Deutschland

Neubau der evangelischen Versöhnungskirche im ehemaligen Konzentrationslager Dachau Planung und Oberleitung: Architekt Dipl.-Ing. Helmut Striffler Örtliche Bauleitung: Dipl.-Ing. Theodor Klotz Tore: Kunstschmied Prof. Fritz Kühn Kruzifix: Prof. Fritz Koenig Altarfenster: Emil Kiess Gabriel Loire Altartisch: Adolf Lauster & Co.

Schrift in der Nordwand : A. Aschauer, Bildhauer Reliefschalungen: Prof. Hubertus von Pilgrim.

Bildwerk im Gemeinschaftsraum: Bildhauer Carel Kneulmann

Die Aufgabe war von Anfang an entschieden formuliert und hat mit der Durchführung der Wettbewerbe und während der Planungszeit an Pointiertheit nur gewonnen. Es sollte eine Kirche entstehen, ein Raumbereich, unserer menschlichen Wirklichkeit und Nutzbarkeit gewidmet, gerade dadurch aber der Anforderung des Ortes besonders angemessen. Bestand doch nur so die Möglichkeit, Pathos und leerer Geste zu entgehen.

Die Kirche sollte den Besuchern des Lagers auf ihrem Gang einen kurzen Aufenthalt als Hilfe anbieten. Was da zu bauen war, musste ohne jede Monumentalität bleiben, dabei aber gleichzeitig die brutale Gesetzmässigkeit der Lagerwelt überwinden.

180

Die Gestalt der Versöhnungskirche ist daher eine Antwort, ein Gegenort zu all den Einrichtungen des Terrors.

Sie ist als eine lebendige Spur in die unbarmherzige Fläche des Lagers eingegraben, als eine bergende Furche gegen das unmenschliche Ausgesetztsein, das man auch heute immer wieder spürt, wenn man durch das Lager geht.

Aus der Fortführung dieser Gedanken ergibt sich die Gestalt der Kirche mit den übrigen Räumen als ein Stück Weg, das allmählich beginnt, sich vertieft abzeichnet, Kraft gewinnt und den einzelnen aus der weiten Verlorenheit des Lagers aufnimmt.

Die Muldenform der Eingangstreppe führt die kiesige Lagerfläche in immer enger werdenden Rängen nach unten.

Gleichzeitig mit dem Absinken der Wegsohle steigt die Krone der Einfassungswand in einer Gegenbewegung an, erreicht im Bereich der Kapelle bei der Glocke einen Hochpunkt und fällt dann wieder gegen den Nebeneingang zu ab. Die Baugruppe wirkt so, trotz beachtlicher Höhe im Innern, breit hingelagert wie ein flacher Hügel, bewusst ins Gelände geduckt und auf demonstrativer Dimension verzichtend.

Im schwingenden Verlauf der einander begleitenden Wände entstehen Räume als Buchten und Ausweitungen. Der abgedeckt, aber nicht völlig geschlossen angelegte Zugang ist äusserster Gegensatz zu der pathetischen Ebene des Lagers und steht doch stark damit in Verbindung. Verglasung und Dach sind in äusserster Zurückhaltung angeordnet, um den Wänden deutlich das Primat zu belassen. So wird der Besucher auf der «Wegstrecke der Versöhnungskirche» deutlich geführt, ohne jemals kerkerhafte Abgeschlossenheit zu erleben. Keine Wand schliesst sich zu eng begrenzter Zelle. Stets ist der weitere Verlauf des Raumflusses erkennbar.

Der Kirchenraum ist in eine dem Besucherverkehr zugeordnete Zone und in eine andere, der Einzelandacht vorbehaltene stillere Bucht, unterteilt. Aber es ist auch möglich, die Gemeinde in der Kirche zu sammeln,

da der Grundriss elastisch genug ist, um sich dem jeweiligen Personenkreis anzupassen.

Das Kruzifix wächst aus der Grossform des Raumes hervor. Es markiert den Ort äusserster Verdichtung und wird gleichzeitig zu der Stelle, an der die Wand zu zerspringen scheint.

Der Raum in der klaffenden Kreuzform wird erzwungen durch die Körperlichkeit des Gekreuzigten selbst.

Das Bildwerk ist als plastischer Höhepunkt integrierterTeil der Kirche.

Das Gestaltungsprinzip, das Material möglichst mit der ihm eigenen Oberflächenwirklichkeit zu verwenden, ist für alle anderen künstlerischen Arbei ten ebenso typisch und gilt insgesamt für das ganze Bauwerk.

Im Gemeinschaftsraum soll Information über das unfassbare Geschehen in den Lagern und die Stellung der evangelischen Kirche in dieser Zeit gegeben werden. Raumform wie auch Ausstattung sind solcher Aufgabe besonders zugedacht. Dem Bedürfnis, sich zwanglos niederzulassen, entspricht der Sitzrang längs der Raumbegrenzungswand. Die als Information anzubietenden Bücher, Photos usw. können mit grösstmöglicher Freizügigkeit in den Wandnischen und eventuell auf zusätzlichen Podesten im freien Bereich untergebracht werden. Alles zusammengenommen: Hier ist ein Ort der Begegnung mit Gott und den Menschen in der Zuversicht auf die barmherzige Gnade der Versöhnung errichtet.

Die im Aussenbereich weit ausholende Mauer der evangelischen Kirche nimmt Verbindung mit der katholischen Todesangst-ChristiKapelle und der Gedenkstätte der israelitischen Gemeinde in einer Weise auf, die das blosse Nebeneinander überwindet. «Der Unterschied des Bekenntnisses störte nicht. Die Christus wirklich wollten, wurden eins, ohne einig zu sein» (R. Schneider).

■ jîfiV*';

pigisi

182

Photos Robert Häusser

183