und er hat immer gehofft, im exotischen Garten des Paradieses das ewige Leben zu genießen. Aber nirgendwo hat der Garten Mode, Künste, Gebräuche, Philosophie, ja sogar Religion so beeinflußt wie in Persien.

Die Eroberungskrafffles Islam konnte der Dekoration keine Regeln aufzwingen: sie besaß keine.

Im 9. Jahrhundert entzog sich Persien wieder der direkten Kontrolle der Kalifate und die sassanidischen Traditionen erstanden von neuem.

Die Kunst, Backsteinbauten mit geometrischen, blumenverzierten Ziegeln zu schmücken, erstand wieder und die Fresken zeigten weiterhin, ja bis zum Ende der islamischen Periode, das Bild des Menschen. Die von der persischen Kunst und Dekoration unter der islamischen Herrschaft erreichte Blüte war in Wirklichkeit eine Weiterführung der hohen unter den Sassaniden geschaffenen Spiritualität. Es ist vollkommen offensichtlich, daß die persische Kunst und Dekoration niemals individuelle Eigenschaften besaß. Sie erscheint eher als eine definitive Kunst mit klar vorgezeigter Form und Bahn. Künstler und Dekorateur arbeiteten am selben Thema und keine andere Kultur hat sich in der Tat darum bemüht, von der Dekoration ausgehend, eine solche Einheit der Künste zu bewahren. Diese Erscheinung könnte einer kulminierenden künstlerischen Zivilisation zugeschrieben werden, die zur Zeit der Sassaniden ihren Höhepunkt hatte und am Anfang des 18. Jahrhunderts verbraucht unterging. Es sei denn, es hätte sich hierbei um einen großen Mangel an Vorstellungsvermögen gehandelt, was aber angesichts ihrer äußeren Geschmeidigkeit unwahrscheinlich ist.

Das Entstehen dieser statischen Kunst gründet sich mehr aufein psychologisches Bedürfnis nach dauernder Vegetation, verbunden mit der Notwendigkeit einer Art Industrialisierung und Massenproduktion gewisser dekorativer Gegenstände, als auf ein religiöses Verbot.

Verbesserung des wirtschaftlichen Aufbaues und der schnelleren Baumethoden. Dennoch findet man immer noch Regionen, die seit jeher unverändert sind.

Die Untersuchung, die die Architekten vor ca. 10 Jahren durchführten, zeigte alle Äußerungen dieser Architektur, die so von der Geographie des Landes abhängig ist.

Portugal wird durch seine Form von zwei verschiedenen Klimas beeinflußt: Warmes Mittelmeer-Klima und kühleres atlantisches Klima.

Diese zwei Klimas beeinflussen die Kulturen, die Bevölkerung, die Stadtbauten, die Architektur.

Die Trockenheit gebietet eine Monokultur, ein ausgebreitetes Latifundia und ein wenig fruchtbarer Boden. Das ist das südliche Portugal: Zwischen großen Besitztümern einige zusammengedrängte Orte für die, die keinen eigenen Boden besitzen.

Dagegen erlauben im Norden die atlantischen Winde eine ganzjährliche Kultur, die Polykultur, kleine Besitztümer und eine Verteilung der Bevölkerung. Die Landschaft ist in kleine Parzellen eingeteilt, jede mit ihrem eigenen Hof.

Im Süden wie im Norden werden Häuser und Orte nur selten in der Ebene aufgestellt. Mei-

Die Wurzel der Blumenmotive in der islamischen Dekoration

Volksarchitektur in Portugal

Die Gründe, weshalb eine rein volkstümliche Architektur heute noch bestehen kann, sind folgende: — Die geographische Lage des Landes, das durch die Pyrenäen und durch Spanien von Europa getrennt ist.

— Die Traditionen, hergebracht von den jeweiligen Besetzern der iberischen Halbinsel, von den Germanen bis zu den Arabern.

— Eine langwierige, wirtschaftliche Entwicklung.

Es ist klar, daß diese Gründe wertlos werden mit der Modernisierung der Verbindungswege, der

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siens befinden sie sich auf einer Anhöhe, darum auch die Notwendigkeit an Stützmauern, Treppen und Aufbauten. Die Anpassung an die Landschaft verbietet gerade Linien. Die Flächen sind rund und gewölbt, passen sich den Abhängen an und brechen durch ihre Schattenplätze das grette Licht der südlichen Sonne.

Das Bild dieser Ortschaften erneuert sich andauernd. Um es richtig zu verstehen, braucht es sehr viel Einbildungskraft. Die Grundlage ihres Aufbaues ist die Verbindung Sträßchen„Largo“ (Boulevard oder Hauptstraße). Die Vorstadt existiert nicht.

Die scheinbare individuelle Tätigkeit ihrer Erbauer, die sie geschaffen haben und sie bewohnen, ist kein blindes Drauflosbauen. Im Gegenteil, sie beweist ein großes ZusammenMichel Ragon

die die Sonne im Winter hereinlassen und im Sommer erfrischend wirken. Sie sind abgeschlossen von der Außenwelt, und oft werden Hausarbeiten und handwerkliche Arbeiten in ihnen erledigt.

Wenn die südliche Architektur einen zentripetalen Charakter besitzt, so zeigt die nördliche eine ganz gegensätzliche Neigung. Die Bauten sind eher gegen die Außenwelt hin offen, und besitzen oft gedeckte Verandas die manchmal auch dazu dienen, die Bodenfrüchte zu trocknen.

Es ist unnötig, eine der anderen vorzuziehen.

Jede Art Volksarchitektur entspricht der Lage des Landes und den Eigenschaften seiner Bewohner. Sie sind eine Lehre, denn sie beweisen, daß Intuition und Liebe die materiellen Schwierigkeiten besiegen können.

Rückblick auf die prospektive Architektur

Walter Gropius’ Buch „ Internationale Architektur “ aus dem Jahre 1924 enthielt 80 Werke, davon die Hälfte Projekte. Eine gewisse Zahl dieser Projekte ist in der Zwischenzeit gebaut worden. Mies van der Rohe und Le Corbusier verwirklichten ihre Jugendträume, als sie das Alter von 65 Jahren erreicht hatten. Ersterer als er 1951 seine schon 1919 entworfene Glas- und Stahlwolkenkratzer baute, letzterer als er 1952 die erste Einheit seiner Strahlenstadt, deren Vorentwürfe aus dem Jahre 1922 datieren, schuj.

Das Totale Theater aber, das Gropius 1927 entworfen hatte, gelangte nie zur Ausführung, desgleichen weder die kühnsten Projekte Robert Maillards, noch die verwegensten Projekte Perrets, Sauvages ( von dessen Stufenpyramiden man sagte, sie besäßen „ babylonischen Stil“), Van de Veldes, Le Corbusiers oder Frank Lloyd Wrights.

Die Geschichte der Architektur ähnelt sehr einer absurden Geschichte der verpaßten Gelegenheiten.

Die Chicagoer Schule stellte 1893 die AvantGarde der architektonischen Schöpfung. Als aber der genialste aller aus dieser Schule hervorgegangener Architekten seine Pläne zur Weltausstellung in Chicago vorlegte, wurden sie zurückgewiesen. Der große Erfolg der ersten Weltausstellung in der Neuen Welt war die „ Weiße Stadt “, erbaut im kaiserlich-römischen Stil von einem Architekturbüro à la mode: McKim, Mead und White. Stuck und Holz triumphierten weiterhin über die Originalität und den Dynamismus der Metallstrukturen.

Vierzig Jahre werden vergehen, bis die Vereinigten Staaten den Weg des Fortschrittes wieder beschreiten werden. Im Jahre 1922 ließ der Wettbewerb zum Chicago Tribune Building, an dem Gropius, Adolf Loos und Eliel Saarinen teilnahmen, einen Aufschwung erhoffen, der erste Preis aber ging an den neogothischen Wolkenkratzer Raymond Hoods.

Für die Internationale Ausstellung der dekorativen Künste in Paris im Jahre 1925 schlägt der Städtebauer Agache eine „ Ausdehnung von Paris nach Westen “ vor, indem die Ausstellungspavillons aufdem freien Gelände des Rond-Point de la Défense mit definitiver Absicht solid gebaut werden sollten. Dreißig Jahre später wird dieser Plan gebilligt werden. In der Zwischenzeit aber mußten die Bauwerke, die ein erstaunliches Muster der kühnsten Architektur der 25iger Jahre hätte bilden können, wieder abgerissen werden: das Perret-Theater, der Pavillon des Esprit Nouveau von Le Corbusier, der russische Pavillon Melnikoffs, Josef Hoffmanns Österreichischer Pavillon, Tony Garniers Pavillon von Lyon und Sauvages Frühlingspavillon.

Im Jahre 1927 war die funktionalistische Architektur zur Reife gelangt. Daher gründete man die größten Hoffnungen auf den Wettbewerb zum Bau des Völkerbundpalastes in Genf, der den schlagenden Beweis für die Vitalität der neuen Architektur erbringen sollte. Unter insgesamt 277 eingereichten Vorschlägen sprach sich die Jury für die Projekte Le Corbusiers und Jeannerets aus. Durch allerlei Machenschaften

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gehörigkeitsgefühl. Die Notwendigkeit des Zusammenlebens bewirkt ein ungeschriebenes Gesetz, das die Bauten zurückweichen läßt und in der Mitte der Ortschaft einen großen freien, lebendigen Platz herstellt, mit ganz speziellen Charakteristiken.

Dort spielen sich Feste, Jahrmärkte, Umzüge, manchmal sogar Stierkämpfe ab. Hier sind die Schauspieler zugleich die Verfasser. Die Umgebung ist farbenreich und fröhlich.

In den südlichen Orten sind die Häuser zusammengebaut und bilden eine Einheit. Die Häuser sind weiß und verschlossen, mit nur wenigen Öffnungen. Hier herrscht eine ganz typische südliche Stimmung. Das Leben spielt sich ganz in den Patios ab, halb im Inneren, halb im Äußeren. Diese Patios sind von Pflanzen eingezäumt,

gelang es zuletzt doch noch, diese modernen Projekte auszuschließen.

Der Wettbewerb zum Bau des Sowjetpalastes in Moskau ließ dieselben Hoffnungen entstehen und Gropius, Mendelsohn und Le Corbusier nahmen daran teil. Wiederum war die Arbeit vergeudet.

Der Konformismus siegte.

Die Geschichte der modernen Architektur begann übrigens mit einer Reihe von Täuschungen und sie ist von diesem Weg praktisch nie abgekommen. In allen Geschichtswerken wird in einigen Zeilen ein Architekt des 19. Jahrhunderts erwähnt, der praktisch nichts gebaut hat: Hector Höreau.

Doch, Hector Horeau war der Schöpfer einer Idee, der er sein ganzes Leben gewidmet hat: die Eisenkonstrution geräumiger, transparenter Lokale, einer Art immenser Treibhäuser, die grandiose Kunst- und Industrieausstellungen beherbergen konnten.

Vierunddreißig Jahre war er alt, als er 1835 sein erstes Projekt aus Metall vorlegte, einen weiten Raum, eine Art Allzweck-,, Regenschirm “, sehr moderne Konzeption des großen bedachten Raumes mit maximaler Sicht dank einer weitgehenden Ausschaltung der Tragelemente.

Im Bewußtsein seiner Idee, die durch Labrouste in der Sainte-Geneviève-Bibliothek, einer hinter Mauern liegenden Eisenkonstruktion, eine erste Ausführung gefunden hatte, ließ Horeau große Modelle bauen, die er 1849 und 1850 ausstellte.

Als England alle Nationen der Welt zur Gestaltung der Weltausstellung einlud, nahm Hector Horeau mit Begeisterung sein Projekt von 1835 wieder auf, entwarf eine gigantische Halle, und sein Projekt wurde unter 333 Mitbewerbern einstimmig prämiert. Aber der Engländer Josef Paxton wurde mit dem Bau des Crystal Palace beauftragt, Horeau mußte sich mit einer „ Ersten Ehrenmedaille “ vertrösten. Zur Ehre Pactons muß gesagt werden, daß er, obwohl er dem endgültigen Bau Horeaus Pläne zugrunde legte, auch ein eigenes, nicht minder revolutionäres Projekt eines Wolkenkratzers mit zurückgesetzten Etagen eingereicht hatte. Außerdem verwirklichte er durch die Vorfertigung aller Bauteile des Crystal Palace den Übergang der Architektur vom handwerklichen zum industriellen Stadium.

Um auf Hector Horeau zurückzukommen, so war er, als der Bau der Pariser Zentralhallen beschlossen wurde, natürlich unter den Wettbewerbsteilnehmern. Zahlreiche Veröffentlichungen befürworteten sein Projekt mit Begeisterung.

Am 15. September 1851 legt Prinz LouisNapoleon, Präsident der Republik, den Grundstein zu den Hallen, deren Gestaltung an Baltard gegangen war. Das Wort Grundstein ist wohlgemerkt keine Metapher, da der erste Pavillon der Hallen tatsächlich in Stein ausgeführt war. Dieser Pavillon wurde denn auch als so absurd angesehen, daß man ihn wieder abreißen mußte. Baltard legt daraufhin eine Metallkonstruktion vor, die sich am Werke Horeaus, den er verdrängt hatte, inspirierte.

Auch Hittorf, der den Pariser Gare du Nord baute, schöpfte in Horeaus Ideengut. 1868, im Alter von 67 Jahren, veröffentlichte Horeau eine

erstaunliche Schrift mit dem Titel: „ Sanierung, Verschönerung von Paris. Stadtplanung für jedermann.“ Neben albernen und naiven Vorschlägen finden sich seltsam weitblickende Gedanken wie räumlicher und unterirdischer Städtebau, Beweglichkeit, Fertigbau, Vielfarbigkeit, Terrassendächer und Wohnmaschinen.

Viele dieser Ideen gehören noch in den Bereich der Prospektive. Genau wie die Idee der Brückenstädte und der schwimmenden Städte.

Im Jahre 1920 veröffentlichte Wenzel A. Hablik den Entwurf zu einer schwimmenden Metallkugel, die als Forschungsstation dienen konnte.

Daniel H. Burnham entwarf 1928 für das Michiganufer in Chicago „ Wolkenkratzerbrücken deren Pfeiler 25 Büroetagen enthalten hätten. Dieser Gedanke verbindet sich einerseits mit Perrets Vorstellung vom „ Brückenwolkenkratzer dessen 65-stöckige Türme auf halber Höhe durch Strebebogenbrücken verbunden worden wären, andererseits mit dem Projekt Mart Stams (1922-1924), über den Dächernvon Amsterdam Verkehrswege zu bauen. Ähnliches findet sich auch in Le Corbusiers Algierprojekt (1931-34), dessen Viadukte Verkehrswege in Höhe der Wolkenkratzer bilden sollten.

Kaum ein Architekt ist so verkannt und vergessen worden wie Perret. Man spricht weder von seinen „ Brückenwolkenkratzern “ noch von seinen Turmstädten, deren Bau auf den ehemaligen Befestigungsanlagen von Paris er 1922 vorschlug und die 40 000 Menschen hätten aufnehmen können. Das Stadtprojekt für 3 Millionen Einwohner, das von Le Corbusier im gleichen Jahre aufdem Herbstsalon vorgelegt wurde und 1925 unter dem Namen Voisin-Plan von Paris durch kreuzförmige Wolkenkratzer einer Höhe von 150 bis 200 Metern erweitert wurde, war nicht minder „phantastisch“. Und doch war es immer Le Corbusier, der sich der Megalomanie angeklagt sah.

Es muß gesagt werden, daß seit Hector Horeau Le Corbusier sämtliche Rekorde in der Nichtausführung vorgelegter Projekte geschlagen hat: Plan für den Völkerbundpalast 1927, Wiederaufbau der Porte Maillot 1929, den Sowjetpalast 1931, sieben Pläne für Algier 1930-42, das Rive Gauche in Angers 1933, Nemours 1934, ein Kooperativdorf in der Sarthe 1934-38, Wolkenkratzer in Algier 1938-42, unzählige Pläne für Paris zwischen 1922 und 1956, usw.

Daß Le Corbusier mehr Projekte als Bauwerke geschaffen hat ist hinreichend bekannt, weniger bekannt aber ist, daß Frank Lloyd Wright bei seinem Tode 37 Projekte hinterließ, darunter die ausgezeichneten Stadtbaupläne für Bagdad und Pittsburg, den Entwurf zum Hollywood Sport Klub mit seinen hängenden transparenten Kuppeln, zum Kapitol von Phoenix/Arizona mit seinen Pfeilern, die einem Dekor für die „ Indische Phantasie “ entsprungen scheinen, zu einem 1600 Meter hohen Wolkenkratzer.

Wer erinnert sich noch an Frederik Kieslers „ Stadt im Raum “ von 1925 ? Sie lag auf verschiedenen Ebenen, wobei der Erdboden Parkanlagen, Rasenflächen und Kanälen Vorbehalten blieb. Der Zugang geschah über die Dächer. Die Idee zu einer „ Hängenden Stadt “, auf die die heutige Architektur ständig zurück greift, erschien damais selbst Le Corbusier hirnverbrannt. Dennoch wird er wenig später eine Raumstadtlösmg auf Pfeilern ausarbeiten.

Angesichts des Gesagten kann man sich die Frage stellen, ob die wahre Architekturgeschichte nicht von diesen auf dem Papier gebliebenen Projekten geschrieben wird. Ihr Einfluß auf die zukünftige Gestaltung ist jedoch beträchtlich. Man kann sich auch fragen, ob es nicht zwei Architekturen gibt: eine der Forschung und Projekte, eine zweite der Ausführungen, die allerdings nur ein schwaches Echo der ersten ist.

Haben Tony Garnier und Sant’Elia weniger Bedeutung für die Geschichte der Architektur

Martin Pinchis

als zahlreiche Baumeister ? Mit seiner „ Industriellen Stadt “ definiert Tony Garnier 1900, zwanzig Jahre im voraus, was man den „ internationalen Stil “ nennen wird und er formuliert die Grundprinzipien von zeitgenössischer Architektur und Städtebau. Garniers „ Industrielle Stadt “ übertrifft mit ihrer reinen Ästhetik das berühmte Steiner-Haus von Loos (1910). Die Formen, die Garnier seinen Gebäuden gibt, sind von einer erstaunlichen Vorausahnung, denn er konzipiert sowohl die Glasecke als auch das breite Fenster, das Terrassendach, die Pfeiler, die in unechtem Gleichgewicht befindlichen Elemente und zahlreiche technische Neuerungen.

Er verwandelt die Innenhöfe in Grünflächen,

zeichnet abgestufte Fußgängerwege, legt die Schule mitten ins Grüne und sieht ein soziales Zentrum vor. Die Charta von Athen, 1943 veröffentlicht, drückt nur klar die vierzig Jahre zuvor von Tony Garnier formulierten Prinzipien aus. Was Sant'Elia betrifft, so führt seine Città Nuova (1914) durch die Abstufung in mehrere Ebenen zum ersten Mal die Bewegung in die Architektur ein: unterirdische Züge, Flugzeugplattformen, Autobahnen, mechanische Treppen und Fußgängeraufzüge. Es wurde geschätzt, daß die Città Nuova fünfzig Jahre Vorsprung aufihre Zeit hatte. Fünfzig Jahre später erscheint sie noch seltsam „futuristisch Nur halten wir sie für keineswegs utopisch mehr.

als oberflächliche Ablenkungen, die das wahre Übel verstecken. Und doch könnte die Fantasie der Künstler, vereint mit der modernen Technik, eine neue, vielvermögende Bildhauerei verwirklichen. Diese neuen Kunstwerke wären der Ausdruck der Vereinigung von Wissenschaft und Ästhetik, von Künstler und Ingenieur. Der Bildhauer muß eine vielseitige wissenschaftliche und künstlerische Erziehung bekommen.

Seine Werke müßten mit der Kollaboration einer großen Anzahl Spezialisten hergestellt werden.

Er hätte viele Vorteile, denn da diese Bildhauerei-Architekturen nicht bewohnt sind und keine auferlegten Lasten tragen müssen, wäre es ihm gestattet, neue, freie Formen zu wählen, mutigere als in der Architektur. Im Moment, wo die Banalität gewisser Programme für Wohnungsbauten die Ausmaße der Architektur vermindert, ist es Sache der Bildhauer, die so glänzende Initiative Kasimir Malewitschs und seiner Bildhauerei, „ Dynamische Architektur “, wieder zu ergreifen.

Die zukünftigen Gebäude könnten vielseitige Formen besitzen, parabolisch-hyperbolische, einfache und zusammengesetzte, und dutzende von Metern hoch sein. Eine fortschrittliche

Technik wie die Hüllen aus Eisenbeton, einfach oder vorgepresst, könnte die Verwirklichung völlig neuer Formen fördern. Andere Bauarten, deren künstlerische Ausdrucksweise bis jetzt ungenügend ausgenützt worden waren, könnten Grund zu anderen Nachforschungen geben. Mit gebräuchlichen Materialien — Kies, Sand, Marmorabfälle, usw. —, und relativ bescheidenen Ausgaben kann man ganz verschiedenartige dynamische bildhauerische Ausführungen verwirklichen, die sehr gut unsere bewegte Zeit erläutern. Mit einfachen Anfangsmethoden, Verschalungen aus Holz, Eisen, und plastischen Materialien. Verschiedene Bildhauerformen können in luftigen Arabesken vereint werden und ein ewiges Geschicklichkeitsspiel im Raume vollbringen, je nach der Art, nach der sie berechnet worden sind, können sie unter dem Einfluß des Windes biegsam und schwebend sein, was die Beweglichkeit ihrer Linien noch hervorheben würde.

Der wahre Platz einer solchen Bildhauerei ist im Freien, nur den Himmel und die Natur als Rahmen. Eine in einem Museum eingesperrte Bildhauerei riecht nach Naphtalin. Wir haben genügend Friedhöfe für Bildhauerei, laßt uns eine lebende Bildhauerei gestalten I

stellung, daß die Wissenschaftler vollständig von der wahren Natur der Dinge absehen und ihre Rolle aufeine Spezifizierung und einen Vergleich gewisser Verwandtschaften beschränken, ist zugleich beunruhigend und faszinierend.

Gauß war der große Architekt der Mathematik.

Er hat die Kunst der Komposition der mathematischen Symbole eingeführt. Anstatt sich wie bisher auf den Begriff der Zahlen zu beschränken, führte er den Gruppen- und Klassenbegriff a s eine Folge der Ergebnisse dieser Kompositionen ein.

Trotz ihrer Geschicklichkeit im Umgang mit mathematischen Problemen erreichten die Griechen niemals diese Vision, da sie durch den Formalismus der Regel und des Kompasses zu sehr gelähmt wurden.

Vielleicht ist dies der Grund, weshalb der ganze künstlerische Fanatismus, der die sogenannte „ Göttliche Proportion “ umgibt, nichts anderes als Museumsstücke und Gebeinsammlungen ist.

Bevor man von der Form spricht, ist es von Nutzen, sich mit der Vorstellung, die Gauß vom Raume hatte, vertraut zu machen. Schon 1816 war Gauß zu dem Schluß gelangt, daß ein Beweis für Euklids Postulat von den zwei sich im Unendlichen schneidenden Parallelen unmöglich zu erbringen war und daß die Stunde einer neuen Geometrie geschlagen hatte, in der mehr als eine Parallele zu einer durch einen Punkt gehenden Geraden existieren konnte. An dieser Stelle sei es erlaubt, die vollständige Verwerfung des Kant’sehen Prinzips der Intuition zu bewundern. Die Geschichte der Mathematik erreichte somit einen Wendepunkt, an dem man erkannte, daß Wirklichkeit und Mathematik nichts Gemeinsames besitzen und den Ausspruch Renans: „ Alles ist fruchtbar außer der Vernunft “ bestätigte. Die Ausdehnung der Gaußschen Prinzipien, bekannt unter dem Namen

Eigentliche ( Nichteuklidische) Geometrie, dient Rieman als Ausgangspunkt für seine Theorie von der Topologie der Oberflächen.

Welche Folgerungen können wir also ziehen?

Da die Wahrheit nicht immer in wahrgenommenen Bildern liegt, ist es angebracht, mißtrauisch gegen unsere Sinne zu sein. Können wir also annehmen, daß es außerhalb der Mathematik kein Heil für die Kunst der Architektur gibt? Sicherlich glaube ich nicht daran, es könnte aber möglich scheinen, daß die Architektur genau wie die Mathematik einer wenn auch noch so unähnlichen Linie folgt und interessant genug einige Fragen über die Gültigkeit dieser Prinzipien und Methoden aufwirft.

Die Auffassung von der Wissenschaft als einer wohlbeschaffenen Sprache ist weitverbreitet.

Um sich vom Gegenteil zu überzeugen, genügt es, sich die heutzutage veröffentlichten wissenschaftlichen Berichte, die von einem Jargon strotzen, in dem Unverständlichkeit gleichbedeutend mit Kompetenz ist, vorzunehmen.

Unsere sogenannte Spezialistenkultur ist dazu berufen, in einer betäubenden und sinnlosen Kakophonie dahinzudämmern, gelingt es uns nicht, der Situation abzuhelfen. Ich frage mich immer, ob wir in dieser Zeit des abgeschmackten Geschwätzes nicht auf das einst so geschätzte Studium der Rhetorik zurückkommen sollten.

Nicht die Worte, sondern die „ Zusammensetzung “ der Worte sind für die Übertragung einer Mitteilung von Bedeutung. Im Verlauf von Telefongesprächen geschieht es oft, daß wir 50 % der gehörten Worte erraten müssen, — auf Grund der Tonverzerrungen und Geräusche, die sich mit jedem Wort einstellen. Prüfen wir die Etymologie eines jeden Wortes, so verlieren wir den Faden, genau wie jemand, der einen Code nicht benutzt hat und dem es überlassen ist, den Sinn der Abkürzungen zu entdecken. Dies

Bildhauerei-Architektur

Die Demokratisierung der Architektur, Anfangs des Jahrhunderts, die Verweigerung jeglicher Verzierungen, die Einfachheit der Proportionen, die Anwendung neuer Materialien und Baumittel vertieften die Trennung zwischen Bildhauerei und Architektur, obwohl die zwei Künste früher eine sehr verbundene Familie bildeten.

Die industrialisierte Architektur wurde ohne die Mithilfe der Bildhauerei schnell banal, eintönig und ohne Persönlichkeit. Aber auch die Bildhauerei blieb, anstatt sich anzupassen, der griechisch-lateinischen Kultur treu und den traditionellen Ausführungsmethoden und klassischen Materialien. So behielt also die Bildhauerei in einem mechanisierten Zeitalter ihre Stellung als kleiner Werkmeister. Die Bildhauer blieben bastelnde Handwerker, mit, an ihrer Spitze, einigen Genies.

Die Bildhauerei behält, sogar in unserer Zeit, ihr klassisches Wesen, da sie weder Ausmaß, noch Fantasie, noch genügend Schwung hat.

Denn die wenigen materialisierten Beteuerungen mit Hilfe von verwickelten Schrottstücken, verrosteten, plump zusammengeschweißten Blechen oder darunter und darüber geworfenen Holzstiieken bilden keine Antwort oder Lösung für die Bildhauerei von Morgen, denn sie sind nichts

R. Le Ricoiais

Einführung in den Begriff der Form

Diese Studie soll, von gewissen bestimmten Anhaltspunkten ausgehend, ein Versuch zur Erklärung des schwierigen Begriffes der Form sein. Plato war bekanntlich einer der ersten, der dem Formproblem seine heutige Bedeutung beimaß, ihm schwebte aber, wie allen Mathematikern seiner Zeit, eine eher statische Struktur der Form vor, im Gegensatz zur mehr abstrakten und verallgemeinerten Bedeutung, die ihr heutzutage verliehen werden muß.

Ein Teil unserer Ausführung wird eine allgemeine, mehr fließende Auffassung von der Form betreffen, oft verbunden mit dem Parameter Zeit, die auch die Bewegung miteinschließt — Einführer der Form, wie wir sie bei lebenden Organismen beobachten —: das Verhältnis von Statik und Dynamik kann mit Hilfe der verhältnismäßig neuen Einführung der Wellenmechanik und der Kenntnis der Vibrationsbewegung verständlicher gemacht werden.

Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts schuf Monge (1746-1818), der Gründer der Ecole Polytechnique und Schöpfer des Gesetzes der orthographischen Projektion (darstellende Geometrie), den Begriffder „ Grenzformen “ dreidimensionaler Körper. Er beschränkte somit seine Aufmerksamkeit auf eine äußerliche Wahrnehmung der Form. Im Gegensatz zu Monge hatte Karl Friedrich Gauß, der Mathematikgigant, eine weit tiefer gehende Idee. Er faßte die Form als eine mathematisch reine Einheit, die, wie er es nannte, wesentliche Eigenschaften besaß, auf. Dieses Konzept ist gegenwärtig und zukünftig gültig und es ist bestätigt, daß sich die Wirklichkeit früher oder später aus reinen mathematischen Abstraktionen herleitet.

Es wird allgemein anerkannt, daß die Mathematik auf dem Gebiet der theoretischen und angewandten Physik ein phantastisches Formrepertoire an den Tag gebracht hat. Die Fest49

bestätigt die Grundhaltung des modernen Menschen, der unfähig ist, sich Zeit zum Denken zu nehmen. Die Universitäten sind vor dieser Art von Dummheit nicht geschützt, wie zum Beispiel das Wort „ Umgeben “ (environnement) auf Grund seiner Allgemeingültigkeit überhaupt keinen genauen Sinn mehr hat und nichts besagt, indem es alles besagt.

Im technischen Jargon vernehmen wir recht seltsame Dinge. Ich wünsche, ich wüßte was zum Beispiel die „ unterbrochene Kompression “ ist oder was man mit „ Tensegrität “ und „ Synergetik “ meint.

Ein Glück, daß Molière nicht mehr lebt, indes dürfen wir Boileau glauben, wenn er sagt, daß, was gut zu verstehen ist, sich auch leicht ausdrücken läßt... Marginalkenntnisse auf dem Gebiet der Form sind gefährlich, da wir uns nicht mehr auf dem Felde der literarischen Kultur befinden, wo sich Erfolg durch Verführung und Charme einstellen („ Das Geheimnis besteht darin, zunächst zu gefallen und zu bezaubern “).

Schlußfolgerungen und Feststellungen müssen auf Tatsachen beruhen und nicht auf Absichten.

Deshalb sollten die Studenten eine gewisse Art von Askese nach der weisen Devise des Sokrates: Erkenne dich selbst (Gnoti seauton) üben. Wir haben, was den Studenten struktureller Formen betrifft, einige Archetypen an Perversion versammelt.

Der Geometer, der in Begriffen einer starren Gestaltung denkt und mehr oder weniger wie das Prokrustesbett handelt, im allgemeinen ebenso wirkungslos wie das System der lotrechten Straßen San Franziskos.

Der Modellbauer, Liebhaber einer auf Wiederholung (Stil Tam-Tam) basierenden ästhetischen Geometrie. Diese Art von Schwäche ist häufig bei den Schöpfern von räumlichen Strukturen, die behaupten, die Kräfte werden den Wendungen ihres Geistes folgen.

Die à la Corbu in die gekrümmte Form Verliebten... Jene Art von Schwäche, die den Aerodynamismus auf Kinderwagen an wendet.

Der Sensationslustige, der aufreizende Formen sucht. Beispiel: eine auf ihrer Spitze stehende Pyramide. Die New-Yorker Weltausstellung hat eine aggressive Verbreitung dieser hirngespinstigen Dummheiten gebracht.

Der Beobachter der organischen Welt mit Objektiven wie die Umwandlung von Raupen in Einschienenbahnen oder von Honigstrahlen in Städte.

Die Strukturen sind heute überschwemmt vom Begriff der „ Schalen “ oder Muscheln und die Bezugnahme auf biologische Beobachtungen erlaubt es uns, seltsame Betrachtungen über das „ schützende Handeln der Muscheln “ zu hören. — Ist diese in der Natur gefundene Starrheit gut oder schlecht? Beides zugleich.

— Handelt die Natur wie ein Wohlfahrtsbüro?

Sicherlich nicht. Und das Ganze geht mit dem Erscheinen des Ästhetismus in einen Schwank über. Die Schale eines Tieres ist nichts anderes als eine der Bewegung entgegengesetzte excreta, die sich im Widerstand zu den perfektionierten Organismen, die man Wirbeltiere nennt, gefunden hat. In einer Welt ohne Endzweck, hat Nietzsche geschrieben, „ existiert nichts, das Zufall genannt werden könnte Diese Notwendigkeit der Selbstanalyse ist meiner Meinung nach wichtig für die Bestimmung unseres Irrtumskoeffizienten, — so braucht ein geübtes Ohr wohl kaum Berechnungen, um die Frequenz einer schwingenden Saite zu bestimmen. Ich kenne einen Graveur, der fähig ist, eine Stahlplatte auf das Hundertstel eines Millimeters genau zu stechen. Diese Disziplin enthält eine reinigende Tugend, indem sie uns hilft, die Nichtübereinstimmung zwischen dem, was wir sind, und dem, was wir zu sein glauben oder sein wollen, zu erkennen.

Der Finalismus, der einen Endzweck für eine beobachtete Erscheinung enthält, hat unsere wissenschaftlichen Systeme und Theorien jahrhundertelang beeinträchtigt. Diese naive anthropozentrische Haltung bildet die Wurzel dessen, was die humanistische Bewegung der Architektur genannt wird. Ein derartiger Respekt des Individuums besitzt sicherlich einen großen 50

moralischen Wert, der Großteil unserer heutigen Probleme betrifft aber Gruppen, ein Fußgänger hat einen gewissen Maßstab, ein Autofahrer einen anderen. Sie bilden zwei verschiedene Gesamtheiten. Soll das Individuum oder der Teil dieser Gruppe Gegenstand unserer Aufmerksamkeit sein?

Formen und Strukturen sind Folgeerscheinungen und nicht Ursprung des Lebens Sie sind die Folgen einer ewigen Evolutionsarbeit, die durch eine Kette von Sekundärhandlungen wirkt. Derfranzösische Zoologe Frederic Houssaye aus der kinetischen Schule hat folgendes Diagramm gegeben: Kraft

Bewegung

Formen

Diese vereinfachte Aussage ist schon wunderbar komplex, wobei der Faktor Zeit unbeachtet gelassen wurde, obwohl er einen wichtigen Bestandteil des Ursprungs der Arten bildet.

Wir wollen hier eine wichtige Bemerkung über den verschiedenen Wert der absoluten und relativen Zeit machen. Die Würdigung der Zeit führt einen anthropomorphischen Irrtum mit sich, der aus dem Zeitvergleich resultiert, sei es zwischen Entfernungen oder Ereignissen.

Dies ist eine reine Mutmaßung. Die Zeit hat tatsächlich keine andere Wirklichkeit als die des Augenblickes, — zwischen zwei Nichts schwebender Augenblick: der Vergangenheit und der Zukunft. Dieser die Auffassung von der Diskontinuität mit sich führender Begriff, der Konzeptionen wie die Quantenphysik überschwemmt hat, wird uns kaum überraschen, wenn wir Philosophen wie G. Bachelard von der „ granularischen Natur der Zeit “ sprechen hören.

Dieses Konzept erleichtert uns in gewisser Hinsicht das Verständnis, daß die Zufälle am Anfang jeglicher Entwicklung stehen. Wir können also den kindischen Gedanken vom Fortschritt verbunden mit der Wiederholung ablehnen.

Eine einfache Definition der Eigenschaften der Form besteht im Studium des Einflusses der Kräfte auf verschiedene Soliden. Dieses Studium deckt das Gebiet der Statik, die schon ein recht großartiges Unternehmen bildet und mit der Lehre vom Widerstand der Materialien vereinigt ist. Die paradoxale Kenntnis von der Materie erfordert ein ebenso feines Abstraktionsvermögen wie die Mysterien der spiritualistischen Schöpfung. Unter dem Druck technologischer Probleme wurden große Fortschritte erzielt, es bleibt aber noch viel zu tun übrig, besonders auf dem Gebiet der Brucherscheinungen. Aber dieser Gesichtspunkt der Form ist zu speziell, um in diesem Artikel erörtert zu werden.

Im Laufe des vergangenen Jahrhunderts hat die Kenntnis der Kristalle, eingeführt durch Bravais, eine neue unter dem Namen Kristallographie bekannte Lehre geschaffen, die durch die Geometrie der Kristallnetze veranschaulicht wird und einige Hinweise auf die Architektur der Materie und ihre sogenannten „ automorphischen “ Eigenschaften liefert, wobei der Automorphismus die strikte Vorbedingung für eine geometrische Wiederholung ist. Wir haben darzulegen versucht, daß gewisse relativ einfache topologische Umformungen zu einem Kräftediagramm führen, das unter gewissen Bedingungen äußeren Zwanges ebenfalls einen Automorphismus besitzt. Dies ist wohlbemerkt die Ausdehnung der graphischen Strategie auf das Studium der Netze. Die Kristallographie hat ein neues Ordnungskonzept geschmiedet und fruchtbare Fragen über die Geometrie aufgeworfen und zu dem geführt, was man die „ Bedingungen für die gleiche Teilung des Raumes “ nennt.

Die mathematischen Bedingungen der gleichen Teilung des Raumes sind am Ende des vergangenen Jahrhunderts von Lord Kelvin in seinem berühmten Bericht an die Königliche Akademie mit dem Titel, «Homogene Verteilung des Raumes» zusammengefaßt worden. Er führte zur Definition eines halbregelmäßigen vierzehnseitigen Polyeders, mit 8 Hexagonalen, 6 Quadraten, 24 Spitzen und 36 Kanten,

bekannt unter dem Namen Tetrakaidekaeder.

Dies ist, meiner Meinung nach, der größte Beitrag zur Geometrie seit Platos Entdeckung der fünf Beständigen, dem Tetraeder, dem Oktaeder, dem Würfel, dem Ikosaeder und dem Dodekaeder. Außerdem führt sie zu dem Begriff der pulsatorischen Funktionen, die mit Vibrationslehre in Verbindung stehen.

Im 18. Jahrhundert hat der Mathematiker Lagrange unter Zuhilfenahme der analytischen und differentialen Geometrie Spekulationen über die Existenz der „ minimalen Oberflächen “ angestellt, das heißt die Oberflächen, für welche die algebraische Summe der beiden Krümmungen gleich Null ist ( wenn wir die Krümmungen als den Reziprokenwert der Kriimmungsstrahlen definieren). Diese Minimaoberflächen führen zu einem Minimum an Material für eine gegebene Oberfläche. Solche Oberflächen können mit Hilfe eines Seifenfilmes sichtbar gemacht werden wie die Versuche Plateaus, der die Kapillarität studiert hat, gezeigt haben.

Dies alles veranschaulicht, neben anderen Beweisen, die prophetische Macht der Mathematik wie im Vorhergehenden dargelegt. Und wie es Poincaré ausgedrückt hat: „ Im Verhalten eines Seifenfilmes liegt mehr Vernunft als in der Vorstellung des Menschen.“ Beim Suchen nach wissenschaftlichen Entdeckungen muß die Beobachtung die Intuition begleiten.

Die Einführung des Zeitparameters in die Mechanik, eine Folge der Galileischen Entdeckung der Pendelgesetze, hat den Triumphgweg für eines der größtenKonzepte unserer Zivilisation eröffnet: die Mechanik der Wellenbewegung, von empfänglichen Geistern wie Pythagoras zwar vorausgeahnt, mangels der notwendigen mathematischen Instrumente aber nicht eingehend studiert.

Es ist nicht sicher, daß die Geschichte der Wissenschaft eine dem Studium der Kräfte vorhergehende Notwendigkeit darstellt, aber es scheint mir, daß die Nachforschung über Ort, Name und Datum der erinnerungswerten Erfindungen im Sinne der Historiker wenig Wert und Bedeutung hat. Ich bin aber davon überzeugt, daß die Beschäftigung mit der Wellenmechanik ohne ein Studium der Etappen dieser Theorie in der Zeit ein Irrtum ist, wie es mir ein Zeitverlust scheint, Differentialgleichungen zu „ integrieren bevor man die Schwingungen einer Saite gesehen hat und davon eine experimentelle Demonstration geliefert hat. Die Geschichte der Wissenschaft ist nicht die der Wissenschaftler. Was hingegen wichtig ist, ist die Kontroverse zwischen den allgemeinen Ideen und ihren Veränderungen im Laufe der Entwicklung der Erkenntnis. Wenigstens würde ein solcher Versuch dem Studenten zum Verstehen helfen, daß nach den Theorien einzig die Tatsachen übrigbleiben. Das einfache Sammeln von Tatsachen leistet den besten Beitrag zur Wissenschaft.

Formen und Vibrationen Das Bild einer Schwingung, oder genauer die Amplitude als ein Ausdruck der Dauer, ist bekanntlich durch eine Sinuskurve gegeben. Der Abstand zwischen zwei Scheiteln ergibt die Periode T oder die Länge der von der Ausbreitung benötigten Zeit, wobei 2 die Wellenlänge symbolisiert und V die Fortpflanzungsgeschwindigkeit. Wir haben also: 2

= VT oder V = 2: T = 2.N

N steht für — und wird die in Sekundenperioden ausgedrückte Frequenz genannt.

Diese Frequenz variert je nach Form des schwingenden Elementes, das eine Saite, ein Stäbchen, eine Membrane oder eine Platte sein kann. Bei gewissen Problemen ist eine Bestimmung dieser Frequenz wichtig, um das Phänomen der Resonanz, die den Zusammenbruch der Struktur verursachen kann, zu vermeiden.

Zwei Arten von senkrechten Schwingungen können sich ergeben: longitudinale oder axiale Schwingungen, wie wir sie in einer Spiralfeder, wo Kompression und Expansion aufeinanderfolgen, beobachten können, oder transversale

Schwingungen, die eine dynamische Verformung der Feder verursachen. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in der Feder variiert mit dem Material, genauer mit Youngs Modulterminus oder je nach Elastizität und nach Dichtheit der Stoffe nach der Gleichung: V

= y/ Eg: w

Für Stahl gilt V — 5400 Meter in der Sekunde.

Interessant ist die Feststellung, daß die Geschwindigkeit des Schalles, die die Aero- und Thermodynamik beherrscht, auch auf die Übertragung der Empfindungsaufnahme einwirkt.

Eine weitere Bemerkung kann gemacht werden.

Nehmen wir die Zeit als Parameter, so fällt die Elastizitätstheorie in sich zusammen, da sie sich auf die Hypothese von der begrenzten Verformung gründet. Geschehen aber bedeutende Verformungen, so wirddie elastische Deformation von zahlreichen anderen Erscheinungen begleitet.

Dem Akustiker Savart war es wirklich schwergefallen, sich darüber klar zu werden, daß die aus den longitudinalen Schwingungen resultierenden starken Abstandswinkel unabhängig von der Sehneidefläche des schwingenden Stabes sind. Beachtet man die von der rhythmischen Impulsion benötigte Zeit, so ist dies weniger überraschend. So kann zum Beispiel ein kleines Kind eine Glocke beträchtlichen Gewichtes in Bewegung versetzen, da zwischen dem Gewicht der Glocke und dem des Kindes keine Beziehung existiert.

Die durch die Schwingungen verursachten Kräfte führen eine bedeutend größere Streckung mit sich als die Spannung an sich, was für Musikinstrumente wie die Geige nachweisbar ist, denn sie verlangt ein häufiges Stimmen. Solche Erscheinungen sind bei Spannungsstrukturen bedeutsam und unterstreichen klar die Notwendigkeit einer Dämpfung der Schwingungen.

Ein Wellblech veranschaulicht, was wir „ automorphische “ Formen oder sich periodisch wiederholende Formen nennen. Der Trägheitsmodul drückt diese Periodizität durch Einführen des Koeffizienten tt aus.

Die Suche nach einem optimalen Säulenaufriß gibt ein Beispiel dafür, wie das Studium der Vibrationen zu neuen Formen führen kann.

Dieses Verfahren besteht darin, das Fundament mit Hilfe einer Triangulation, die so berechnet ist, daß eine Verformung vermieden wird, in seine harmonischen Bestandteile zu zerlegen.

Eduardo Corona

Vom Einbaum bis zur Weltraumrakete umfaßt die Beziehung von Bewegung und Form wunderbare Beispiele menschlichen Erfindungsgeistes.

Ein zu weites Gebiet, um in dieser kurzen Abhandlung erschöpfend behandelt zu werden und wir beschränken uns daher auf allgemeine Betrachtungen.

Wie wir gesehen haben, sind mathematische Ausdrucksweise und ihre Symbole ein noch unausgebeutetes Formreservoir und wird es auch immer sein. Es ist eine Regel, daß die Abstraktion der rein zur Unterstützung des Denkens erdachten Konzepte später ihren Platz im Vokabular der angewandten Wissenschaften gefunden hat. Durch das Abstraktionsvermögen und die objektive Einstellung des Geistes gegenüber dem Unbekannten. Magie und Poesie hatten trotz ihrer Subjektivität wahrscheinlich dieselbe Macht. Die Form wird oft mit dem Gegenstand, den wir sehen, berühren oder in unsere Hände nehmen können, verwechselt. Für ein Kind ist die Entdeckung des Wassers eine unvergeßliche Erfahrung.

Um die Kunst des Fliegens zu kontrollieren, kann der Mensch weit mehr tun als ein Paar Flügel auf seinen Rücken zu binden. Die Beschaffenheit des LuftStroms hat die Flugzeugform bedingt. Aus dem Studium der negativen Wirkungen der Wirbel und Strudel entstand ein Versuch, dem Menschen das Verlassen des Bodens zu gestatten. Man muß den Naturgesetzen folgen, bevor man sie beherrscht.

Wieweit kann der Mensch auf ein Verstehen der Natur hoffen? Mit ihren vielfachen, Ursache und Wirkung durchkreuzenden Dimensionen und Kombinationen? Wie Eddington bemerkte, eine Verwechselung von natürlichen und von Menschenhand gefertigten Gegenständen ist unmöglich. Letztere sind nur zu einem einzigen Zweck und nur in einer Absicht bestimmt, während die Natur fähig ist, komplexen Forderungen zu entsprechen, die oft unser Verständnis übersteigen.

Ganz offensichtlich beinhaltet das Leben Formen, das Gegenteil ist aber, wie wir gesehen haben, nicht richtig. Die Probleme des Wachstums und des Lebens hängen zusammen und bis heute ist der Mensch nicht fähig gewesen, wachsende Maschinen zu bauen. Vielleicht muß er, bevor er das Formproblem löst, das Leben künstlich schaffen. Um dahin zu gelangen, gilt es einen weiten Weg zu gehen, über das Sichtbare und Verständliche hinaus. Was nichts Unmögliches bedeutet.

senhaftigkeit Lucio Costas und der schöpferischen Fantasie Oskar Niemeyers aufgenommen.

Sie setzten die Hauptbeschaffenheiten unserer heutigen Architektur fest.

Die Abbildungen, die diesen Artikel begleiten, sind ein wertvolles Beispiel dessen, was die brasilianischen Architekten in den letzten Jahren geleistet haben und heute noch leisten. Neben einigen großen Meistern wie Niemeyer, Reidy und Rino Levi (beide kürzlich verschieden), Mindlin, Jorge Moreira und Vilanova Artigas, gibt es

mehrere Junge, deren Verdienst unbestritten ist.

Die Werke, die besonders hervorstechen, sind vor allem diejenigen von Brasilia und besonders die Niemeyers. Bei allen diesen Gebäuden sind die vielen vorfabrizierten Bestandteile bezeichnend für die Bedeutung, die diese Baumethode in Brasilien erlangt hat.

Wir hoffen, daß wir in Zukunft den Lesern dieser Revue einen immer vollständigeren Überblick über die brasilianische Architektur und die bedeutendsten unserer Erbauer geben können.

bäude, da sie die Gelegenheit ausgeniitzt haben, Mittelpunkt der Olympiade zu sein. In Grenoble selbst wird der Bau des olympischen Dorfes, des Pressezentrums (Architekt Novarina), des Kulturhauses (Architekt Wogenscky), der Ausstellungshallen (Jean Prouvé), des Bahnhofes, des neuen Gemeindehauses (Novarina), des Campuses der wissenschaftlichen Universität (Bovet et Cacoub) beendigt, und die Stadt ist stolz, die drei höchsten Gebäude Frankreichs zu besitzen — die 3 Türme der grünen Insel, Werk der Architekten Pierre Puccinelli und Roger Anger. Auf dem rein sportlichen Gebiet sind zwei Ausführungen hervorzuheben: der Ring des Schlittschuhschneilaufs und der Eispalast.

Aber die Olympischen Spiele waren auch ein Vorwand für die Stadt Grenoble, eine noch nie dagewesene Kundgebung zu organisieren: ein

internationales Symposium der monumentalen Bildhauerei. Während zwei Monaten arbeiteten 15 Künstler aus II Ländern mit Stein, Beton, Stahl, Aluminium und Holz um sehr große Baustücke zu verwirklichen die an verschiedenen Stellen der Stadt aufgestellt werden sollen.

Dieses Experiment einer „ Integrierung der Kunst in die Architektur “ wurde in engster Verbindung mit den Architekten, Städtebauern und Landschaftsmalern, die verantwortlich sind für die verschiedenen Programme und Bauwerke, gemacht. Außerdem war der Wiederaufbau der meisten öffentlichen Gebäude Grenobles der Beweggrundfür zahlreiche Aufträge an Werken.

So wird also Grenoble — dank des Dynamismus seiner Gemeinde —Frankreichs an Werken zeitgenössischer Künstler reichste Stadt, und kann auch stolz behaupten, an der Spitze zu liegen, was Architektur und Städtebau anbelangt.

Brasilien

Die brasilianische Architektur ist einerseits mit der kulturellen Entwicklung des Landes verbunden, anderseits abhängig von einem Amalgam der verschiedensten Beiträge, die sie vor allem in letzter Zeit stark beeinflußt haben.

Unsere Architektur hat es verstanden, ihre eigene Ausdrucksweise zu erhalten, sich den technischen Fortschritt zueigen zu machen und von fremden Einflüssen zu profitieren.

Den entscheidenden Anstoß gab Le Corbusier, der unser Land im Jahre 1929 besuchte. Seine wertvollen Ratschläge wurden von der Gewis-

Marc Gaillard

Verteilt man ein leichtes Pulver wie Balsasägespäne über eine vibrierende Membrane, so erhält man interessante, unter dem Namen Schwingungsknotenformen bekannte Figuren.

Sie geben klar die Amplitudezonen 0 oder Hauptpunkte (Knoten) der Schwingungen an.

Diese Schwingungsknoten bilden rechteckige Gewebe oder radiale und peripherische Figurengruppen.

Die Lage des Schwingungsknotens gestattet somit, eine gegebene, für die Form bestimmende Frequenz festzustellen.

Solchen Problemen begegnen wir bei der Projektierung von Radarschirmen, die aus einer äußerst dünnen Aluminiummembrane bestehen, die über ein Kreisgerüst, dessen sphärisches Profil durch Schaffung eines Hohlraumes erhalten wird, gespannt sind. Die Komplexität der uns umgebenden physischen Welt wird durch gewisse unter der Bezeichnung Kapillarität eingereihte Phänomene dargelegt. Sie veranschaulichen vollkommen den Unterschied zwischen groß und klein und ihr Studium hat die Formkenntnis beträchtlich bereichert, da in der lebenden Welt kleine Tiere und Organismen, besonders in der Gruppe der Geißeltierchen, diese Formen reproduzieren.

Wie wir im Vorhergehenden im Hinblick auf die Versuche von J. A. Plateau gesagt haben, haben Mathematiker mit der ihnen eigenen Verfahrensweise eine Klassifizierung dieser unter dem Namen elastische Kurven bekannten Kurven entwickelt. Einige Beispiele sind hier wiedergegeben.

Die seltsame Formvariation dieser Kurven resultiert aus der Unbestimmbarkeit des Radialzeichens der Krümmung.

Die praktische Anwendung dieser Formen kann von Interesse sein. Ein Beispiel dafür liefern gewisse Flüssigkeitsbehälter, die nach dieser Theorie berechnet wurden. Die Wichtigkeit, die Krümmungsstrahlen auf ein Minimum zu beschränken und dennoch ein gegebenes Fassungsvermögen zu erhalten, hat zu einem wirtschaftlichen Entwurf der Krümmungsgestaltung geführt. Diese Technik harrt noch ihrer praktischen Anwendung. Unabhängig von ihrem Nutzwert drücken diese Erscheinungen die Existenz von zusammenhängenden Kräften oder gegenseitiger Anziehung aus, sie wirken auf kurze Entfernungen, aber ihre Intensität nimmt sehr schnell mit der Entfernung ab. Es sind diese Kräfte, die die Oberflächenspannung erzeugen.

Frankreich

Außer der Beendigung einiger Bürogebäude in Paris hat sich das französische Architekturjahr nicht besonders hervorgetan durch Bauten großer Qualität. Einige gescheiterte Versuche ( wie die Expo-Dörfer) können uns nicht täuschen. Es ist wahr, daß die Behörden in Frankreich nichts dazu tun, um eine neue Architektur zu fördern.

Zwei Wettbewerbe, der eine für die Forschung industrieller Bauten, der andere für den Bau von tausend Jugendklubs, sind durch die skandalöse Wahl der beste Beweis dafür. Was die großen Ausführungen anbelangt, gibt es nichts wirklich überzeugendes. Des Problem Nr. eins dieses Jahres war die Renovierung der „Halles centrales de Paris der vollständigste und realistischste Plan ist derjenige von A. und H. Listowski.

Grenoble und die umliegenden Orte zählen die größte Anzahl moderner, qualitätsreicher Ge-

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J.-L. C. Choisy

Holland 1967

Wie in vielen anderen Ländern haben es auch in Holland die jungen Architekten nicht gerade leicht. Es wird sehr viel gebaut, ca. 120 000 Wohnungen pro Jahr, die Villas sind selten aus Gründen des Platzmangels, und die Preisausschreiben sind noch seltener. Das bedeutet, daß es für einen Anfänger schwierig ist, Bestellungen zu bekommen, und wenn, dann sind es im allgemeinen Bestellungen für Spezialbauten, mit denen er versucht, seine Ideen über die Architektur auszudrücken.

Aber gerade, weil diese bescheidenen Bauten oft eine Botschaft enthalten, ist es sehr interessant, sie genauer zu studieren und in ihnen die Zukunft zu lesen.

Ich habe zwei Werke ausgesucht, die, glaube ich, die zwei wichtigsten Tendenzen des Momentes darstellen. Es handelt sich um das Studentenheim in Amsterdam, von H. Hertzberger, und die Personalkantine des Polytechnikums in Enschede, von J. van Stigt.

Hertzberger beschäftigt sich hauptsächlich mit der gegenseitigen Abhängigkeit der Dinge und der Menschen. Er versucht, den Menschen mit seiner Umgebung zu harmonisieren.

Da aber der Architekt für zahlreiche unbekannte und wechselbare Menschen baut, hat auch er sich das Problem der Biegsamkeit zu Herzen genommen. Er ist gegen die Lösung, die darin

Martin Pinchis, S. Zalman

daß der Architekt in engster Verbindung zu den Formen und zur Materie steht.

J. van Stigt hat sich durch seinen Plan für das Kinderdorf Pestalozzi bemerkbar gemacht, für den er den holländischen „ Prix de Rome “ erhielt (siehe Forum No. 1, 1963).

1963 baute er eine Personalkantine für das Polytechnikum in Enschede. Dank dieser ersten Verwirklichung setzt er sein Streben fort, um eine Universalstruktur zu entwickeln.

Für J. van Stigt gibt es keine Beendigung.

Wenn der Bau fertig ist, der Raum geformt, braucht man nur noch die Möbel anzuordnen.

Falls die Form nicht für kleine Räume geeignet ist, füllt er sie mit Möbeln aus. Es ist bezeichnend, daß die Fenster in dem Restaurant so gut wie keine Rahmen besitzen, die Scheiben sind direkt in die Öffnungen eingelassen. Der Architekt hat zugegeben, daß die Zukunft in der Vorfabrizierung liegt. Und doch ist dieser strikte Strukturalismus so erdacht, daß es möglich ist, freie und menschliche Räume in direkter Verbindung zur Außenwelt zu schaffen.

Zwei Architekten, von denen der eine entschlossen ist, das menschliche Recht, das so oft bedroht durch Massenlösungen ist, zu verteidigen, und der andere, der die Herausforderung einer gänzlich industrialisierten Welt annimmt und versucht, ihr eine menschliche Form zu geben.

Industriebauten in Rumänien

Die Industrialisierung von Rumänien hat sich unter Bildung weiträumiger industrieller Zonen abgewickelt, wodurch Zersplitterungen vermieden wurden. 1963 betrug der Anteil der Unternehmen mit mehi■ als 2000 Angestellten 44,2%.

Das bedeutendste Industriezentrum ist der Eisenkomplex „ Gh. Ghiorgio-Dej “ von Galatz.

Dank der zahlreichen, vielseitigen Industriekonstruktionen hat sich die rumänische Architektur durch einen intensiven Wettbewerb und

E. Girault

besteht, neue Formen zu gebrauchen, denn er behauptet, daß sie sich nur schlecht den Mensehen anpassen.

Er erklärt das folgendermaßen: „ Man muß die Möglichkeit einer persönlichen Auslegung schaffen, indem man die Dinge so tut, daß sie auch wirklich abhängig sind von ihrer Auslegung.

So stimmen der Gebraucher und die Formen überein, ihre gegenseitige Ähnlichkeit wird unterstrichen, sie werden „ sich selbst “.

Diese Einstellung läßt Hertzberger ausdrucksvolle und besondere Formen suchen, nicht nur für jeden Zweck, sondern auch für jede Situation. Alle Dinge sind unabhängig (siehe Forum, Juli 1967). Als Beweisführung hat er in seiner Studentensiedlung eine Straße in Höhe der umliegenden alten Häuser gebaut, die als Zugang zu den Studios der verheirateten Studentea gilt, aber auch ein Aufenthaltsplatz und ein gefahrloser Spielplatz für Kinder ist. Der Architekt wollte mit dieser Lösung zeigen, was unsere Häuser und Städte wären, wenn man ähnliches anwenden würde, Im Parterre des Gebäudes befinden sich das Universitätsrestaurant, die Buchhandlung etc.

In diesen Räumen kommt die Einstellung des Architekten am besten zur Geltung. Es handelt sich um ganz persönliche Formen, man fühlt,

ein künstlerisches und strukturelles Suchen weiterentwickelt. Parallel zum Suchen nach der besten technologischen Lage, haben sich die Architekten darum bemüht, klare Kompositionen zu schaffen, harmonische Volumen zu vereinen und bei jeder industriellen Einheit die spezifischen Kennzeichen auszuarbeiten. Sie haben sich gleichfalls darum bemüht, den Angestellten die besten Arbeitsbedingungen, die beste Beleuchtung, Ventilation und Heizung zu bieten

und polychrome Innen- und Außenräume zu schaffen, um dem Komfort und der Ästhetik gerecht zu werden. Die gleichen Sorgen und Bemühungen sind bei den Kultur- und Sozialbauten, sowie auch den Grünanlagen angewandt worden.

Trotz zahlreicher Schwierigkeiten und Vorurteile, verfolgt die rumänische Architektur ihre Entwicklung und versucht, ihren Beitrag zur internationalen Architektur zu leisten.

die in Touba. Die Innendekoration der Moschee in Dakar, deren Grundlage aus Keramik ist, ist ein wahres Wunderwerk, und man kann die Behauptung aufstellen, daß es sich da um eine richtiggehende Wiedergeburt der Iberomaurischen Kunst handelt.

Was die Zukunft der Architektur im Senegal betrifft, muß man zuerst einmal in Anbetracht ziehen, daß die wirtschaftlichen Notwendigkeiten in Entwicklungsländern das Vorrecht einnehmen. Es ist unerläßlich, daß Städtebauer und Architekten, wie prominent sie auch sein mögen, die Einsicht bekommen, daß in diesen vor allem armen Ländern bei der Erschaffung von Städten und Gebäuden die Schönheit eng mit der Sparsamkeit verbunden werden muß.

Um dieses „ afrikanische Griechenland “ zu

werden, hat der Senegal verhältnismäßig große Summen in Theatern und Museen angelegt, aber diese Ausführungen richten sich nur an eine kleine Elite. Um es weiter zu bringen, hat Herr Arsac im Rahmen der „ Renovation von Medina “ vorgeschlagen, Interessezentren, richtiggehende senegalische „ Agoras zu errichten. Vom architektonischen Standpunkt aus sollten diese Zentren Modelle sein, die sich der Ästhetik und der lokalen wirtschaftlichen Lage anpassen. Die Architekten, die sie bauen werden, müßten sich also ganz in das senegalische Leben einfühlen und sich die Seele des Landes zueigen machen können. Daher die Notwendigkeit einer Ausbildung senegalischer Architekten, vereint mit Architekten der technischen Fürsorge.

Einige Vorschläge :

50-100 km auf dem äußeren Rand zusammen.

Es wurde vorgesehen, hier eine ausgedehnte Erholungszone zu schaffen und gleichzeitig die vorhandenen Siedlungen in Satellitenstädte umzuwandeln.

Zur Zeit befaßt man sich mit der Aufwertung der alten Viertel (Vergrößerung der Dichte — etwa 250-500 Einw./ha). Die großen Bebauungsrichtlinien streben jedoch danach, den historischen Mittelpunkt auseinanderzulegen um daraus eine privilegierte Metropole zu machen und die Bildung von selbstständigen Bezirken von etwa 500 000 Einwohnern zu fördern mit paralleler Vermehrung der städtischen und vorstädtischen Grünflächen.

Senegal Die heutigen architektonischen Ausführungen im Senegal können in 5 Kategorien eingeteilt werden: 1) Die Strohhütten und traditionellen Häuschen.

2) Die Gebäude im sogenannten Kolonialstyl.

3) Die mit dem modernen Wohnungswesen verbundenen Ausführungen. 4) Die öffentlichen Gebäude und modernen Monumente. 5) Die religiösen Bauten.

Die Kirchen und Moscheen bieten ein großes Interesse vom Standpunkt der Ästhetik aus.

Der Ursprung der architektonischen Inspirationen für die senegalischen Moscheen stammt aus drei Stylen: der Sudanesische, der Iberomaurische und der Pseudoorientalische. Die drei größten Moscheen des Senegals sind: die Hauptmoschee in Dakar, die in Diourbel und

Alexandre Karvovski

UdSSR

IDEENWETTBEWERB Wiederaufbau des Moskauer Zentrums, Bebauungsplanung der Innenstadt innerhalb des B-Ringes

Geschichtliche Notizen: Moskau, Hauptstadt der Sowjetunion, im Jahre 1966 6 400 000 Einwohner, Fläche: 875 km2, von der Moskowa durchflossen.

Kreiskonzentrischer Aufbau, dessen Axe der Kreml und die umliegenden Festungen ist. Das System umfaßt derzeitig drei Ringe, ein 4. und ein 5. Ring sind im Werden begriffen. Die Altstadt befindet sich innerhalb des 2. Ringes (B-Ring mit 4-5 km Durchmesser). Unter der sowjetischen Regierung gab es zwei große Bebauungsperioden: von 1931-1950, sowie seit 1950, wo die Bebauungsplanung die Randgebiete erreicht.

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In den Jahren 1920-1930 entstanden bei Ideenwettbewerben sehr fruchtbare Projekte.

Alle derzeitig bekannten Schemen wurden damals entwickelt: Parallelstadt, gestreckte Stadt, Mutterstadt mit Satelliten, rationalistische Neugestaltung des historischen Teiles...

Die Neugestaltungsmaßnahmen wurden in einer Reihe von langfristigen Dokumenten niedergelegt: Der General-Bebauungsplan von 1935-1950, der Stadtbebauungsplan von 19511960, die Bebauungsgrundsätze (T.E.O.) —seit 1961. Die virtuell angewandte Methode ist die intensive Ausnützung des Verwaltungsbereiches, der sich innerhalb der Ringautobahn (40 km/ 60 km von Osten nach Westen und Von Norden nach Süden, 109 km Umfang) befindet. 1960 wurden diesem Gebiet die heutigen Maße gesteckt, indem in den Randgebieten bedeutende Grünflächen mit einbezogen wurden; diese laufen mit der Waldschutzzone auf einer Breite von

Wettbewerbsobjekt : In diesem Zusammenhang handelte es sich um die Neuplanung des historischen Mittelpunkts Moskaus, der sich innerhalb des B-Ringes befindet. Die Teilnehmer wurden angehalten, die

Bebauung für die folgenden 15-20 Jahre zu behandeln und gleichzeitig spätere Entwicklungsmöglichkeiten offen zu lassen. Es handelte sich darum, eine Zoneneinteilung zu schaffen, die dem Verwaltungs-, Kultur-, Handels- und Wohnsystem entspricht, das historische Erbe — den Kreml — aufzuwerten, die Anregungen betr. den Straßenbau, den Transport und Grünanlagen weiterzuentwickeln.

Vorhandene Vorschläge: Fünfzehn Vorschläge wurden eingegeben. Im allgemeinen haben sich die Teilnehmer darum bemüht, das Zentrum in die gesamte strukturelle Planung Moskaus einzugliedern.

Wettbewerbsergebnisse : Der erste und der zweite Preis wurden der Matîèel-Gemeinschaft (Atelier I des Generalbebauungsplanes) und der Poliakov-Gemeinschaft (Moskauer Architekturschule) zuerteilt.

Der 3. Preis geht an die Pavlov-Gemeinschaft (Atelier II der Mosproekt-2-Agentur).

Die Projekte

Institut des General-Bebauungsplanes, Atelier I, 1.-2. Preis Das Projekt sieht die Anwendung des radiokonzentrischen Systems vor. Sternenförmige Anlage des historischen Zentrums und seine Verstärkung durch neue Anziehungspunkte außerhalb des B- Ringes. Die Flußkrümmung der Moskowa wird in ein Erholungszentrum umgewandelt. Die Zone erstreckt sich von Nord-Osten gegen Süd- Westen der Moskowa entlang.

historischen Zentrum durch. Die Moskowa wurden speziell bebaut.

Ufer der

Institut des Moskauer General-Bebauungsplanes, Atelier 2 Die große Siid-West-Axe wird ausgebaut und durch ihre Verlängerung im Nord-Westen sowie der Moskowa entlang verstärkt. Diese neue Zone erhält im nördlichen Teil ein Regierungszentrum. Das System wird sternenjormig aufgebaut.

Moskauer Architekturschule, 5. Projekt Auf dem A-Ring wird ein Grünanlagensystem vorgeschlagen, das sich bis zum MoskowaMeander ausdehnt. Hier wird der Sowjetpalast erstellt.

Mosproekt-l-Agentur, Atelier 8 und Planungsabteilung Mit diesem Projekt wird gleichfalls vorgeschlagen, den Ausbau der großen Süd- West — Nord-Ost-Axe zu verfolgen, im Süden des Kremls ein neues Regierungszentrum zu schaffen und den B-Ring zu verdoppeln. Diese Lösung erlaubt, die Wohngebiete amphitheaterförmig um das Zentrum anzuordnen.

Institut des Moskauer General-Bebauungsplanes, Junggemeinschaft Auf der Analyse der städtebaulichen Struktur der Altstadt aufbauend, bewahren die Verfasser den radio-konzentrischen Aufbau des Zentrums.

Die Strahlen wurden durch Neueinpflanzungen verstärkt.

Das Zentrum ist in ähnlicher Weise geplant, jedoch sind die neuen Verwaltungsviertel innerhalb des B-Ringes untergebracht. Der A-Ring wird vergrößert und mit Grünflächen versehen. Regierungszentrum an der Flußkrümmung der Moskowa. Das Verkehrsproblem wird durch seitliche Straßen, die das Zentrum meiden, gelöst.

Dieses Projekt, das viele gemeinsame Punkte mit den anderen Vorschlägen hat, unterscheidet sich durch eine überaus plastische Komposition.

Das Zentrum wird durch 5 Gebäudegruppen gekennzeichnet. Der Transport über Tage ist nur bis zum A-Ring durchgeführt, von wo aus die Strassen in einem unterirdischen System weiterführen und im Zentrum einen Halbkreis bilden.

Moskauer Architekturschule, 3. Projekt In ähnlicher Weise wie das vorstehende Projekt unterstützt dieses die Erstellung von HochThierry Gruber, Michel Marcary, Philippe Molle Einleitung Diese Studie wurde von drei Studenten des Atelier Candilis-Josic an der Nationalen Kunstakademie als gemeinsame Diplomarbeit vorgelegt. Weiter beteiligten sich an der Untersuchung: ein Verwaltungsmann, zwei Ingenieure, ein Maler, ein Dekorateur und ein Soziologe.

Darlegung des Projektes A. Motivierungen Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, zu untersuchen, wie eine bestmögliche Verwirklichung der neuen Städte, die das Problem der städtischen Expansion des Paris-Gebietes lösen sollen, erreicht werden kann. Der hier studierte konkrete Fall bildet die durch den Leitplan vorgesehene Stadt Evry, die 1985 500 000 Menschen aufnehmen soll.

Wir waren davon überzeugt, daß die zukünftigen „ Städte “ eine Kollektivschöpfung unserer gesamten Gesellschaft, ein Gemeinschaftswerk von Technikern und Benutzern, sein müssen. Das grundlegende Problem war also: — einen für die Mitarbeit der Techniker geeigneten, modern eingerichteten Ort zu finden.

— eine Aufnahmestruktur zu schaffen, die es der Öffentlichkeit gestattet, sich über architektonische Probleme zu informieren, und ihre Repräsentanten zunächst zur Ausarbeitung und später zur Leitung ihrer Stadt ausbildet.

— von dieser Erfahrungfür die Perfektionierung

Diesem Projekt liegt der Gedanke zugrunde, gleichzeitig das hergebrachte radio-konzentrische System zu verstärken und zwei Durchquerungen, Nord-Süd und Ost-West, einzugliedern. Am Kreuzungspunkt ein unterirdisches Parksystem.

Große Beachtung wird der Bebauung des Moskowa-Meanders zu einer Erholungszone gewährt. Die Zone richtet sich von Nordengegen Süd-Westen. Die Stadt wird in breiten Bändern geplant — Assimilation der vorhandenen Dichte.

Der Plan wurde für 12 Mill. Einw. erstellt.

Moskauer Architektur-Schule, 2. Projekt

Die radiokonzentrische Struktur wird durch zwei Axen (Nord-Süd, Ost- West) abgeändert.

Die zweite führt in einem Tunnel unter dem

Moskauer Architekturschule, 4. Projekt

Institut für Städtebau

Moskauer Architektur-Schule, 1.-2. Preis

Mosproekt-2-Agentur, Atelier II

gebäuden innerhalb des B-Ringes und von weniger bedeutenden Vertikal-Bauten außerhalb. Das Ganze ist amphitheaterförmig gegen den Meander göffnet.

Mosproekt-Agentur-2, Junggemeinschaft Vorschlag, bei dem eine große Ausdruckskühnheit mit der Respektierung der historischen Struktur vereint wird. Auf der Höhe des A-Ringes befindet sich ein breiter Doppelring; zwischen dem B-Ring und einem durchstechenden Ring bildet sich ein interessantes städtebauliches Zentrum.

Mosproekt-Agentur-3 Die Neugestaltung hat zum Ziel, die Stadt in selbständige Gruppen von 500 000 bis 1 000 000 Einwohnern aufzuteilen. Ihre Verwaltungszentren sind durch ein verschieden schnelles Verkehrsnetz verbunden. Großes Regierungszentrum im Norden. Der B-Ring wird in eine starke 3-stöckige Verkehrsader umgeformt.

Mosproekt-Agentur-I, Atelier 2 Der hohe Wert des Zentralgebietes gebietet eine dichte Bebauung. Dem Kreml gegenüber im Süden erscheint ein bedeutender Verwaltungskomplex. Er wird plastisch durch 6 Wohngruppen mit der hohen Einwohnerzahl von 40 000 pro Gruppe hervorgehoben.

Mosproekt-Agentur-2, Atelier 3 Die städtebauliche Dichte wird durch die 3.

Dimension ausgedehnt. Eine angemessene Grünflächenplanung erzeugt die notwendige Frischluft. Das neue Konstruktionsgebiet bildet sich um den B-Ring, der ausgiebig mit Grünflächen versehen wird, in einer dreidimensionalen Struktur.

Ein Haus der Architektur als Keimzelle der Stadt

des Unterrichtes zu profitieren. Das Prinzip eines „ Hauses der Architektur als der Keimzelle der Stadt “, eines im Herzen der Stadt gelegten Grundsteines und nach deren Vollendung eines ihrer Belebungselemente, schien uns eine wünschenswerte Lösung.

— Information: Ausstellungen, Konferenzen, Direktkontakte.

— Ausbildung: Vielzweckwerkstätten, Seminarien.

— Teilnahme : der Benutzer und ihrer Vertreter: Vorschlagskasten, Kommissionen, Umfragen.

— Forschung — Programmierung unter Teilnahme der schaffenden Techniker.

— Architektonische Schöpfung,

die ein viele Fachbereiche umfassendes Team übernimmt.

Es befaßt sich ebenso mit „ Städtebau “ wie mit Inneneinrichtung. DIE KOLLEKTIVSCHÖPFUNG DARF NICHT DER MITTELWERT ALLER INDIVIDUELLEN ANSTRENGUNGEN SEIN, SONDERN IHRE MULTIPLIKATION. DIE GRUPPE IST ARCHITEKT.

— Architektonische Beratung, bei der sich die Benutzer Rat und Hilfe der Techniker, die somit die Gesamtheit der städtischen Entwicklung überwachen können, verschaffen.

— Kontrolle, die zu einem Dialog zwischen Schöpfern und Kontrollausiibenden, die über notwendige Mittel wie Urbiskop und Maquettoskop verfügen, führt. — — Architekturunterricht, der, in Kontakt mit Forschung und architektonischer Praktik, es den Studenten gestatten würde :

— über gemeinsame Lehrmittel zu verfügen — Lehrer aller Fächer zu haben — in Verbindung mit anderen Studenten zu stehen — eine Praktikantenzeit zu durchgehen — an der Belebung der Stadt teilzunehmen (Jugendhaus) Diese Architekturschule könnte sich schnell zu einer „ Fakultät des Städtebaus “ erweitern.

B.

Das Programm

1. Die Architekturagentur wurde von einer Grundzelle aus, die den Bedürfnissen eines fachlich weitgestreckten Teams entspricht, studiert.

2. Die Versuchsstation, nach außen durch eine Ausstellungsfläche für Prototypen erweitert und mit einem Museum für Baustoffe und einem Dokumentationszentrum versehen.

3. Die Architekturschule mit ihren spezifischen Einrichtungen (Bibliothek, Ausstellungshalle, Kolloquiumszentrum, usw.), die sowohl Fachleuten als auch Studenten und Benutzern (Berufsvorbereitung, Fortbildungskurse) offen stehen.

4. Allzweckseinrichtungen: a. Verwandelbarer Mehrzweckssaal (Konferenzen, Ausstellungen, Film, Theater, Sport), umgeben von einer Galerie für permanente Ausstellungen.

b. Mehrzweckswerkstätten, erste Elemente eines Jugend- und Kulturhauses.

c. Restaurant, Drugstore, Cafeteria, Geschäfte und Empfang.

d. Hotel

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Diese Einrichtungen würden in der Folge in den Besitz der Stadt übergehen und könnten verwandelt oder intensiviert werden.

C.

Der Städtebau

1. Einfügung. Verlegung des Hauses der Architektur an die Kreuzung zweier wichtiger Verkehrswege und Anschluss an eine RERStation (Express-U-Bahn).

2. Infrastruktur. Kollektive Tunnels, Straßennetz (ebenerdig und Dienstfahrzeugen Vorbehalten), mechanischer Kollektivverkehr, Fußgängerebenen (bis zu drei Niveaus).

D. Die architektonischen und technologischen Lösungen.

Vier Prinzipien erlauben die Entwicklung dieses

Alexandre Karvovski

oder ein Gymnasium verwandeln läßt. Turm und Hotel können zu Büros oder Wohnungen werden.

E.

Methodologische Betrachtung

Unsere Grundwahl betraf die Schaffung einer organischen Struktur, die den Benutzern eine Beteiligung an der Organisation ihres Lebensrahmens gestattet. Wir verwarfen eine visionäre Architektur und bemühten uns, derzeit durchführbare technische Lösungen zu finden.

Wir sahen uns bedauerlicherweise gezwungen, diese Studie in die von der Diplomjury geforderte Schulform zu kleiden und für eine Gesamtheit, die sich in Wirklichkeit unaufhörlich verändert, eine fertige Lösung vorzulegen.

Moskauer Architekturschule

Kurze Erläuterung: Die Schule bildet Architekten der drei Hauptberufszweige aus: Wohnung und Verwaltung, Industriebau, Städtebau. Nachstehend stellen wir vier Diplomarbeiten von Studenten vor, die ihr Studium kürzlich beendet haben. Die Moskauer Architekturschule (Rektor: Ivan Nikolaiev) ist die einzige Hochschule, die auf die Architektenausbildung spezialisiert ist.

Sie umfaßt noch Lehrstühle für Landschaftsgestaltung, Architektur auf dem Lande, Dekoration usw. Der vollständige Cyclus umfaßt 6 Jahre; die Schule bildet jedes Jahr etwa 200 junge Architekten aus.

Sportzentrum Dieses Sportzentrum ist für das Moskauer Randgebiet vorgesehen. Die Zuschauertribünen des Fußballstadions mit 50 000 Plätzen sowie des Ruderbeckens mit 20 000 Plätzen sind als räumliche Komposition in einem Stück behan54

Organismus und seine Umwandlung nach Vollendung der Stadt.

1. Verdichtbare Elemente. Ebenen für Fußgängerverkehr, Türme, die untereinander durch Strukturbrücken und Stege verbunden werden können.

2. Demontierbare Elemente, die dank einfachen Aufbaus und Zusammensetzung quantitativ schwer bestimmbaren Bedürfnissen entsprechen und nach Fertigstellung der Stadt eine Umwandlung der Gebäude des Bauorganismus erlauben.

3. Mehrzweckselemente, wie Säle, Hallen und Geschäfte, die Einrichtungen der Stadt bleiben werden.

4. Verwandelbare Elemente wie die Versuchsstation, die sich in ein Warenhaus, ein Museum

delt. Unter den Tribünen befinden sich Trainingsräume für die Sportler, Restaurants, Bars.

Stadt im hohen Norden Die Diplomarbeit basiert auf einem Schema, das den Bedingungen der Stadt Norilsk (72.

Breitengrad, 100 Sturmtage pro Jahr, im Winter südliche Luftströmungen von 40 m/s mit Temperatur von — 45° C, Schneefälle, Polarnacht, verhältnismäßig warmer Sommer), entspricht.

Allgemeiner Teil: 4 benachbarte Einheiten mit 12 500 Einwohnern, die in Höhe des Erdgeschoßes mit einem verzweigten Straßen- und überdecktem Passagensystem versehen sind.

Versetzte Schutz-Hochhausbauten schirmen den Wind ab.

Fischerstadt in Vietnam Die Stadt ist für eine Bevölkerung von 20 000 Einwohnern geplant. Sie soll auf einem Archipel, 60 km vom Festland entfernt, erbaut werden.

Auf Grund des Baulandmangels wurden abgestufte, muschelförmige sowie turmartige Konstruktionen gewählt. Verwaltungsgebäude und öffentliche Plätze reichen auf das Meer über.

Man erreichte dadurch, für Schulen, Erholung und Sport ein Maximum an Naturboden zu bewahren. Die Verbindung zwischen den Inseln wird durch Schiffsverkehr und durch ein Einschienenbahnsystem gesichert. Die Stadt umfaßt 6 benachbarte Einheiten, von denen je zwei drei Inseln einnehmen.

Schmelzhüttenuntemehmen Die Fabrik umfaßt drei gleiche Schmelzhütten, ein Gebäude für Nebenfabrikationen, ein Lagerschuppen sowie Verwaltungsgebäude. Die besondere architektonische Lösung wurde von den funktionellen Eigenheiten der Schmelzhütten bestimmt. Um die großen Staub- und Hitzebildungen zu neutralisieren, schlägt der Verfasser eine parabolische Decke vor, die eine natürliche Ventilation zusichert.