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Carlos Raul Villanueva Entwicklung und Ausbildung Die vom Architekten während Jahrhunderten ausgeübte Tätigkeit hat, trotz all ihren historischen Varianten, wenn sie auch offenbar den grossen Erschütterungen widerstand, schliesslich nichtsdestoweniger eine substantielle Veränderung ihrer Struktur erfahren.

Die erste Erschütterung trat während der Renaissance ein, als sich der Architekt, vielleicht zum ersten Male so klar, der feinen und schwierigen Privilegien, die ihm sein Zustand als Schöpfer-Künstler verschaffte, bewusst wurde. Von diesem Augenblick an war sein Berufsgewissen zwischen den wachsenden Widersprüchen seiner Abenteuer-, Erfindungs- und Originalitätslust und den immer klarer bestimmten Grenzen, zwischen die seine Kunden das Bauprogramm stellten, gefangen. Diese Widersprüche Hessen die Probleme des Entwurfes immer entscheidender werden, gleichzeitig wie sie sich in einem bald vollkommenen künstlerischen Zusammenhang (im vollen Bewusstsein seines Künstlerzustandes) abspielten ; ihre Folgen aber gingen selten über die individuellen, persönlichen Bedingungen des Schöpfers hinaus. Das zweite Ereignis von Bedeutung war, dass der Architekt dahin gelangte, sich im wirtschaftlich-industriell fortgeschrittenen System - im Herzen der konventionellen Formeln vom freien Beruf zu sehen.

Zunächst Handwerker, dann Künstler und nun Intellektueller, hat der Architekt Elemente der Unsicherheit, des Nonkonformismus, einschliesslich des Protestes oder der Utopie, in seine Arbeit eingegliedert. Diese Faktoren entsprechen heute, in der gegenwärtigen Welt, einem wirklich wesentlichen Widerspruch zwischen seiner ursprünglichen Rolle eines integrierenden Bestandteiles des wirtschaftlichen Mechanismus, der ihn zugleich rechtfertigt und erfordert, und ■ der sekundären Entwicklung seiner Fähigkeit, zu analysieren, seine besonders kritische Vision der Gesellschaft geltend zu machen. Wir wissen jedoch, dass man nicht blindes und kritisches Instrument ein und desselben Systems sein kann, ohne sich in schwere Widersprüche zu verwickeln : der grösste Widerspruch, der gerade den Architekten, als Intellektuellen

wie als Berufsmann, in der heutigen Welt trifft. Doch handelt es sich, hierbei nicht um eine ausschliessliche und eigene Lebensbedingung des Architekten. In der Gesellschaft, der wir angehören, leiden alle Berufe unter diesem Zustand, alle Intellektuellen und alle Menschen, die sich nicht in Einklang mit dem Vorgang der «Versachlichung», der sie verschlingt, befinden. Es kommt jedoch vor, jjass der Architekt, mehr als alle anderen vielleicht, dazu vorbereitet war, sich von diesem Widerspruch betroffen zu fühlen und dies wegen der organischen Eigenheiten des Entwurfes, die ihn fast gezwungenermassen dazu bringen, ein Urteil über die Welt abzugeben und folglich eine kritische Vision zu konstruieren.

Es scheint, zumindest im Augenblick, nicht möglich, dass der Architektenberuf aufhört, diese unbequeme Dualität aufzuweisen. Ganz im Gegenteil besteht sie weiter, verstärkt sich und ruft jedesmal klarer eine rigorose historische Forderung hervor. Da sich die Sache so verhält, sehen sich die universitären Strukturen, die den Architekten formen, der Verpflichtung gegenüber, in einem bisher unbekannten Masse das Konzept der Autonomie und der gemeinsamen Verwaltung zuzulassen und zu entwickeln.

Dieser Gedanke herrscht schon seit einiger Zeit in Lateinamerika und hat sich nun in dringende Forderungen der europäischen Studenten verwandelt. Was jedoch hinzukommt, ist die bedeutende Neuigkeit der Beziehung zwischen Autonomie und gemeinsamer Verwaltung einerseits und die Funktion eines aussenstehenden Kritikers der Gesellschaft, die die Universität erfüllen muss, anderseits.

Vom Gesichtspunkt der Architektenausbildung ergibt sich die unumgängliche Notwendigkeit einer engen UrsacheWirkung-Beziehung zwischen dem einer festen kritischen Haltung angepassten historischen Bewusstsein, was der geschichtlichen Bildung gleichzeitig eine ausserordentliche Rolle verleiht, da sie nicht auf eine akademische Weise, sondern unter einem funktionellen Winkel geschaffen wurde.

Die pragmatische Wirklichkeit, die sich dem Architekten wie ein endgültiges Zeichen seiner Handlungen aufzwingt,

kann mit Hilfe einiger hervorstehender Züge veranschaulicht werden, als da sind: 1. die definitiv städtische Ausformung der menschlichen Wohnung; 2. die quantitative Vermassung der Nachfrage für architektonische Erzeugnisse.

Diese zwei Determinanten lassen sich mit zwei Möglichkeiten kombinieren, die sich heute immer nachdrücklicher dem Architekten bieten: 1. der integrierte Gebrauch der Wissenschaften; 2. der verschwenderische Gebrauch einer Technologie mit festen industriellen Grundlagen.

Darin stimmt also alle Welt einigermassen überein: in den wachsenden Schwierigkeiten, denen der Architekt bei der Befriedigung der Bedürfnisse der Gesellschaft begegnet. Es handelt sich hierbei nicht nur um Nichtanpassung und Widersprüche, von denen wir gesprochen haben, sondern auch um die empirische, intuitive und elementare Form, die noch die Entwurfsmethode des Architekten berichtigt. Die obengenannten Determinanten und Möglichkeiten müssen Zusammentreffen, um eine Unterrichtsstruktur zu schaffen, die auf einer ernsthaften wissenschaftlichen Klarlegung beruht : eine wissenschaftliche Methodologie aufzeigen und entwickeln, die zur Tagesordnung der Architektenarbeit gehört.

Welche Lösung auch immer diesem Problem .gegeben wird, so wird sie nicht ohne eine besondere experimentelle und forschungsbetonte Praxis in der Ausbildung zu erhalten sein.

Ich bin der Überzeugung, dass man die Aufmerksamkeit des Berufsstandes in diesem Augenblick auf dieses Thema richten muss.

Grundlegende Interessen, die die Definition genauer Ziele erfordern, stehen auf dem Spiel.

Weltweit gesehen ist es an der Zeit, die Gefahr, in der sich der Architektenberuf befindet, aufzuzeigen.

Eine enorme Aufgabe erwartet uns, und wir verfügen über die geeigneten Werkzeuge. Lasst uns keine Zeit mehr verlieren !

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Kunio Maekawa Die Ausbildung zum Architekten Die Ausbildung der heutigen Architekten stösst auf zweierlei Schwierigkeiten: Sie ist zum ersten, trotz allen sinnreichen Schuleinrichtungen, nur durch die Architekten selbst möglich, und zum zweiten ist es wegen der sozialen Krise, die die Grundlagen des Berufes erschüttert, schwierig, geeignete, ihres liberalen Berufes würdige Architekten zu finden., In der Architektur sind Technik und Geist voneinander unabhängig. Die Technik der modernen Architektur hat mit der Person des Architekten überhaupt nichts zu tun, sie existiert als autonome und objektive Technik, während in anderen Künsten wie Malerei und Bildhauerei die Technik immer zur Person des Künstlers gehört und eng mit seinem Geist verbunden ist.

Die Architekturtechnik ist also sammelbar und übertragbar und kann folglich im Rahmen der gegenwärtigen Institution der Architekturschule gelehrt werden, aber das Problem des Geistes der Architektur liegt vollkommen ausserhalb ihrer Reichweite.

Die Architekturausbildung ist nur durch Architekten selbst möglich. Die Tragik besteht heute darin, dass es nicht leicht ist, dem Namen ihres Berufes würdige Architekten zu finden. Der Architektenberuf wurde neben dem des Anwalts und

des Arztes seit langem als einer der hervorragendsten angesehen. Leider scheint er dieses Prestige, seine Liberalität, aufgegeben zu haben, um in der modernen Gesellschaft zu einem Geschäft zu werden. Die modernen Architekten scheinen sich der Unerlässlichkeit ihres freien Status für ihre schöpferische Tätigkeit, der ihre eigentliche Existenzgrundlage bedeutet, nicht mehr bewusst zu sein.

Der Grund, weshalb der Architektenberuf als liberal angesehen wurde, ist in der Tatsache zu sehen, dass er immer eine doppelte Verantwortung hatte: einmal gegenüber dem Kunden als Lieferant des technischen und künstlerischen Konzepts und auch als Repräsentant des Kundeninteresses, das andere Mal gegenüber der Gesellschaft als Schöpfer der öffentlichen Umwelt. Zur Erfüllung dieser doppelten Aufgabe musste er seinen freien Status bewahren, da Architektur ja schliesslich die Summe der Entscheidungen des Architekten aus seinem freien Geisteszustand heraus bedeutet.

Heute ist diese geistige Freiheit des Architekten in grosser Gefahr: nicht nur weil sie durch die Auswirkungen der Industriegesellschaft bedroht ist, sondern auch durch die psychologische Dekadenz der Architekten selbst, die es nicht bedauern, sich der Gesellschaft als eine

«Handelsware» anzubieten, und sich nicht mehr der Notwendigkeit des freien Geistes für ihre Existenz bewusst sind.

Vor vierzig Jahren schrieb Elie Faure, dass sich nun nach einem hundert • ( Jahre langen Schlaf das Erwachen der modernen Architektur ankündige, sie scheint aber bereits wieder in eine Periode der Dekadenz geraten zu sein. Die zeitgenössischen Architekten zerfallen in zwei Kategorien: Die einen wiederholen Routinearbeiten gedankenlos und ohne irgendeinen Widerwillen zu empfinden, die anderen schaffen im Namen des Individualismus, dem sogenannten Prestige der heutigen Gesellschaft, die schamlosesten Werke. Somit ist die Architektur schon einer Art von Akademismus verfallen, weniger als ein halbes Jahrhundert nach ihrer Geburt.

Kann man die Auferstehung des freien Architekten erhoffen? Erinnern wir uns daran, dass zu Beginn der modernen Architekturbewegung ihre Vorläufer von der Kritik der architektonischen Umwelt ausgingen. In diesem kritischen Augenblick der Architektur kann, so glaube ich, nur dieser freie Geist der Kritik die Auferstehung der neuen zeitgenössischen Architektur herbeiführen.

nik herrschen sehen. Er hat unbegrenztes Vertrauen zu Maschinismus, Elektronengehirnen und Organisation. Seiner Ansicht nach wird uns der technische Fortschritt Überfluss, Freizeit und klassenlose Gesellschaft bringen. Er weiss technische Lösungen für alle Probleme.

Er hält sich für einen allwissenden und plurikompetenten Architekten; als Technokrat hält er sich für einen Spezialisten der Koordination, Voraussicht und Synthese. Seinen Beruf übt er in einem divergierenden Interessenfeld aus, in dem er sich als Schiedsrichter sieht, was ihm gestattet, mit der Linken zu flirten und von Zeit zu Zeit als Progressist angesehen zu werden. Stellt er das schlechte Funktionieren der Demokratie an den Pranger, so verbirgt er nicht die Absicht, die Macht zu übernehmen. Architechnokratenwerke können konventionell oder utopisch, banal oder phantastisch sein. Sie sind immer wichtiger als die Menschen, für die sie angeblich bestimmt sind. Die Architechnokratie hat noch keinen Stil, und es ist nicht sicher, dass sie je einen finden wird.

Verglichen mit dem traditionellen und schöngeistigen Architekten, der die Mehrzahl des Berufsstandes ausmacht, könnte

der Architechnokrat sympathisch erscheinen. Er gebraucht wissenschaftliche Methoden und trägt in einem gewissen Masse zur Erneuerung der Baukunst bei.

Anderseits macht Sr sich durch die Masslosigkeit seiner Ambitionen verdächtig.

Könnte er nicht zugleich Urheber und Opfer einer gefährlichen Verblendung sein? Versuchen wir, diese Frage zu beantworten.

Technokraten erscheinen da, wo die technische Macht der besitzenden Klasse entgeht und diese ihre wirtschaftliche Macht von der Finanzkonzentration kompromittiert sieht. Die für das Funktionieren des Systems unumgänglichen Aufgaben der Organisation, Vorausschau und Planung werden also Fachleuten an-.

vertraut, die sich um so unersetzlicher fühlen, da die Gesellschaft den Individuen die zur Ausübung der Selbstverwaltung notwendigen Kompetenzen vorenthält.

Zur Erfüllung ihrer. Aufgabe benötigen die Technokraten Selbständigkeit gegenüber antagonistischen Gesellschaftsgruppen. Sie neigen folglich dazu, sich über den Kampf der Interessai zu stellen und fordern eine Schiedsrichterrolle. Sie verachten politische Kämpfe, denen sie die Überlegenheit und die Universalität del

Claude Schnaidt Die Architechnokraten Ein neuer Mensch ist in der Entstehung und Verbreitung begriffen: der Architechnokrat, eine glückliche Synthese vom Architekten der Vergangenheit und dem modernen Technokraten. Woran erkennt man einen Architechnokraten? Im Gegensatz zum Architekten unterscheidet er sich nicht länger durch seine Krawatten, den Haarschnitt oder den Stil seiner Kleider. Er ist zurückhaltend und zieht Verwaltungsräte den öffentlichen Zusammenkünften, vertrauliche Dossiers den Manifesten vor. Nichtsdestoweniger begegnet man ihm überall, im Vorzimmer der Minister und der grossen klimatisierten Agenturen, aber auch in kleinen romantischen und verstaubten Ateliers. Er kann ebensogut Chef wie Angestellter sein und kommt nicht notwendigerweise aus bürgerlichem Hause.

Er fühlt sich in der Konsumgesellschaft wohl, was ihn nicht daran hindert, dieselbe bei Gelegenheit zu kritisieren. Er ist modern. Sein Wortschatz ist der Kybernetik, dem Strukturalismus und seriösen Zeitschriften entlehnt. Obschon er sich darin gefällt, mit Ideen umzugehen, misstraut er Ideologien und sagt ihre nahe Auflösung voraus. Er möchte Rationalität, Effektivität und reine'Tech46

reinen Vernunft entgegensetzen. Sie suchen die menschlichen Beziehungen dergestalt zu entpolitisieren, dass die bei der Gleichsetzung ihrer Probleme störenden Variabein eliminiert werden. Sie meinen, es sei Sache «unbestechlichen) Elektronengehirne und des «neutralen» Staates, den Rest zu besorgen. Was ist dieser Wille zur politischen Unabhängigkeit in Wirklichkeit wert? Auf der Linken, wenn er sich in Opposition zu den Vertretern des Kapitals sieht, steht der Technokrat rechts, wenn er mit den Arbeitern zusammenstösst. In dieser unbequemen Lage findet er sein gutes Gewissen. Die Vorwürfe der Linken anführend, bestärkt er die besitzende Klasse und beweist ihr, dass die bestehenden Verhältnisse vollkommen den von ihnen gepredigten Lösungen angepasst werden können. Der Arbeiterklasse stellt er sich als ein Progressist vor, unter Anspielung auf seine Differenzen mit den Kapitalisten. Diese Doppelpersönl|chkeit ist ein Köder. Sowohl die machthabenden Schichten als auch diejenigen, die es noch nicht sind, zufriedenstellen zu wollen, bedeutet gezwungenermassen, das Spiel der ersten zu spielen. Ob er es will oder nicht,'der Technokrat steht im Dienste des Kapitals.

Die Technokraten wollen die Verbesserung und Rationalisierung des Systems.

In völliger Übereinstimmung hiermit verwendet sich der Architechnokrat darauf, Pläne zum Funktionieren zu bringen. Sein Hang zur Effektivität und Rentabilität verleitet ihn dazu, seine Aufmerksamkeit mehr auf die Mittel als auf den Zweck seiner Werke zu richten. Seine Funktion hindert ihn daran, die von ihm verwendeten Grössen in Frage zu stellen.

Nehmen wir das Beispiel des Stadtverkehrs. Die Lösungen des Architechnokraten bestehen darin, Löcher zu graben, Häuser abzureissen, Bäume zu fällen und Parkplätze zu bauen, um der Flut der Autos einen Weg zu öffnen. Die Expansionskurve der Automobilindustrie ist ihm ein Tabu. Er zweifelt keinen Augenblick an der Notwendigkeit des-' Automobils. Er möchte aus der Stadt eine Verkehrsmaschine machen. Da das Ergebnis seiner ersten Operation sehr bald durch den dadurch ermutigten Zustrom neuer Privatwagen zunichte gemacht wird, schreitet der Architechnokrat zur nächsten Operation. Die Behinderung der öffentlichen Transporte verschärft sich jedoch weiter, was ihren Betrieb verteuert.

Woraufhin die Tarife erhöht werden, da die öffentlichen Verkehrsmittel in der Sicht des kapitalistischen Staates nicht defizitär sein dürfen. Die Tariferhöhungen ermutigen natürlich alle Autobesitzer, ihre Fahrzeuge in der Stadt zu benutzen.

Der Architechnokrat wagt folglich eine dritte Operation und so weiter und so fort, wie gewisse Modechirurgen. Wenn dabei nichts herauskommt, wird das Problem dem Computer anvertraut. Mehrere Grossstädte beabsichtigen,, in sämtlichen Strassen Empfangsgeräte zu installieren,

die die zur Regelung des Verkehrs notwendigen Parameter Geschwindigkeit und Autozahl per Funk an Computer übermitteln. Diese steuern ihrerseits die Verkehrsampeln und koordinieren sie so, dass ein flüssiger und fortlaufender Verkehr garantiert ist. Der Computer wird mit Hilfe von Programmen, die aus zuvor zusammengestellten mathematischen Modellen bestehen, in jedem Augenblick den Zustand des Verkehrs ermitteln und die Ordnung aufrechterhalten, die Polizei und Städtebauer nicht gewährleisten können.

Im Falle, dass sich diese Idee als undurchführbar heraussteilen wird, haben die Supertechnokraten bereits andere Pläne in ihren Zeichentischen. Vor kurzem hat ein Brain-Trust in Los Angeles die endgültige Lösung gefunden. Der direkte Kontakt zwischen den Menschen und die Bewegungen, die er erfordert, werden durch ein immenses kybernetisches Netz ersetzt. Jedermann bleibt zu Hause und ist mit seinen Mitmenschen mit Hilfe einiger Knöpfe und Bildschirme verbunden. Keine Schulen, keine Büros mehr. Die Lehrmaschine der Kinder ist an das Elektronengehirn der zentralen Schulverwaltung angeschlossen. Ihr Vater kommandiert vom Wohnzimmer aus die Maschinen seiner Fabrik oder den Computer in seinem Büro. Die Strassen werden leer sein. Man wird nur jungen Menschen begegnen, die, vom Bedürfnis der Artfortpflanzung getrieben, auf der Suche nach direkterem Kontakt sind; Die Probleme des Stadtverkehrs können auf andere Weise gelöst werden, aber darauf sind die Architechnokraten noch nicht gekommen. Zum Beispiel: Schaffung von recht schnellen, direkten, bequemen und billigen öffentlichen Verkehrsmitteln, um die Leute davon abzubringen, das eigene Auto zu benutzen.

Die Technik, wäre sie rationell ausgerichtet, würde schon heute den Bau von perfekten und den Bedürfnissen der Allgemeinheit besser entsprechenden Verkehrsmittel erlauben. Rollteppiche, Allwegbahnen, Endloswagen und andere Fahrzeuge, die für grosse Ausstellungen gebaut wurden, könnten zu einem alltäglichen Gebrauchsmittcl werden; was nicht die unmittelbare Verbesserung existierender Transportmittel verhindern sollte. Dies alles würde sehr viel Geld kosten, aber sicherlich weniger als die direkten und indirekten Kosten der gegenwärtigen Anarchie. Der Architechnokrat macht sich nicht an derartige Berechnungen, weil ihn die krankhafte Ausdehnung des Automobilismus nicht interessiert. Sich in dieser Hinsicht zu viele Fragen zu stellen, eine Beschränkung der Autozahl auf ein mit den vitalen Bedürfnissen der Städte vereinbartes Mass ins Auge zu fassen, eine Neudurchdenkung der Kollektivtransporte anzustellen, all das bedeutet für ihn, vor eine wirtschaftliche und politische Wahl gestellt zu sein, die zu treffen der Architechnokrat unfähig ist.

Auf dem Gebiet der Wohnung verhält er sich nicht anders. Er konzipiert Wohnung, Haus und Viertel in Ein.gkeit rhit den Kriterien unserer gelenkten, bürokratischen Konsumgesellschaft. Er übersieht die sozialen Auswirkungen der Familienzelle, weil er unter anderem die Vervielfachung individueller Haushaltsmaschinen als Fortschritt auffasst. Davon profitieren in Wirklichkeit nur die Fabrikanten und Händler. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass der sogenannte Fortschritt in der technischen Ausrüstung des Hauses den Stundenplan der Hausfrau nicht herabgesetzt hat. Die durch das elektrische Bürsten der Kleider gewonnene Zeit wird im Gegenteil durch den Unterhalt und den intensiven Gebrauch des Apparates wieder verbraucht.

45% aller sogenannten nützlichen Arbeitsstunden der gesamten Bevölkerung werden unbezahlter Haushaltsarbeit gewidmet. Die richtige Lösung bestände darin, eine grosse Menge wenig rentabler Haushaltsarbeit durch eine geringere Menge hochproduktiver Industriearbeit zu ersetzen. Mit anderen Worten: Umwandlung der individuellen Haushaltsarbeit in Kollektivarbeit. Zu diesem Zwecke müsste sich in der Nähe einer jeden Wohnung ein Servicezentrum finden, das Wasch-, Bügel- und Schneidersalon, eine Snack-Bar, die Möglichkeit, Fertiggerichte, kochfertiges Gemüse usw.

einzukaufen, Raumpfleger, einen Kindergärten, eine Krankenstation usw. umfasst. Die Idee ist nicht neu. Le Corbusier, der kein Architechnokrat war, hatte sie. In seinen «Wohneinheiten» waren Lokale für diese Serviceeinrichtungen vorgesehen. Aber die Experten verkündeten, dass diese finanziell nicht rentabel sein könnten. Sie wurden folglich nicht geschaffen.

Der Architechnokrat nährt gerne die Hoffnung, dass der Computer alle unsere Probleme lösen wird. Ohne jeden Zweifel ist der Computer dazu berufen, das unersetzliche Hilfsmittel des Architekten zu werden. Zunächst um ihm alle routinemässigen und langweiligen Arbeiten abzunehmen. Danach um ihn bei der Vollendung von Aufgaben, die sein Verständnis übersteigen, abzulösen. Die Maschinen können und müssen klassifizieren, analysieren, berechnen, schätzen, integrieren, kontrollieren, korrigieren und zeichnen. Sie sollten sich auch der Ausarbeitung von Lösungen annehmen können. Da sie Systeme von sehr hoher Komplexität zu behandeln vermögen, scheinen sie zur Lösung von Architekturproblemen, die im allgemeinen eine sehr grosse Zahl von Parametern und unzählige Kombinationen aufweisen, wie geschaffen. Wenn die Maschinen auch imstande sind, dem Menschen unzugängliche Operationen auszuführen, so können sie doch nicht ohne Information arbeiten. Und sie bearbeiten nur Informationen fehlerfrei, schnell und unermüdlich, die der Mensch zu liefern hat 47

und die vollständig und mit absoluter Sicherheit übermittelt sein müssen. Doch das Drama liegt gerade darin, dass wir in Sachen Architektur keine genauen Informationen besitzen und sehr oft überhaupt keine Information. Zum Beispiel : Wieviel Einwohner soll eine Nachbareinheit zählen? Welche Verhaltensweisen hat die Familie in ihrer Wohnung?

Wie kann der Grad des Komforts gemessen werden? Welchen Teil der Last absorbieren dieFüllungen eines Gerüstes?

Warum sind gewisse Plätze belebter als andere? Wie breiten sich die Schwingungen eines Hauses aus? Was ist die Qualität und folglich der Wert eines Hauses?

Welche Beziehung besteht zwischen Isolierungs- und Heizungskosten? Verfügt man über Wertindizien, wie soll man sie einstufen? Das Inventar unserer Unkenntnis ist unglücklicherweise unerschöpflich. Wir haben praktisch nichts Ernsthaftes, das wir im Gedächtnis des Computers speichern könnten, und können ihn deshalb nicht mit Vorteil anwenden. Die auf diesem Gebiet unternommenen Versuche sind nicht überzeugend, weil sie, ausser in wenigen besonderen Ausnahmefällen, im Herumirren in der

Leere von Symbolen ohne gültige experimentelle Grundlage bestehen. Diese beklagenswerten Praktiken geben Schlussfolgerungen, deren Voraussetzungen nur den Wert der Intuition oder Vermutung besitzen, mathematische Gewissheit. Die wahren Lösungen, die die Computer nämlich bereits liefern könnten, hängen sicherlich nicht von den Pr'ophezeihungen einiger Architechnokraten ab, sondern von Forschungen, die wir unternehmen werden, um den Stand unserer Kenntnis zu verbessern.

Während sich der Technokratismus unter den Architekten ausbreitet, nemmen die Umwelt und das tägliche Leben des Menschen unerbittlich Schaden. Die Megalopolis, die sich zu bilden beginnen, fallen beim geringsten Schwächeanfall der übersättigten Infrastrukturen in Ohnmacht. Ganze Gebiete verfallen und verwandeln sich in Landschaften von Greisen und verlassenen Gehöften. Die wenigen Theorien, die wir besitzen, stehen im Widerspruch zu den Tatsachen, die sie erklären wollen. Wir bewegen uns überall und in allem in vollständiger Zusammenhangslosigkeit. Wo sind Rationalität und Effektivität, die der TechGeorges Candilis

I

Auf der Suche nach einem neuen Sinn des Wortes «Architekt» Vor zwei Jahren, im Mai 1966, veröffentlichten Pariser Architekturstudenten eine Schrift, in der sie ihre Gedanken und Forschungen über Architektur, Städtebau und die diesbezüglichen Lehrformen darlegten. Der Inhalt der Schrift wird im Titel zusammengefasst: «Wozu dient der Architekt?»

Seither haben sich eine Gruppe der Kunstakademie im Grand-Palais, ein Teil der alten Schule, Studenten und Lehrer darum bemüht, ! eine permanente Forschung im Hinblick auf die Reform des Architekturünterrichts einzuführen und eine offene Debatte über die Rolle des Architekten in der kommenden Gesellschaft zu erreichen.

Dieser Versuch führte zur Erkenntnis und Klarlegung des derzeitigen Rahmens der «architektonischen Produktion» und kann als eine Antwort auf die erste Frage so formuliert werden: Unter den gegenwärtigen Umständen dient der Architekt zu nichts.

Schlimmer noch, er wird zu einem bewussten oder unbewussten Instrument des Verfalls seines Berufes.

Der Architekt hat seine Verantwortung und seine Achtbarkeit verloren.

Seine Beteiligung an der Schaffung der erbauten Umwelt richtet sich mehr und mehr nach quantitativen Kriterien : Geld, Anzahl, Zeit.

Die Entscheidungen werden ohne ihn von komplexen und konfusen Organismen getroffen: Finanz und Technokratie.

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nokratismus uns zu bringen vorgibt? Wir sind zur Feststellung gezwungen, dass die Architechnokraten nicht tun, was sie sagen und dass sie nicht Leute sind, die sich zu stellen wagen. Einige unter ihnen besitzen vielleicht aussergewöhnliche Kompetenzen, aber diese werden einseitig gebraucht. Die Architechnokraten mögen hohe Stellungen innehaben und über einflussreiche Beziehungen verfügen; ihr Entscheidungsvermögen bleibt indessen begrenzt. Sie arbeiten Lösungen aus, aber die finanzielle und die politische Macht wählt diejenigen unter ihnen, die ihren Interessen am ehesten entsprechen. Die Architechnokraten wollen uns den technischen Charakter ihrer Lösungen glaubenmachen, obwohl diese von zahlreichen aussertechriischen Faktoren bedingt werden. Sie sind gegen alle Ideologien, schmieden sich aber selbst eine, um ihr Unvermögen, Technik und reine Vernunft walten zu lassen, zu rechtfertigen und zu kompensieren, f Der Technokratismus ist, in der Architektur wie auf allen anderen Gebieten, nur ein sorgfältig gepflegter Mythos, um ein schreckliches Elend zu verheimlichen.

f

V

Finanzierungsweise und Kapitalinteressen spielen eine erstrangige Rolle, und der Profit bestimmt über die Qualität.

Der Architekt wird auf verhängnisvolle Weise ein «kommerzielles» Element, auch er richtet seine «architektonische» Produktion nach seinen eigenen Geschäftsinteressen.

In ein System von Widersprüchen, Verwirrungen, Unkenntnissen und Tarnmanövern verstrickt, befindet sich der Architekt in der lächerlichen Lage eines Überbleibsels vergangener Zeiten.

Man betrachtet ihn sei es als einen «Künstler», gerade noch geduldet, dem Bauwerk die plastische «Note» zu verleihen, sei es als einen Hilfstechniker, der von den' Fachtechnologen mehr oder weniger ernst genommen wird.

Der Architekt lebt täglich in der Illusion seiner Beteiligung an der Schaffung der menschlichen Umwelt.

In Wirklichkeit versetzen ihn seine Ausbildung, seine Berufsorganisation, .sein Tätigkeitsgebiet und die falsche Rolle, die ihm die gegenwärtigen Umstände aufzwingen, in eine sozial und wissenschaftlich unerträgliche Lage, die in keinerlei Verhältnis zu den wirklichen Bedürfnissen unserer Zeit steht.

Der Architekt wird einzig aufgrund seiner Anwesenheit geduldet, ein Störenfried, den es zu ertragen gilt.

Und dennoch werden Verantwortung und Rolle des Architekten unter den

Leuten, die Entscheidungen für die Zukunft treffen, immer wichtiger.

Nie in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit war seine Anwesenheit so notwendig.

Seit Beginn unseres Jahrhunderts beherrscht das zaghafte Erscheinen des Begriffs «Städtebau» mehr und mehr das Leben der Gesellschaft. Architektur und Städtebau verschmelzen heute zu einer Lehre der «Baukunst», einem Tätigkeitsfeld, das eng mit den dem Menschen gebotenen Voraussetzungen und Möglichkeiten zu leben, zu handeln, zu denken und zu lieben verbunden ist.

Wir stehen vor der beschleunigten Ausweitung des sozialen Handlungsgebietes der Architektur.

Die neuen, offensichtlichen und fatalen Bedingungen, die eine Folge der quantitativen und qualitativen Veränderung der Massstäbe sind, spiegeln und verbreiten sich über die gesamte Welt.

In der Gesellschaft der Mehrheit, des Konsums und der Atom-Ära steht der Mensch verängstigt, besessen und verloren.

Schon jetzt lassen künderische Zeichen das Gesicht einer Welt erkennen, in der der Mensch bedroht ist, vergessen zu werden.

Die Gefahr ist gross, und der Zeitpunkt ist gekommen, die gegenwärtige, von einer überholten Vergangenheit ererbte Lage in Frage zu stellen und anzuzweifeln.

( Wir haben die Pflicht, unsere Verantwortung zu übernehmen.

Unsere Verantwortung zu garantieren und zu übernehmen, wirklich an der Verwandlung der Umwelt des Menschen teilzunehmen, verlangt vor allem die Aufdeckung und Beseitigung der grossen Hindernisse, der «Riegel», die eine wahrhaftig soziale, politische und wissenschaftliche Aktion verhindern.

Die an der Gestaltung der Umwelt teilhaben, stellen fest, dass ihre Anstrengungen ohne eine gemeinsame und neue Vision der kommenden Gesellschaft isoliert, ziellos und wirkungslos bleiben.

Bauen kann nicht mehr als eine abgesonderte Handlung, ein ausschliessliches Privileg eines Berufes oder einer Behörde angesehen werden. Es ist -eine Kollektivhandlung, die alle angeht und ein Teil des Lebens selbst ist.

Der Begriff «Architekt» selbst blieb an eine handwerkliche und. korporative Berufsauffassung gebunden.

Der Architekt kann nicht isoliert stehen, da die Vervielfachung der Probleme, ihre unendliche Verschiedenartigkeit den Architekten zur Eingliederung in komplexe Arbeitsgruppen zwingt, in der Information, schöpferisches Eingreifen der Benutzer, humanistische, naturwissenschaftliche und technische Wissenschaften ihren natürlichen Platz, ihre objektive Rolle und schliesslich ihre Verantwortung finden werden.

Die Teamarbeit erfordert eine neue Ausbildung, eine Umschulung1 sämtlicher Beteiligten, nicht nur der Architekten, damit eine gemeinsame Sprache, ein gemeinsames Verständnis es ermöglichen, eine Beschlusssynthese herzustellen.

Der globale Aspekt des Begriffes «Urbanisierung» beinhaltet ebenfalls die radikale und tiefgreifende Überprüfung ihres Existenzrahmens.

Die schamlose Bodenspekulation verursacht Missgestaltung und Verschwendung des nationalen Vermögens.

Das Schlagwort von der Notwendigkeit der freien Benutzung des Bodens ist bereits überholt. Nur eine wirkliche und permanente Mobilisierung des Territoriums kann die globale und dynamische Urbanisierung, die unsere Zeit erfordert, ermöglichen.

Die triumphale und periodisch wiederkehrende Ankündigung von der Voll-

Auszüge aus allem Geschriebenen, allen

Plakaten,

Erklärungen,

aus

endung eines Tausendwohnungsprogrammes durch öffentliche oder private Organe täuscht niemanden mehr.

Gewaltige Wohnkomplexe erobern die Städte und Vororte, ohne jeglichen Zusammenhang mit bereits Existierendem, ohne Verbindung mit der Zukunft.

Sie bilden von ihrer physischen und sozialen Umwelt isolierte Fälle, wahrhaftige Gettos der Armen wie der Reichen.

Diese Komplexe entstellen unser Stadtgebiet und bieten den Leuten vielleicht eine Gelegenheit, «unterzukommen», man darf sie aber nicht mit dem Begriff «Wohnung» verwechseln, genau wie man ihren «Bau» nicht mit «Architektur» verwechseln darf.

Die massive Wohnungsproduktion, die, sei es von einem administrativen und technokratischen Labyrinth, sei es von der Geldspekulation beschlossen wird, ist in Wirklichkeit eine private Bausteuer, mit der die Gesellschaft den Konflikt und die Trennung der Klassen im Boden verankert.

Wir leben tatsächlich in einer Konsumgesellschaft, die das Konzept von Architektur und Städtebau bestimmt.

Häuser, Schulen, öffentliche Bauten und das Bauland werden zu Verbrauchsgütern. Dies hat nichts Abwertendes, unter Voraussetzung, dass es ein Mittel zur Produktionskontrolle, einer realen und nicht theoretischen Kontrolle, gibt. Die Produktion um des Konsumes willen, die, noch einmal, vom Profit und der Spekulation diktiert wird, missbraucht die Naivität und Unkenntnis des Menschen durch die Betäubung mittels publizitärer Lyrik und Berauschung.

Die Konsumarchitektur weist einen lächerlichen und geschmacklosen Aspekt auf, entweder in ihrer Fiktion und ihrem nichtigen Futurismus oder in ihrem Heimweh nach den Formen der Vergangenheit.

Die Architektur des «Gadget», «Drugstore», der «Pubs», «Shoppings», «Buildings» und Quaderstein-«Residenzen» verrät die Dekadenz und den Betrug der architektonischen Produktion unter den gegenwärtigen Verhältnissen.

Maschinen sind Gebrauchsgegenstände, werden aber genau umgekehrt benutzt: Anstatt Objekte zu unserer Befriedigung herzustellen, werden Objekte produziert,

die neue Bedürfnisse erwecken: Bedürfnisse der Bedürfnisse, und der Mensch sitzt in der Falle eines Ausbeutungssystems. Dieses System versetzt ihn in eine künstliche, verschleierte Umwelt.

Die Maschinen sind da, in Betrieb.

Die Industrialisierung des Bauwesens ist Wirklichkeit, eine traurige Wirklichkeit, es werden Wohnungen in grosser Zahl konstruiert, bevor man überhaupt definiert hat, was für Wohnungen gebaut werden müssen.

Die Macht vergangener Gewohnheiten, der Mangel an Einfällen und Erfindungen, das vollständige Fehlen von Experimenten und Grundlagenforschung ergeben die Produktion von totgeborenen, schon bei ihrer Fertigstellung überholten Wohnungen, die einen Hang zur armseligen und lächerlichen Miniaturisierung der Wohnart der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts widerspiegeln.

Diese falsche Orientierung bewirkt das Paradox der Geringschätzung alles Neuen und der Hochachtung des Ehemaligen und Alten.

- Aufdeckung und Unterdrückung von missbräuchlicher Spekulation aller Art, auf Bauland und Gebäude; - Forderung nach freiem Gebrauch und Mobilisierung des Bodens; - effektive Kohtrolle der architektonischen Produktion; -'tiefgreifende Reform des Unterrichts, der Ausbildung und der Ausübung des Architektberufes; Verantwortungsgefühl in allen Stadien der Entscheidung verlangt eine entscheidende Vorbedingung: - dass die «Wohnstatt» des Menschen im weitesten Sinne des Wortes ein «Recht» wird, das politische, soziale, administrative und finanzielle Konsequenzen und Veränderungen mit sich führt.

Wissenschaft,

Auszüge über die Gemeinschaftsarbeit

Planung und Ausführung.

«Es geht darum, die architektonische Verantwortung der gesamten Gesellschaft zu schaffen» (P. Lefèvre).

Das ist die einzig wirkliche Bedingung, um dem Begriff «Architekt» einen neuen Sinn zu geben.

Einen neuen Sinn geben bedeutet, den Architekten, das Denken und die architektonische Haltung, in die primäre Rolle versetzen, die er in der neuen Gesellschaft spielen muss; Mehrheits- utid Konsumgesellschaft.

Anträgen

Architekt sein heisst nicht, ein gewandter

Die Neurosen,

hinsichtlich der Architektur während der

Geschäftsmann sein, sondern eine gewisse

Krankheiten, die von einer ungenügenden

Mairevolution 1968 \

soziale

des

Anpassung an die Umgebung herrühren,

Verbrauchers und nicht der Kunden angeAuszüge über die Berufsprobleme

wendet werden sollte, zu besitzen.

haben schnell das Einschreiten der Soziologen, Ökonomen, Geographen und andeDer Ausdruck «Architekt» selbst ist mit

Eine

wird weder ausren Spezialisten, die uns durch ihre Anaeiner

des

schliesslich beruflich noch endgültig sein.

lyse den globalen und vor allem politischen

Berufes verbunden geblieben. Die HandSie wird sich gemäss der Hauptforsqhung

Charakter des Problems nicht vergessen

lung des Bauens muss heute ausschliesslich

und in ständiger Zusammenarbeit mit der

lassen, herbeigeführt.

eine Gemeinschaftsarbeit sein: InformaUniversität entwickeln.

Es gibt weder zu viele Architekten noch

handwerklichen

Auffassung

Berufung,

die

Neuorganisation

im

Dienste

tion und menschliche Wissenschaft, techIngenieure oder

nische

Spezialisten

Kenntnisse

und

mathematische

der

Psychosen und anderen

Techniker.

Die jungen

menschlichen

Wissen49

schäften haben objektiverweise ein bealle Zahl- und Naturrichtungen der Teilträchtliches Arbeitsfeld im Bereiche der

nehmer.

ein Irrtum und letztlich eine Demagogie, wenn nur das Geld und die Verordnungen die Lösungen erzwingen.

Habitate und der Bebauungsplanung. Aber ihre Tätigkeit wird derzeitig nicht ausAuszüge über die Verbrauchergesellschaft

Wir fordern

reichend ausgenützt, weil ihre Ausbildung

Wir wollen gegen die Bedingungen der

weitesten Sinne aufgefasst wird, d. h. das

eine

Architektur,

die

im

nicht den Problemen dès wirklichen Lebens

Architekturproduktion, die sie den InterRecht auf einen gut bebauten Raum und

entspricht.

essen der öffentlichen oder privaten Auffolglich das Recht auf die Stadt, auf das

traggeber unterwirft, kämpfen.

Habitat, das Recht auf die Wohnung mit

Auszüge über das schöpferische Eingreifen des Benutzers

Das Maschinenzeitalter ist da, aber man

allen politischen, verwaltungsartigen und

bedient sich der Maschine auf falsche

finanziellen Folgen, die dies mit sich bringt.

Aufruf zur Teilnahme an den Arbeiten der

Weise. Anstelle des Notwendigen produUnd vor allem den freien Gebrauch des

Kommission gegen die «Feudalherrschaft

ziert man zu viele Objekte, die man unterBodens und die Abschaffung sämtlicher

des Berufes». Deren Thema lautet: Eine

halten

Architektur für alle und durch alle.

FÜR ALLE, gegen den Profit einiger

noch unterhaltenmuss usw. . . . neue Unterökonomischen

haltungsgegenstände und schliesslich eine

wilden

weniger:

ganze Welt von Unterhaltenen . . .

Wir stellen einen allgemeinen,

oder

sogar

deren

Unterhaltung

Spekulationsformen, indem wir mit den

Nutzsuche

und

aufbauen,

die

auf der

der

höchsten

den

Rahmen

die

der gegenwärtigen Bebauungsplanung bilmateriellen Und kulturellen Profit klar.

Wir sind gegen die

DURCH ALLE, gegen das Eingreifen

schaft.

Wir wollen

den, abbrechen. Die Planungsstellen wereines einzelnen

verbrauchen, aber das verbrauchen, was

den im gesamten oder teilweise von den

Wir

fühlen

(mit Ausnahmefällen):

die

Notwendigkeit

weitVerbrauchergesellStrukturen,

Spekulation

Wir haben unrecht.

wir beschlossen haben zu produzieren.

Ausführungsorgane,

indem

wir

vorausGeschäftsbanken finanziert. Der moderne Architekt hat die

greifender Denk-, Programmierungs- und

Auszüge über die Spekulation Bebauungsplanung

ist

Wahl,

entweder der

Dieb (Agenturchef, finanzierter Schieber ein

Weltauf der Suche neuer Geschäfte) oder der

setzen: zunächst die Erziehung aller vom

Die

jüngsten Alter an zum verantwortungsproblem. Ihre Entwicklung zieht wesentBestohlene (ein guter «Neger», Agenturbewussten Bürger, die Entwicklung der bereits vorhandenen schöpferischen 'Beliche

zeichner),

gabungen jedermanns, die Förderung in

lichen

Veränderungen mit sich. Das Betrachten der urbanistischen und menschWissenschaften

im

d.h.,

sich

Von den grossen

Chefs ausnützen zu lassen, zu sein.

Ursprung ist

René Sarger Der Mai 1968 und die Architekturstudenten Die Studentenbewegung hat zweifellos die tiefe Krise, in der sich sowohl die französische Universität als auch die Regierungsmacht befindet, die im Grunde für sie verantwortlich ist, aufgedeckt.

Die höheren Lehranstalten sind, was die soziale Herkunft der Schüler betrifft, alles andere als demokratisch: Weniger als 12% der Studenten sind Kinder von Bauern und Arbeitern. Weiterhin ist charakteristisch, dass weniger als 10% der Diplomarchitekten freiberuflich arbeiten können, alle anderen sind Lohnarbeiter, also Proletarier, die die Entfremdung von ihren Berufsidealen erleiden. Heute wiederholt sich derselbe Vorgang, der sich am Anfang der Industrialisierung abspielte, als Bauern und Handwerker zu Arbeitern wurden: die Anzweiflung des sozialen Systems. Heute entsteht dieser Geist in anderen Sozialgruppen.

Welchen Gang nahmen die Maiunruhen, während denen es zur Abstimmung über den denkwürdigen Antrag vom 15. Mai kam?

Nach der Verhaftung von Studenten im Laufe einer Demonstration in Paris protestierten einige Dutzend Lehrkräfte der verschiedenen Architekturfilialen der Kunstakademie gegen die Unterdrükkungsmethoden der Regierung und bildeten eine Gewerkschaftssektion im Anschluss an die S.N.E.Sup. Am 10. Mai nahmen zahlreiche Studenten und einige Lehrer an der Demonstration, die dem Aufstand im Quartier Latin vorausging, teil. Nach der Demonstration des 13. Mai 50

kam es zur Bildung von Streikkomitees und Arbeitskreisen, zu denen Architekten und andere nahestehende Berufsgruppen eingeladen wurden. Während mehr als einem Monat wurde die «alte Schule» zu einer Kunstuniversität, einer wahrhaftigen Fabrik, in der man dachte, Tabus zerstörte, Propaganda und Agitation organisierte.

Am 18. Mai fasste die Generalversammlung den symbolischen Beschluss, im Zuge der «Entfeudalisierung des Berufsstandes» den Architektenorden aufzulösen. Von weitaus grösserer Bedeutung aber war die Forderung nach Reform, das heisst nach Beteiligung und Mitbestimmung an der Organisation und Gestaltung des Unterrichts und daher nach Abschaffung aller Privilegien der alten Institutionen.

Die Architekturhochschulen sollen von Lehrern und Studenten gemeinsam geleitet und an die Universität angeschlossen werden. An der Spezialschule, die eiern Erziehungsministerium untersteht, beschlossen die Studenten in einer satzungsgemässen Generalversammlung die Reform des Unterrichts, nachdem sie durch Wahl eine Neubesetzung des Direktorpostens erreicht hatten.

In der Satzung der Kunstakademie, die dem Kulturministerium untersteht, ist die Einberufung einer Generalversammlung nicht enthalten. Doch hat-idas aufgeschlossenere Kulturministerium schon vor zwei Jahren mit - \\enn auch bescheidenen - Reformen begonnen. Daher haben die Beauftragten des Ministeriums

im Gegensatz zu Rektor Roche, der die Polizei in die Universität gerufen hatte, die Benutzung der Schulräume durch die Streikkomitees gestattet. Sie nahmen an der Generalversammlung teil und antworteten auf die Besetzung der Schule durch die Polizei mit Protesten.

Gewisse Voraussetzungen für die Arbeit der Studenten und Lehrer an der Reform der Unterrichtsprogramme und -methoden sind nun geschaffen. Andere sind es noch nicht. Werden sie es bald sein? Die Antwort liegt in den Händen der Studenten und Lehrer der Architekturhochschulen.

Mai-Antrag « Warum

verlängern

wir

den

Kampf?

Gegen was kämpfen wir? Wir kämpfen gegen eine Klassenuniversität, wir wollen den Kampf gegen alle folgenden Punkte organisieren : 1. Wir beanstanden die Sozialauswahl, die sich während der gesamten Studienzeit zum Nachteil der Schüler aus der Arbeiterund Bauernklasse abspielt.

gegen

das

Wir

wollen

Wettbewerbssystem,

hauptsächliches Mittel dieser Auswahl, kämpfen.

2. Wir beanstanden den Lehrstoff und die pädagogischen Formen seiner Vermittlung.

■Weil alles daraufhin organisiert ist, dass die Systemergebnisse nicht einer bewussten Kritik sowohl hinsichtlich der Wissenschaft wie auch der sozialen und ökonomischen Wirklichkeit unterliegen.

3. Wir beanstanden die Rolle,

die die

Gesellschaft von den Intellektuellen erwartet:

nämlich

die

Wachhunde

des

wirtschaftlichen Produktionssystems sowie

unterwerfen.

Architekten

Die Akademiker müssen auf der Seite der

technokratische <rahmen> zu sein. Auf</rahmen>

waren bereit, grosse oder kleine <sar-< p=""></sar-<>

Wie

vielf

Arbeiter, die hauptsächlichen Opfer dieser

die Weise zu arbeiten, dass jeder sich auf

cellen> zu bauen? Wie viele Architekten

Sozialauswahl des Lehrsystems, kämpfen.

seinem Platz wohlfühle, vor allem dieser

tragen in ihren Ausführungsbedingungen

Der Kampf gegen die Klassenuniversität

<jeder>, der sich auf einem <ausgenützten-< p=""></ausgenützten-<></jeder>

den Inforrpationsbedingungen, der Hymuss organisch mit dem Arbeiterkampf

Platz> befindet.

giene, der Sicherheit der Bauarbeiter

gegen

Was bedeuten diese Kritiken hinsichtlich

Rechnung?"Machten sie es, würde dann

system verbunden sein.

das kapitalistische

Ausbeutungsder Architekturhochschulen ? Hinsichtlich

ein Auftraggeber auf das Angebot ein-

Wir müssen uns daher verpflichten, die

der Kunst- und Bildhauerschulen? Es ist

gehen ? Und es ist bekannt, dass es in der

derzeitigen Beziehungen zwischen Beruf

Bauindustrie täglich drei Tote gibt.

selbstverständlich Sache der Kommissiound Lehre zu überprüfen ;

-

aber

wir

- Wir wollen gegen einen besonders konwas

die

servativen, besonders unrationellen und

und

Architektur anbelangt, anführen :

unwissenschaftlichen Lehrplan kämpfen,

prüfen;

-

nen,

dies genau festzulegen,

können schon

-■

einige

Punkte,

Wir wollen gegen die Berufsherrschaft

bei dem die persönlichen Gewohnheiten

über die Ausbildung in Form der Ord-

weiterhin über die objektiven Erkenntnungsräte oder anderen

nisse

über- jegliche Vorauswahlformen beim Schulbeginn zu verweigern;

Kurz gesagt, wir wollen die wirklichen

- uns auf den Kampf gegen die ReformMethode, wir sind gegen die konforBeziehungen der Schule zur Gesellschaft

mistische

System

erkennen;, wir wollen gegen ihren Klasdie das

Ideologie

zu

das Lehrherrnsystem als pädagogische Ideologie,

Die

Trennung der ENSBA

Hochschulwesens

- gegen das derzeitige Exanten- und WettWir sind gegen

dominieren.

des

des

Verbänden kämpfen.

korporativen

die derzeitige

römischen Preises ist noch lebendig!

lehrt. Die Architekturlehre darf nicht

sencharakter kämpfen. Wir müssen uns

nur die alleinige Wiederholung bis zur

bewusst sein, dass wir diesen Kampf

vollkommenen

bewerbssystem zu kämpfen ; dekrete vorzubereiten ; - die realen Kampfverbindungen mit den Arbeitern aufzustellen.

Lehrenden

nicht alleine führen können. Wir dürfen

Über alle diese Punkte müssen wir die

sein.

- Wir wollen gegen die Bedingungen der

nicht der Illusion verfallen, dass die

freiesten Diskussionen führen. Alle LehrAkademiker in ihren Fakultäten tatstände müssen Stellung nehmen. Kampfarchitektonischen Produktion kämpfen,

sächliche Autonomiezentren in bezug auf

organisationsformen

die sie schliesslich den Interessen der

die Gesamtheit der bürgerlichen Gesellwerden.»

öffentlichen oder privaten Auftraggeber

schaft einrichten können.

Kopie

des

müssen

gefunden

Streikkomitee

Ionei Schein Städtebau - Architektur - Revolution Wer die Begriffe «Städtebau - Architektur - Revolution» vereinigt, muss sich darüber im klaren sein, dass jeder von ihnen eine politische Handlung darstellt.

Sollten kommende Soziologen die französische Revolution des Jahres 1968 analysieren, so werden sie sicherlich auch die Architektur der'Universität Nanterre und ihrer Umgebung untersuchen und zu dem Schluss gelangen, dass diese erstäunlich dumm und ausdruckslos ist, eine Umwelt, die mit der Tätigkeit und dem Streben der Gesellschaft nichts gemein hat. Revolutionen ereignen sich in der Stadt. Muss die Stadt da nicht einen revolutionären Charakter - der permanenten Anzweiflung - besitzen? Die von unserer Gesellschaft entworfene Stadt erzeugt eine Unzahl von Mikrophänomenen, die unsere Umwelt unbemerkt bis zu einem Punkt verändern, an dem der Bruch mit Gegenwart und Vergangenheit geschieht. In Regis Debrays Buch «Die Revolution in der Revolution» findet sich ein Kapitel mit der Überschrift «Befreiung der Gegenwart von der Vergangenheit», in dem er den Wert und die zeitgenössische Bedeutung der revolutionären Strukturen aufzeigt. Da aber die Gegenwart die Ver-

gangenheit der Zukunft bildet, hat die Zukunft nichts mit der Gegenwart zu tun und lässt siph nicht voti ihr ableiten, da sie in ihrem Wesen eine Folge von «Ge-' genwarten» ist. Somit kann die bauliche Umwelt nicht länger eine Folge der Revolution sein!

Die Umwandlung sozialer, politischer und wirtschaftlicher Strukturen muss von einer gleichzeitigen Umformung der Umweltstrukturen begleitet werden. «In einer neuen Situation, neue Methoden. Das heisst, man sollte sich hüten, irrtümlicherweise oder traditionsgemäss Handlungsformen anzunehmen, die diesem neuen Inhalt nicht eigen sind.» Eine der neuen Handlungsformen, die die Studentenbewegung hervorgebracht hat, betrifft die Art, wie Städtebau und Architektur geschaffen, verteilt und konsumiert werden. Sie müssen durch ihrep perma- L nent revolutionären Charakter eine fortlaufende Entwicklung herbeiführen.

Die Aktion der Studenten und Lehrer führte zurAnzweiflungnichtnur der Lehrformen, sondern auch des Architektenberufesundgipfelte in der Feststellung des politischenCharaktersjeglicher städtebaulich-architektonischen Handlung. Sie kri-

tisierten all das, was den Intellektuellen zum «Wachhund des Wirtschaftssystems» macht. Die Studenten wollen «sich der realen Beziehung zwischen Schule und Gesellschaft bewusst werden; sie wollen den Klassengeist der Schule bekämpfen».

Die Architekten werden sich endlich bewusst, dass die Bauhandlung nicht nur sie betrifft, und sie fordern in einem offenen Brief an den Kultusminister «neue Strukturen, die in einer autonomen und durch die permanente Konfrontation von Arbeitern, Studenten, Lehrern, Architekten und Verbraucherverbänden kritischen Universität erarbeitet werden».

Diese Erklärung findet wachsende Zustimmung unter den Architekten. Sie üben Selbstkritik und machen die Entdeckung, dass Architekturunterricht und Leben, Konzept und Produktion im Bauwesen unlöslich miteinander verbunden sind.

Es gilt aber noch viel Routine und Dummheit, zum System erhobene Kompromisse, die Hinterlist der gesellschaftlichen Beziehungen und des gezeichneten Formalismus so vieler Architekten, die ihre simultane Rolle ais Schöpfer der Umwelt und Bürger vergessen haben, zu bekämpfen.

tóv 51

Giancarlo de Carlo Die umgekehrte Pyramide In der jüngsten Geschichte der Universitätsrevolte haben die Architekturfakultäten eine besondere Rolle gespielt. Wir wollen im folgenden versuchen, diese mit einigen treffenden Bemerkungen zu beschreiben.

V

Kurze Wiederholung der Geschehnisse Im Dezember 1963, kurz nach Beginn des Universitätsjahres, traten in Mailand die Studenten des Kompositionskurses in den Streik. Einige Wochen zuvor hatten sie die Professoren gebeten, eine breite Diskussion über den Inhalt der Unterrichtsprogramme zu eröffnen, da sie die gegenwärtigen Übungsaufgaben als unzeitgefnäss und wirklichkeitsfremd ansahen.

Als sie mit dieser Bitte auf Ablehnung stiessen, gingen sie zur Aktion über und besetzten nach einer Reihe von Versprechungen und Drohungen im Februar 1964 die Fakultät. Die Studenten aller übrigen Kurse schlossen sich ihnen an.

Es war das erste Mal, dass eine italienische Universität von den Studenten besetzt wurde. Einige Monate später folgten Turin und Rom diesem Beispiel. Eingeschlössen in die Vorlesungssäle begannen die Studenten, ihre Probleme allein zu überprüfen. Bald zeigten sich die grundlegenden Themen, die die anfänglichen Vorwände unwichtig erscheinen liessen. Man begann, von der Definition der Aufgaben des Architekten innerhalb der Gesellschaft zu sprechen, von der Art seiner Vorbereitung, die die Fakultät ermöglichen muss, von der Veränderung der Fakultätsstrukturen, von der Aufhebung der Trennung zwischen den Vorlesungen, von der Umformung der Institute in Organismen, die dazu bestimmt sein müssen, Forschung und Verjüngung des Lehrkörpers zu fördern, vom Mitbestimmungsrecht der Studenten an der kulturellen Verwaltung der Schule.

Von allen diesen Themen, die untereinander durch eine interne, untrennbare Logik verbunden sind, wurden nur zwei von den aufgeschlossensten Fakultätsräten in Betracht gezogen, während sie alle anderen in ihrer Gesamtheit ablehnten. Um den Wunsch nach Mitsprache zu dämpfen, erfand man die paritätischen Kommissionen und um die im Lehrkörper entstandenen Breschen zu füllen, wurden einige neue Professoren angestellt, die von anderen Universitäten oder aus dem Berufsleben kamen. Diese beiden Massnahmen erwiesen sich während einer gewissen Zeit als wirkungsvoll.

Denn in der Tat, während sich die Revolte in den Jahren 1965 und 1966 ausbreitete, verharrten die Architekturfakultäten in Erwartung einer Erneuerung und verloren sich in bürokratischen Kontroversen.

Nach dieser Periode tauchten die Grundprobleme wieder auf. Der Kampf wurde 52

1967 wieder aufgenommen. Noch einmal nahm er seinen Ausgang in einer Reihe von Anfragen, die auf die am meisten schadhaften und veralteten Teile des Unterrichts zielten, um sich dann in eine globale, fordernde Aktion gegen die Macht der Fakultätsräte zu verwandeln.

Die Fakultäten von Mailand, Turin, Neapel und Venedig wurden von den Studenten besetzt und später, mit Ausnahme von Mailand, nach dem Eingreifen der Polizei wieder geräumt. In Venedig, wo die Besetzung länger und hartnäckiger war als anderswo, geschah das Eingreifen der Polizei nicht auf Betreiben des Rektors, sondern einer neofaschistischen Bewegung, die sich die «Neue Ordnung» nannte, in Wirklichkeit aber nur die alten Verhältnisse, wo immer sie auch bestanden, also besonders an der Universität, bewahren wollte.

Die Oppositionsparteien und ihr gegenwärtiges Verhäliais zueinander Die Studenten bilden nicht eine soziale Schicht. Wenn auch ein Teil ihrer Forderungen eine wirtschaftliche Grundlage hat, so bilden sie doch ihrem Wesen nach eine heterogene Gruppe, die dazu bestimmt ist, eine spezifische soziale Funktion zu erfüllen. Ihr wahres Problem ist nicht so sehr, wirtschaftliche Sicherheit zu erlangen, sondern vielmehr, den Gegenstand ihrer Funktion zu erhellen, die Gründe, weshalb sie diese erfüllen müssen, die Art, wie sie diese ausüben können. Absolute Vorbedingung für eine solche Klärung! ist, dass sie von den Studenten selbst getätigt wird. Tatsächlich werden sie nur so die Garantie haben, dass die Ziele nicht unmenschlich, die Gründe bedrückend und die Ausformung unwissenschaftlich sein werden.

Dass sie also mit anderen Worten während der Vorbereitung auf ihre soziale Funktion nicht zu Instrumenten werden und ihr Leben einen menschlichen Sinn bekommen wird.

Die Frage betrifft also den Begriff der Freiheit und stellt sich im Rahmen des Phänomens der Erweiterung der Bürgerrechte. Innerhalb dieses neuen Grenzbereiches ist die gesamte Jugend in Bewegung, von den Vereinigten Staaten über China bis nach Europa. Sie kämpft um die Erlangung einer Ausdrucksautonomie, die ihr bisher immer im Namen des ältesten Ausdrucks des Autoritätsprinzipes verweigert wurde: die unangezweifelte Vorherrschaft der älteren Generation in der Regierung der Gesellschaft. Von verschiedenen Grundlagen ausgehend, die den Verschiedenheiten der ideologischen und politischen Bedingungen eines jeden Landes entsprechen, läuft diese Bewegung auf ein identisches Ziel hinaus : die Anerkennung des Rechtes der Jugend, das Verhalten ■ J

einer Gesellschaft anzuzweifeln, die menschlich gesehen in dem Augenblick katastrophal versagt, in dem sie den Gipfel der produktiven Effektivität erreicht.

In ihrem Kampf gegen die Fakultätsräte haben die Architekturstudenten, und hierin waren sie vielleicht allen anderen voraus, Organisations- und Verhaltensformen gesucht, die sich als revolutionär erwiesen und dennoch aufgrund ihrer Neuheit konkret waren. Die traditionellen Studentenvereinigungen, die durch den politischen Parteien nachgeahmte Tendenzen charakterisiert werden, hatten zu Beginn der Revolte einen wesentlichen Einfluss. Nun erfüllen sie nach und nach eine ihrem Wesen nach organisatorische, also am Rande auftretende Funktion.

Souveränes Organ ist die Studentenvollversammlung. Die repräsentativen Kommissionen wurden auf ein Minimum beschränkt. In vielen Fakultäten wird der Posten des Versammlungsvorsitzenden täglich neu besetzt, genau wie die Delegiertensitze, denen die Beziehungen zum Lehrkörper oder zur Umwelt obliegt.

Dies verursacht Verzögerung und Verwirrung, schliesst jedoch das Risiko der Machtkonzentration aus, bewirkt Teilnahme und Bewusstseinsnahme, affo Freiheit. Die Studenten sind in der Tat davon überzeugt, dass Freiheit, im Gegensatz zu dem, was man sie bisher gelehrt hat, wichtiger ist als Effektivität. In einer von ihnen besetzten Architekturfakultät hatten sie sich in freien G nippen, ähnlich den Klubs der Jakobiner, organisiert.

Und das Überwechseln von einer Gruppe zur anderen wurde, im Falle einer Meinungsänderung im Verlauf der Debatte, keineswegs als Schande empfunden. In einer anderen Fakultät hatten die Studenten die Pflastersteine des Hofes, in dem die Professoren ihre Autos parkierten, entfernt, um ihn in einen Garten zu verwandeln. ünter diesen neuen, aus der Unsicherheit der Besetzung entstandenen Verhaltensformen, fanden sich die Unsicherheit, die Abscheu vor der institutionalen Leere, das Heimweh nach dem sicherheitbietenden Apparat. Besonders in den Kreisen der offiziellen Studentenvereinigungen fehlte es nicht an «Onkel Tom’s», die darum bemüht waren, die ganze Operation so schnell als möglich zu beenden, um ihre obschon prekären Posten zu behalten. -1 Während derjüngsten Programmseminare konnte man wiederholt dem Versüch der Leiter beiwohnen, von den ersten erreichten Resultaten ausgehend, Unstimmigkeiten hervorzurufen. Dié Versammlung hat sióh aber, manchmal zerstreut und vage in Einzelheiten, in Prinzipfragen immer gegenwärtig und unbeugsam gezeigt.

Die Fakultätsräte und Studentenver-

Sammlungen sind also zurzeit die einzigen an den italienischen Architekturhochschulen anwesenden Parteien. Wie an allen anderen Fakultäten trennt sie das Autoritätsprinzip. Es handelt sich also darum, diese Demarkationslinie ^etwas tiefergehend zu prüfen.

I

Diskussionsargumente Die italienischen Architekturfakultäten sind die Frucht einer Vernunftheirat zwischen den Kunstakademien und den Ingenieurhochschulen. Von beiden erbten sie deren schlechteste Seiten, von denen sie sich nie lösen konnten. Von dieser Ursünde stammt das absurde und widersprüchliche Programm, dem der Student zu folgen hat. Esbildet einen anmassenden und kräfteverzehrenden Versuch, das gesamte von der Wissenschaft bis zur Kunst reichende Gebiet zu decken. «Das Ergebnis», so schrieb ein Student kurz vor seinem Diplom, «ist, dass der Architekt Mathematiker, Physiker, Ingenieur, Kunsthistoriker wird . . . und dabei natürlich ein Dilettant bleibt.» Die Debatte begann gleich in der Nachkriegszeit, mit Ausgangspunkt von der grotesken Unzulänglichkeit der Architektenausbildung. Tatsächlich lehnten sich die ersten bescheidenen Forderungen der Studenten an die Neuaufteilung der Wissenschaftsgebiete an. Bei dieser Gelegenheit begingen die am meisten fortgeschrittenen Fakultäten, an denen zumindest ein Minimum an Dialog auf dem sogenannten künstlerischen Gebiet erlaubt war, die ersten Fehler. In der lobenswerten Absicht, die Programme zu erleichtern, schränkten sie den Mathematik- und Physikunterricht ein, ohne jedoch die Gesamtheit des Apparates zu modifizieren. Das Problem bestand ja nicht darin, die Zweige vom Baum zu schneiden, sondern den Stamm neu zu formen und die Wurzeln zu verjüngen.

Anlässlich eines 1959 in Neapel veranstalteten Lehrerkongresses brachten die Studenten einen Antrag ein, der schon die angestrebten Ziele enthielt: «Die Anpassung der Studienpläne verlangt eine erhöhte Rücksichtnahme gegenüber der äusseren Wirklichkeit, das heisst gegenüber den Problemen und Notwendigkeiten des Landes.» Damit war die Frage nach dem Land und der Dringlichkeit seiner Probleme an die Oberfläche gebracht, mit anderen Worten (sie waren nuanciert, da die Studenten bei diesem Kongress noch nach väterlicher Weise empfangene Gäste waren), die Hypothese eines neuen Engagements der architektonischen Tätigkeit in Beziehung zur Entwicklung der Gesellschaft.

In den folgenden Jahren drehte sich die Diskussion um diesen Kern. Sie wurde von der wachsenden Unzufriedenheit der Studenten gespeist, aber auch von einer Reihe objektiver Tatsachen, die gerade aus der äusseren Wirklichkeit aufzusteigen begannen. Die wirtschaftliche Entwicklung der sechziger Jahre hatte auf

schlagende Weise gezeigt, bis zu welchem Grade die italienische Architektur unvorbereitet war, den damals auftretenden Erscheinungen zu begegnen. Die grosse Verwandlung des physisçhen Milieus, hervorgerufen durch interne Bevölkerungswanderungen, der Städtebau, die gesteigerte Beweglichkeit, die Erhöhung der Einkommen waren dem Piratentum der privaten Spekulanten, der Vorherrschaft der Monopole und der Unsicherheit der Politiker ausgeliefert. Die Architektur lieferte nicht die Führungskräfte, die fähig gewesen wären, eine technische Korrektur der vollzogenen Operationen vorzunehmen; darüber hinaus schuf sie weder Ideen, noch Konzepte oder geeignete Vorschläge. Die Schule warf weiterhin eine «Elite» vager Berufsarchitekten auf den Markt, die vor allem dazu ausersehen waren, die Probleme des «dekorativen Überflusses» einer wohlhabenden «Elite» zu lösen. Sie bildete weder die zur Gebietsplanung notwendigen Fachleute noch Städtebauer oder authentische Formgestalter aus. Unter diesen Umständen ist es klar, dass es auch nicht gelang, durch eine systematische und ständige Forschungstätigkeit eine Kultur zu schaffen.

Während der Streiks und Besetzungen zwischen 1962 und 1963 begannen die Studenten, über diesen unglücklichen Zustand und über das Schicksal, das sie nach dem Schulabgang erwartete - unvorbereitet wie sie zur Begegnung mit einer undefinierbaren Welt waren -, nachzudenken. Die Schlussfolgerungen konnten in drei Hauptargumenten zusammengefasst werden: Massenfakultät, pädagogische Erneuerung, Einführung einer neuen Forschungstätigkeit.

Diese Gedanken wurden den Professoren unterbreitet, denen man eine gemeinsame Anstrengung in Hinblick auf eine Klärung und Reorganisation vorschlug.

Wenn wir heute - auf dem Gipfel der Krise - die Dokumente prüfèn, die diese Vorschläge enthielten, so stellen wir vor allem fest, dass ihr Inhalt der Form nach unumstösslich, im Grunde aber offen gehalten ist. Es scheint uns also seltsam, dass die Fakultätsräte ihnen mit Ablehnung begegneten, wobei sie sich Verzögerungen und Umwegen bedienten und sogar anführten, ihrer Berufsehre sei Beleidigung angetan worden. Ohne Zweifel trat hier die antike autoritäre Neigung .in Aktion, mit dem verschlissenen patronalen Trick der italienischen Universität. Was jedoch die Architekturfakultäten betrifft, so verhielt. es sich anders.

Massenfakultät ist gleichbedeutend mit einer Fakultät der grossen Anzahl. Die Zahl der Studenten hat zugenommen, weil immer mehr Architekten nachgefragt werden. Diese Forderung entspringt der Tatsache, dass die italienische Architektur dazu neigt, ihre Rolle als Lieferant des «dekorativen Überflusses» aufzugeben, um zu einem wesentlichen Teil der Entwicklung des Landes zu werden. Aber wie viele ihrer Lehrer, Staatsangestellte, die in Sicherheit leben, waren bereit, das Risiko dieser Vorausschau zu tragen?

Wie viele unter ihnen, die doch in der intellektuellen Provinz des guten Geschmackes, des kleinlichen Berufsfortgangs und der nichtigen Deklamationen ausgebildet worden waren, konnten eine soziale Verantwortung auf sich nehmen?

Anderseits brachte die didaktische Erneuerung auch die Schaffung einer wissenschaftlichen Grundlage für eine Architektur der grossen Anzahl mit sich. Die Kontrolle der Umwandlung der Wohnstätten und die fast unbegrenzte Produktion von Gebrauchsgegenständen machten die Verwendung von genauen Analyse- und Projektierungsinstrumenten, die auf komplexen und rigorosen Techniken auf bauen, notwendig. Aus diesem Grunde trat die «Formgebung», die ausserhalb der Schulen entstand, an die Stelle von Ausrüstung und Dekoration. Aus demselben Anlass hat der Städtebau, auch er entstand ausserhalb der Schulen, begonnen, als eine humanistische Wissenschaft betrachtet, die Architektur der Städte zu ersetzen. Wie viele Professoren konnten aber den Einsatz ihrer Kultur einem wirklich wissenschaftlichen Lehrapparat gegenüberstellen? Sie hatten die Verringerung der Mathematik- und Wissenschaftsprogramme akzeptiert, da sie im Grunde dazu beitrug, ihre Unbeständigkeit zu legitimieren. Niemals würden sie es zulassen, dass diese Lehrfächer auf einem noch höheren Niveau wiedereingeführt würden.

Schliesslich war gar nicht die Rede davon, einer wirklichen Forschungstätigkeit grünes Licht zu geben. Denn in einem Land mit einer so prekären Lage wie dem unseren bedeutet Forschung Anzweifelung. Wer die physischen italienischen Strukturen studiert, findet, dass sie den Ansprüchen eines idiotischen und egoistischen Systems genügen, dass die architektonischen Eingriffe in diese Struktur sich auf das Innere des Systems richten und es nur noch bereichern. Unter diesen Umständen konnte Forschungstätigkeit nur akzeptiert werden, solange sie nicht authentisch war, das heisst in dem Masse, wie sie zur Zustimmung gebracht werden konnte, sich jedoch gleichzeitig als in Frage stellend gab.

Massenfakultät, Lehre, Forschung ‘ Die Massenuniversität ist keine vergrösserte oder vereinfachte und verblödete Universität oder eine «Elite». Um eine solche Universität zu erhalten, genügt es nicht, zahlreichere oder grössere Aulen zu planen, die Zahl der Professoren und Assistenten zu vervielfachen; die Programme zu erweitern oder zu beschränken, die Zahl der Arbeitsstunden zu erhöhen oder zu vermindern; es braucht eine Strukturumwandlung, die die Beziehung zwischen den Parteien verändert, die das Gleichgewicht des Verhältnisses 53

)

vonBeteiligung-Funktion-Verantwortung wiederherstellt, die die Flexibilität des Austausches und der Konfrontation garantiert, die die Kraft der Kultur verstärkt.

Ziel der Massenuniversität ist es, einem sozial andersartigen Anspruch zu genügen als dem, den man an die «Elite»Universität richtet. Es geht nicht darum, Führungskräfte zugunsten einer machthabenden Klasse auszubilden, sondern darum, Operateure, die für die soziale Gesamtheit bestimmt, also spezialisiert, sich aber des Zieles ihrer Aktion bewusst sind, zu schaffen.

Die Lehrtätigkeit bildet den Hintergrund der Fachgebiete, die ihrerseits Gelenke der Forschungstätigkeit sind.

Die beiden Funktionen sind, obgleich durch ein Verhältnis gegenseitiger Notwendigkeit verbunden, voneinander verschieden. Man könnte sich ja auch kaum vorstellen, dass die Lehre die Forschung verstehen würde, wie dies bisher in den Architekturfakultäten der Fall war. Ein Unterricht kann, wenn er auch noch so praktisch ausgeformt ist, nicht das der Forschung eigene Streben nach Durchdringung und Entdeckung besitzen. Man, kann sich auch schwerlich vorstellen, dass die Forschung Bestandteile der Lehre enthalten könnte, wie an der im vorhergehenden Kapitel beschriebenen Fakultät vermutet wurde, da es unmöglich ist, Forschung zu betreiben, wenn man nicht im Besitze der technischen und methodologischen Instrumente ist, die die systematische Erforschung eines Fachgebietes erlauben. Zur Entwicklung der operativen Forschung braucht man die Mathematik, zur Erforschung der semantischen Umwandlung eines Stadtgewebes braucht man die Architekturgeschichte, zur technologischen Forschung braucht man Kenntnisse über ^ie Natur und das Verhalten der Stoffe, zur Forschung auf dem Gebiet der Projekte braucht man Mittel, die die Darstellung und Vermittlung von Ideen möglich machen, usw.

Ein ständig überprüftes Lehrskelett würde die zur Bildung einer für die Forschungsarbeit notwendige kulturelle Basis liefern.

Sie müsste ümfassend, von erster Hand und möglichst hohem Niveau sein. Sie müsste innerhalb der Fakultät alle zur Architektur gehörenden Gebiete enthalten und sich auch auf andere Fakultäten und die ihnen eigenen Tätigkeiten ausdehnen, jedoch in direkter oder indirekter Berührung mit dem Architekturunterricht. Denn es gibt wirklich nichts Idiotischeres, als den Architekten einen Rabattmathematikunterricht zu geben, da es ja nur eine einzige Art von Mathematik gibt. Man lehrt sie schon in den wissenschaftlichen Fakultäten auf ihrem höchsten Niveau; die Bauwissenschaft wird ja bereits in der korrektesten Weise an den Bauingenieurschulen angepackt; dieselbe Beobachtung gilt für Soziologie und Wirtschaft, die vor kur54

zem mit einer derartigen verderblichen Wirkung in die Architdkturfakultäten übertragen wurden, dass man sie der Übertragung einer Art «untergeordneten Städtebaues» in die soziologische oder wirtschaftliche Fakultät gleichsetzen könnte.

Aufgabe der Verwaltung wäre es, die inneren Angelegenheiten zu behandeln und Verbindungen mit der Aussenwelt herzustellen, dies in Beziehung zu den fortlaufend an die Forschungstätigkeit gestellten Ansprüchen. Die Tür bliebe allen Veränderungen, Abtrennungen, Erweiterungen und Modernisierungen offen.

Vor allem wäre der Student frei, nach seinen eigenen Bedürfnissen zu wählen und zu entscheiden ohne irgendeine andere Verpflichtung als diejenige, welche sich aus dem Bewusstsein der Lücken ergeben, die sich im Augenblick der Abfassung seines Schullebenslaufes und in der Folge heraussteilen.

So könnte die Verwaltung neben den genannten Koordinationsaufgaben die Funktion der konkreten Stimulanz der Umwandlung der Universität erfüllen.

Letztere würde sich von ihrem derzeitigen Zustand eines Konglomerats sich selbst genügender und miteinander unvereinbarlicher Fakultäten in eine offene, wechselseitige und flexible Studienschule verwandeln. Sie - wäre der Treffpunkt vielseitiger Studienmöglichkeiten, wo der Student seinen eigenen Weg verfolgen könnte. Er könnte sich von allen Klassifikationsvorurteilen, die die Einheit der Kultur sprengen, freimachen, er könnte sich aus der Sklaverei der obligatqrischen Wahlfächer befreien, sein kritischer Geist würde .schon durch die autonome und verantwortliche Wahl seines Schulganges angeregt.

Was die Forschungstätigkeit in einer Massenfakultät anbetrifft, so scheint es uns nützlich, drei Axiome aufzustellen.

Das erste besagt, dass die hier besprochene Tätigkeit durch das Zusammenarbeiten zahlreicher Forschungsgruppen zustande kommt. Das bedeutet, dass das Ausmass der Gruppe immer den Ansprüchen der Forschung genügen muss und dass, unabhängig von dem gerade angeführten Argument, die hauptsächliche Forderung sich an den fortwährenden und direkten Austausch von Meinungen und Erfahrungen zwischen den Mitgliedern der Gruppe richten muss. Die Behauptung, derzufolge die Forschung an einer Massenfakultät in verstreuten Gruppen geschehen muss, um einer möglichst grossen Zahl von Studenten die Möglichkeit der Teilnahme zu bieten, ist falsch. Ausserdem ist sie dann verdächtig, wenn die Gruppe von einem einzigen Professor geleitet wird, der eventuell seinen Assistenten Untergruppen anvertraut. . Das Ergebnis wird die treue Wiedergabe der traditionellen Vorlesungsbedingungen sein, was also bedeutet, dieselbe Ware mit einer anderen Aufschrift zu verkaufen.

Das zweite Axiom besagt, dass die Forschung an einer Massenuniversität in ihrer Gesamtheit einer genau festgelegten Richtung folgen muss. Es müssen die für die Universitätstätigkeit geeignetsten Themen ausgewählt werden. Die innerhalb einer Fakultät betriebene Forschung darf nicht eine zufällige Gesamtheit darstellen, sondern sie muss insgesamt auf die Erforschung einiger abstrakter oder praktischer neuralgischer Punkte gerichtet werden, die man zunächst durch heterodoxe Interpretation und dann du refi alternative Vorschläge finden müsste. Diese müssen ausreichend rigoros und explizit sein, um die verschiedenen kulturellen und politischen Verantwortlichkeiten, die die hier beschriebenen Punkte betreffen, miteinzuschliessen. Dies ist die einzig richtige Art, Forschung in Beteiligung umzugestalten. Die übrigen Methoden können gesunden Menschenverstand, Empirismus, einen Hang zum Konkreten wieders'piegeln, sie verbergen aber in Wirklichkeit ein interessiertes Einverständnis. Sie bilden im Nebel der Verwirrung Stützen zur Erhaltung des Systems.

Das dritte Axiom betrifft die Art der Forschungsleitüng und insbesondere die Art der Beziehungen, die in den Gruppen entstehen, wo Studenten und Lehrer Zusammenarbeiten. Diese Beziehungen müssen auf streng gleichberechtigter Grundlage entstehen, in dem Sinn, dass jeder Teilnehmer die gleichen Rechte und Pflichten haben muss, damit eine kollektive Arbeitskraft entfaltet werden kann. Sie kann das Ergebnis der Gedankenfrische oder der Erfahrung sein. Die Forschungstätigkeit wird somit nicht nur zu einem Skelett, das die kulturelle Entwicklung fördert, sondern auch zu einem konkreten Anlass zu nicht-autoritärem Verhalten, einem Beispiel für demokratisches Verhalten, das über die gesamte Struktur der Schule wirkt. Massenuniversität, Lehre und Forschung sind also die grundlegenden Meilensteine auf dem Weg zur Läuterung. Die Architekturfakultät hat begonnen, sie zunächst entschlossen, dann mit einiger Unsicherheit zu passieren. Letztere hat ihre Ursache in der Zweideutigkeit des Dialogs, den die Studenten ihrerseits mit einem sicheren Gefühl für Realitäten wiederaufgenommen haben, ohne die Gewissheit jedoch, ihn von allen jenen obskuren Vorbehalten, die ein permanentes Unverständnis verursachten, befreien zu können.

Widersprüche in der italienischen Architektur Die Studenten drängen al§o auf die Erneuerung der Architektur durch eine intensivere Beteiligung an der Umwandlung der gesellschaftlichen Strukturen. Auf der anderen Seite offenbart sich ein Ablenkungsversuch nach einer als reine (und nicht infizierte) Kunst betrachteten Architektur und einer Archi-

tekturschule, die Kunstakademie sein soll. Die angenehme Entehrung im Schutze der Vulgaritäten der Wirklichkeit erscheint also mit anderen Worten wieder an der Oberfläche.

Das tiefere Wesen der Architektur ist viel komplexer als der vorgeschlagene akademische Winterschlaf. Die Probleme des physischen Milieus sind für den Fortschritt in der Welt ausschlaggebend geworden. Bei keiner wirtschaftlichen oder sozialen Plifnungshandlung kann länger von der Struktur und den Formen des physischen Milieus abgesehen werden.

Aus diesem Grunde entstand - nach der Vorlage der Architektur - der Städtebau, die Wissenschaft von den strukturellen und formellen Veränderungen des Landes. Aus dem gleichen Grunde wurde die Industriegestaltung geschaffen, die Wissenschaft von der Massenproduktion

von Gegenständen, die, im Besitz des Landes, zu seiner Umwandlung beitragen. Der Wirkungskreis der Architektur wurde ungeheuer erweitert, weshalb es in Zukunft spezifischer Kompetenzen bedarf, die den verfolgten Zielen und den verwendeten Instrumenten entsprechen.

Es braucht besonders neue Wertskalen und neue kulturelle Strukturen, die überholte ideologische Vorurteile vernichten, auf die sich die Architektur und die Gesellschaft weiterhin stützen.

Die grosse Revolution, die sich heute in der Welt abzeichnet, berührt die Gesamtheit der menschlichen Beziehungen, unter technologischen Korrelationen, die fähig sind, das Verhalten der Menschen gegenüber den Dingen zu verwandeln, und sie erfordert neue Teilnehmergruppen, die die Systeme durch ihre Kritik zerlegen. Diese Revolution findet

die italienische Architektur unvorbereitet.

Wie in der vorindustriellen Epoche, verwandelt sich die Furcht, eine verantwortungsvolle und engagierte Rolle zu spielen, in eine Reihe von Stürmen im Wasserglas der starren äusseren Form.

Die Revolte der Architekturstudenten brach aufgrund der Feststellung dieses Tatbestandes aus. Wenn sie hier früher als anderswo ausbrach, so weil hier die Zukunft noch unsicherer aussah. Wenn sie hier grösseren Schwierigkeiten ( begegnete, so weil die Mystifikation grösser war.

Es ist schwierig heute, die kommende Entwicklung vorauszusehen, da die Lage sich noch nicht stabilisiert hat. Wir können nur feststellen, dass das Gericht begonnen hat, und die Pyramide vielleicht noch umgestürzt werden kann.

anderen Gruppen, unter wirtschaftlich geregeltenFormen,offen: In Italien sind die ewigen Streitigkeiten zwischen Ingenieuren und Geometern, Ärzten und Dentisten, Doktoren der Betriebswirtschaft und Buchhaltern typisch dafür.

Kunst und Handwerk - Maler und Dichter, Schuhmacher und Schneider - entgehen dieser Berufsregel. Gerade weil weder Leben/noch menschliche Sicherheit (hauptsächliches Anliegen des Gesetzgebers) in Gefahr sind und weil das künstlerische Wesen, das jeder auf seine Weise beurteilt und interpretiert, nicht gesetzlich festlegbar ist. Die Kunst unterscheidet sich von anderen Berufen durch das Erscheinen einer neuen Gruppe: die Kritiker. Der Kritiker, nicht notwendigerweise Schneider, wenn es um Mode geht, oder Dichter in Fragen der Poesie, besitzt das Vertrauen eines Grossteiles der Gesellschaft und hat den Auftrag, Werturteile abzugeben, um auf dem Gebiet, auf dem seine Kompetenz besonders anerkannt ist, die «Guten» und die «Schlechten» zu bezeichnen. Innerhalb des Berufes wird das Erscheinen des Kritikers als lästig betrachtet: Ein Arzt wird kaum damit einverstanden sein, auf seinem Fachgebiet von einem Nicht-Arzt beurteilt zu werden.

Die Verschmelzung der Ausbildung für Bauingenieure und Künstler-Architekten war vom technischen Standpunkt aus richtig und verschaffte dem italienischen Architekten ein ungeheures Prestige. Aber diese doppelte Eigenschaft als Berufsmann und Künstler hat ihm offensichtlich nicht nur doppelte Rechte, sondern auch doppelte Pflichten eingebracht.

Solange alles gut ging, genoss der Architekt privilegierte Berufsbedingungen. In der’ Folgezeit aber, als die architektonischen und städtebaulichen Fehler sich häuften, kamen die Angriffe von zwei

Fronten, und der Architekt wurde zum Sündenbock für alle Übel, die unsere Städte plagen.

Der Architekt ist sich dieser negativen Reaktion der Gesellschaft recht spät bewusst geworden, einer Reaktion, die zum grossen Teil eine Folge der Umwandlung des alten patronalen Kapitalismus in Neokapitalismus, der das Verhältnis Architekt-Gesellschaft beträchtlich beeinflusste, war. Der Berufsmensch, der zunächst voh der Gesellschaft einen Gesamtauftrag erhalten hatte, fand sich nun verschiedenen Machtgruppen ausgeliefert. Sein Schicksal hängt nun von politischen Parteien, Immobilienspekulanten, der öffentlichen Verwaltung und den Leitern der Bauunternehmen ab.

i Diese schränken in Wirklichkeit nicht nur die Freiheit des Architekten ein, sondern verursachen darüber hinaus den Prozess des sozialen Abstieges, der den Architekten zum Lohnempfänger macht.

Die Architekturstudenten haben sehr wohl verstanden,- dass die neokapitalistische Gesellschaft den Architekten in dem Masse duldet, in dem sie seine grosse Arbeitskraft ausnützen kann. Sie drängt ihn aber allmählich in eine untergeordnete Stellung. Einige Klauseln des Vertrages haben sich hingegen erhalten: Der italienische Architekt zahlt im Vergleich zu anderen Berufsgruppen das Zehnfache an Steuern. Ein weiterer Anlass zur Verbitterung unter den jungen Architekten.

Die Studenten sind sich der Falle bewusst, in die sie, einmal diplomiert, fallen werden. Sie revoltieren also gegen die einzige gegnerische Partei, die sich ihnen bietet: die' Universität. Viele betrachten den Kommunismus als den einzigen Heilsweg.

Diejenigen aber, die die Geschichte kennet) (sie sind unglücklicherweise wenig zahlreich), wissen sehr wohl, dass die

Giovanni Klaus Koenig Die Architektenausbildung in Italien Einer der hauptsächlichen Gründe für die führende Rolle der italienischen Architekturstudenten in den Studentenunruhen ist das - bei vielen noch unbewusste Gefühl einer recht unsicheren Zukunft.

Im Augenblick kann nicht genau gesagt werden, in welchem Verhältnis der Berufsarchitekt zur Gesellschaft steht und stehen wird.

Alle Berufe beruhen auf einem zwar ungeschriebenen, aber akzeptierten und geregelten Übereinkommen zwischen dem Berufsausüber und der Gesellschaft, die einer Gruppe von Individuen die ausschliessliché Ausübung eines Berufes gewährt, mit genau festgelegten Rechten und Pflichten. Zu den Pflichten des Arztes, Apothekers, Advokaten, Notars, Ingenieurs usw. gehören die Schweigepflicht, die Verpflichtung, aus seiner Stellung keinen Profit zu ziehen, ein anständiges soziales Verhalten, ständige fachliche Information, zuletzt die Pflicht, seiner Arbeitskraft keine Grenzen zu setzen.

Als Gegenleistung erhält der Berufsäusüber ein grosses und ausschliessliches Privileg, da immer nur Ärzte über Ärzte und Advokaten über Advokaten richten werden. Dies gilt für alle Berufsgruppen; es beginnt in der Universität, an die die bedeutendsten Vertreter als Lehrer berufen werden.

Von diesem Gewebe sozialer Beziehungen; die Sandro Girannini in seinem Essay «De Profundis» einer tiefgehenden Analyse unterzogen hat, hängt das Gleichgewicht eines Berufes ab. Wenn eine bestimmte Berufsgruppe ihre Aufgaben nicht erfüllt, entweder durch übertriebene wirtschaftliche Ansprüche oder durch Verschlechterung ihrer technischen Fähigkeiten, so reagiert die Gesellschaft mit Beschneidung der Privilegien. Die Ausübung des Berufes steht dann auch

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sozialistische Gesellschaft in Wirklichkeit nicht daran denkt, den Architekten die Freiheit zu geben, die sie verlangen. Lenin bekämpfte nur die Auswüchse der russischen Bürokratie. Die kleinen Beamten, schworen sie dem neuen Regime nur Treue, blieben ungeschoren. Aber Lenin und Trotzki handelten erbarmungslos gegen die freien Berufe (Dr. Schiwago bezeugt es) als die Träger jener individuellen Freiheit, die es zu vernichten galt, um die Vision der vollständig kommunistischen Welt zu errichten. Die kommunistische Gesellschaft integriert den Architekten total. Auch die Dekane der Fakultäten von Moskau, Warschau, Prag und Belgrad tun sich schwer daran, die erwachenden Gemüter der Architekturstudenten zu beruhigen, denen es in der Tat nicht gefällt, bei allen Entscheidungen dem politischen und administrativen Apparat gehorchen zu müssen. Die Erlangung der formellen Freiheit nach Jahren der stalinistischen Reaktion schien ein Traum. Zehn Jahre später merkte man, dass sie nicht das einzig Wichtige ist, denn die grossen Entscheidungen werden auf dem Gebiet des Städtebaus getroffen, und hier ist auch weiterhin die Partei höchster Vollstrecker des Volkswillens Architekten und Architekturstudenten richten folglich heute sowohl an die neokapitalistische wie an die sozialistische Gesellschaft die ständige Bitte um Macht.

Sie scheint durch den schlechten Gebrauch, den die Gesellschaft beinahe überall vom städtischen Boden macht, gerechtfertigt. Es ist aber absurd, ein derartiges Ansuchen durch die Verwendung von Gewalt zu legitimieren oder - weit schlimmer noch - durch den Versuch, Diplome durch ein Minimum an Arbeitsaufwand zu erhalten. Es genügt nicht, den schlechten' Gebrauch einer Macht zu kritisieren, um sie selbst zu erhalten, man muss auch glaubhaft machen können, dass man sie verdient.

Und die Architektenklasse muss, wenn sie von der Gesellschaft eine Machterweiterung erhalten will, irgendein konkretes Projekt vorlegen, das ein neues und besseres Bild der Gesellschaft entwirft.

Unglücklicherweise haben sich die Fehler und Rückschläge in Italien während der letzten zwanzig Jahre besonders im Städtebau unaufhörlich gehäuft; und die seltenen Versuche, aus dieser Lage; herauszukommen, begegneten unüberwindl ichen Schwierigkeiten, die auf die Person des Architekten ein schlechtes Licht warfen.

Auch die Studentenunruhen kamen vor der Schaffung irgendeines positiven Pro-r jektes und verwandelten sich in ein Bestreben, absurde Erleichterungen im Studiengang zu erhalten; in Wirklichkeit resultierten sie in einer weiteren Herabsetzung der Person des Architekten in der öffentlichen Meinung.

Falls sich die Architekten und Architekturstudenten nicht dazu entschliessen, zu geben, bevor sie irgend etwas fordern, laufen sie Gefahr, von der Gesellschaft ausgeschlossen' zu werden. Ohne Bedingungen zu geben bedeutet jedoch, etwas zu riskieren, und die grösste Gefahr liegt

darin, dass die Studenten, die sich revolutionär nennen, unbewusst den anthropologischen Charakter der Konsumkultur, die sie zu bekämpfen vorgeben, angenommen haben. Sie, die keinen Finger rühren, ohne ein genaues wirtschaftliches Kalkül ihres Kampfes zu machen, verabscheuen Risiko und Entscheidungen, die nicht einstimmig gefasst wurden. Keiner rührt sich, wenn er sich nicht von einer Machtgruppe gedeckt weiss, und in den Studentenversammlungen übertrifft der Geschmack für «Korridormanöver», für juristische Schikanen und die organisierte Zerstörung bei weitem das Interesse für Reformvorschläge.

Die zukünftigen Beziehungen zwischen Architekt und Gesellschaft sehen düster aus; den immer weiter gesteckten Forderungen entspricht eine immer geringere Bereitwilligkeit von seiten der Gesellschaft, dem Architekten eine wirkliche Entscheidungsgewalt über die Zukunft des Menschen zu gewähren. Leider sehen wir nicht, wie die Studentenbewegung, die in anderen Fakultäten in positiver, entscheidender Weise zur Erneuerung der italienischen Universität beiträgt, ein plausibles Bild von der neuen Persönlichkeit des Architekten entwerfen könnte.

Ich bin mit Giancarlo de Carlo der Ansicht, dass «die grosse Revolution, die sich in der Welt abzeichnet, die italienische Architektur wieder einmal unvorbereitet findet».

Die aktuelle Stadtkrise beruht in dem Sichbewusstwerden der Regierungsagenturen und unzufriedenen Minderheiten, dass Amerika die hässlichsten, unbewohnbarsten Städte der Erde besitzt - ein Erbe der Wirtschaft «boom and bust» des 19. Jahrhunderts. Die Minderheiten, vor allem Schwarze und Portorikaner, erkannten, dass eine Flucht aus den Elendsvierteln in die Vorstadtgebiete durch Vorurteile und hohe Steuern unmöglich war. Der Sündenbock, auf welchen Verwaltungsbeamte, Bewohner der Elendsviertel die Symptome der Stadtkrise abwälzten, war die Architektur. Für die neuen Gemeinschaften wurde die Kunst, Gebäude zu entwerfen, Sinnbild einer veralteten Gewaltherrschaft. William Morris hatte dies 8Ö Jahre früher «den schmutzigen Luxus der Reichen» bezeichnet. Das Wort Architektur, das 5000 Jahre zuvor ein erhabener, allgemein respektierter Begriff war, wurde ersetzt durch :

ten und Bauingenieuren gelöst werden soll.

Auf der einen Seite hat die Regierung die Mittel, neue Baupläne und Methoden zu experimentieren. Diese haben jedoch die ärgerliche Eigenschaft, nie das Tageslicht zu erblicken. Auf der andern Seite kann die Regierung ein grosses Bebauungsschema, das von Architekten, die den historischen Charakter ihrer Stadt verstehen, erarbeitet wurde, ablehnen und es durch einen Standardplan mit einem Minimum an Kosten und einem Maximum an Gewinn zugunsten jener, die den Ort im Namen der Regierung bebauen, ersetzen. Der Fall des Projektes der Unterstadt Manhattans gegenüber dem Fluss ist ein tragisches Beispiel hierfür.

Planungsbüros und für die Lösung spezieller Probleme vollkommen unzuständige Bürgergesellschaften haben im soziologischen Zwiegespräch, das die Neuplanung der Stadtviertel immer mehr ablehnt, Zuflucht gefunden.

Zahlreiche Konferenzen, die gewöhnlich in Massachusetts (Forschungs- und elektronisches Anwendungszentrum) stattfinden, Millionen von Dollars, die den

Sibyl Moholy-Nagy Amerika und die städtische Krise In der Planwirtschaft sowie in der Bebauungsplanung der physischen Umwelt lautet die allgemeine Parole: Städtische Krise In den erkrankten Städten wird von Gruppen, die daran interessiert sind, die «elfte Stunde» zu verlängern mit Beharrlichkeit eine Art Notzustand aufrechterhalten. Diese blühende Krise der Praktiker berührt hauptsächlich drei Gruppen: die Städtebauer, t die Spekulanten und die Bauingenieure.

Ihr wachsender Einfluss ist das direkte Ergebnis des historischen Vorgangs, der die amerikanische Stadt geformt hat. Alle bedeutenden Städte wurden unter einem einzigen Gesichtspunkt geplant, demjenigen, «die beste Weise, Immobilien zu kaufen und zu verkaufen, zu fördern», wie es 1811 Kasimir Goerk, der Stadtbaumeister New Yorks, ausgedrückt hat.

In der Architektur gab es keine natürliche Stilentwicklung, die ein dauerhaftes Andenken an eine kulturelle Entwicklung schafft.

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Städtebau des Jahres 2000 Zeitpunkt, zu welchem die städtische Krise von den Städtebauern, Spekulan-

«Städtebauern-Elektronenrechnern» von der Ford-Stiftung und der Regierung zur Verfügung gestellt werden, sowie eine Lawine von Graphiken und Diagrammen, die die städtische Krise zu einem abstrakten Symbol machen, beschäftigen die «Spezialkräfte» in allen bedeutenden amerikanischen Städten.

Obwohl die Soziologie und die Elektronik gegensätzliche Anschauungen haben über das Mittel, das Gemeinleben Amerikas zu sichern, haben sie jedoch einen entscheidenden gemeinsamen Nenner. Beide legen klar, dass die kleinste Wohnungsfläche 'für die grösste Menschenzahl die Hauptsache ist, was es für eine glückliche Zukunft der Städte und Bürger braucht.

Aber die wettbewerbliche Gewinnwirtschaft der freien Unternehmen untersagt jegliche revolutionäre Neuplanung, die auf dieGrundstückspeku lation übergreift, sowohl auch jegliche revolutionäre Architektur, deren Kosten die errechneten Gewinne überschreiten.

\ Der Spekulant hegt den gleichen Traüm wie die Mehrzahl der Amerikaner des Mittelstandes - deren Eltern Immigranten waren - nämlich, dass «die Freude am eigenen Heim» ein Sklavenleben, das vom Abzahlen der Hypothekenschulden bestimmt ist, wert ist. Um der städtischen

Überfüllung zu entrinnen, werden jedes Jahr Tausende von Morgen anbaubarer Erde mit schrullenhaften Imitationen mittelalterlicher Häuser, mit Scheindörfern und neuen Siedlungen bedeckt.

Die Bewohner führen dort eine neuartige Getto-Existenz, von jeglichem Kontakt mit anderen Einkommens- und Kulturgruppen abgeschnitten, vom gleichen Warenhaus gekleidet und versorgt, von demselben Fernsehprogramm unterhalten.

Auf den billigsten Grundstücken der Aussenbezirke erheben sich «Lefrak»und «Genossenschaftssiedlungen», eine Anhäufung der billigsten Art von Hochhäusern, die die Bewohner der alten Strassen der Altstadt anziehen.

Unter dem eisernen Gesetz des maximalen Gewinns mit minimaler Investierung haben die Spekulanten - um sie selbst zu zitieren - «keine Zeit, üher solch unbedeutende Dinge wie das ästhetische Planen zu verhandeln». Für die teureren Bürowolkenkratzer werden bekannte Funktionalisten der alten Garde als «Planungsberater» angestellt, um den Standardbauten ein gewisses Prestige zu verleihen.

Was die derzeitige amerikanische Krise von allen vorhergehenden unterscheidet,

ist der totale Ausschluss des Architekten von jeglicher praktischen Lösung. Während ganze Flächen dem Meistbietenden zur Bebauung verkauft werden, widmen die Architekten unberechenbare Summen von Geld und Zeit für Bebauungspläne von hoher Qualität, die jedoch nie ausgeführt werden, weil sie so abgeändert werden, dass nichts von der Originalidee übrigbleibt.

Die Frage ist folgende: Wie lange kann eine grosse, reiche und kultivierte Nation von der Behauptung zum Narren gehalten werden, dass die städtische Krise von jenen Berufen gelöst werden muss, die sie fort bestehen lassen, d. h. dem Städtebauer, dem Spekulanten und dem Bauingenieur?

Wie lange wird das tatenlose Zuschauen, das Fiasko und das Verderben andauern? Die grösste Hoffnung auf einen Wechsel, auf ein Erwachen und ein Zurückfinden zum Architekten, um die menschliche Umwelt zu gestalten, beruht in der Studentengeneration und ihren Lehrern. Es steht ihrem Gewissen und ihren Fähigkeiten zu, Amerika zu einer Annahme des Satzes Le Corbusiers zu erziehen : «Allein der Architekt kann das Gleichgewicht zwischen dem Menschen und seiner Umwelt finden».

Da es heute unmöglich ist, sich ein vollständiges Fachwissen anzueignen, muss der Architekt yor allem eine Schöpfungsmethode, eine räumliche Denkfähigkeit, genügend Kenntnisse über verschiedene Lehrgebiete und Künste besitzen, kurz gesagt, er braucht eine breite Bildung.

Dagegen verlangt man von ihm kein universales Wissen mehr, sondern, da er in Gruppen arbeitet, einen gewissen Vorrat an genauen, ständig erweiterten und revidierten Kenntnissen.

Die Bewältigung des so gewaltig angeschwollenen Lehrstoffes wird in gewissem Masse durch* die Verwendung neuer pädagogischer Hilfsmittel, wie zum Beispiel dem in Elektronengehirnen programmierten Unterricht, erleichtert. Eine der wichtigsten Veränderungen der letzten Jahre war die Errichtung von Spezialfakultäten für Städtebau, Wohnform, Kultur- und Serviceeinrichtungen, für Industriearchitektur undLandwirtschaftsbau. Dass es möglich ist, eine besondere Fakultät besucht zu haben und dennoch Architekt im weitesten Sinne des Wortes zu sein, beweist das Beispiel von jungen Menschen, die nach Abschluss der Moskauer Städtebaufakultät eine Studie über Probleme des hohen Nordens ausgeführt haben. Ein bedeutender Faktor in der zukünftigen Ausformung der Architektenausbildung wird die engere Verbindung von Unterricht, Forschung und Experiment, von Lehrern und Studenten gemeinsam unternommen, bilden.

Als Beispiel hierzu kann eine Diplomarbeit über den Bau einer unterirdischen Stadt im hohen Norden genannt werden, in der neben rein architektonischen Fragen auch Aspekte der Psychologie und Soziologie, des Transports und Klimas berührt wurden.

Die Entwicklung der Architekturausbildung wird in der Öffentlichkeit mit grossem Interesse verfolgt. Alljährlich versammelt sich das Präsidium der Union sowjetischer Architekten in einer der 36 Städte, in denen sich bedeutende Architekturfakultäten befinden, um die besten Studentenarbeiten zu prüfen und zu prämiieren.

Die soziale Promotion des Architekten und die für die Ausbildung der Spezialisten von morgen niedergelegte Arbeit eröffnen ausgezeichnete Perspektiven auf das Bauprogramm der UdSSR und die Zukunft unserer Architekten.

Vladimir Bielooussov Entwicklung der Ausbildung und Stellung des Architekten in der UdSSR Die ungeheuer grosse Bautätigkeit in der UdSSR, die nahezu jede Stadt und jedes Dorf umfasst und die Verwirklichung so umfangreicher Projekte wie die Erschliessung des hohen Nordens, Sibiriens, Zentralasiens und des Fernen Ostens miteinschliesst, leidet, trotz ausgezeichneten Arbeitsbedingungen und Berufsaussichten, unter dem Mangel an Architekten.

Die Arbeit des Architekten ist unlöslich mit dem Streben der Nation verbunden.

Er hat die Aufgabe, Veränderungen in der Gestaltung der Städte und der Wohnungen, die sich aus wissenschaftlichen, technischen un0 gesellschaftlichen Veränderungen ergeben, vorherzusehen, vorzubereiten und durci.^uführen.

Der Architekt ist also mehr als ein Schöpfer, er ist ein öffentlicher Mensch.

Seine Arbeit wird nur dann wertvoll sein, wenn er es versteht, ein rationelles Konzept mit dem technischen und ästhetischen Ausdruck eines hohen Berufsniveaus zu präsentieren, d. h., dass der Berufsmensch sich in einen Denker, der darüber hinaus Künstler, Ingenieur, Organisator und Propagandist ist, verwandeln muss.

Daher wird in der Sowjetunion den ideologischen Aspekten seiner Ausbn-.

dung grosse Aufmerksamkeit gewidmet.

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Carlos de Miguel Die Entwicklung der Stellung und damit der Ausbildung des Architekten 1. Allgemeines

Die zweite- Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts bedeutet unbestreitbar das Ende einer Epoche und den Beginn eines neuenAbschnittes in unserer Geschichte. Dazu tragen folgende Gründe bei : - Die beiden Weltkriege haben einige Lücken im sogenannten Gleichgewicht der Völker zutage gebracht.

- Die soziale Revolution und ihre Folgeerscheinung, der Aufschwung der grossen Arbeitermassen .zu einer Klasse erster Bedeutung auf der Weltbühne.

- Die technologische Revolution mit ihren unglaublichen Fortschritten auf allen Gebieten der Wissenschaft.

2. Die Stellung des Architekten

Unter diesen Umständen ist es klar, dass die Stellung des Architekten sowohl in Spanien wie auch anderswo sich radikal verändert hat. Der Architekt sah sich gezwungen, seinen individualistischen Standpunkt zugunsten der Teamarbeit aufzugeben, der einzigen Arbeitsweise, die eine Aussicht bietet, Lösungen für immer komplexere Probleme funktioneller, technischer, wirtschaftlicher und ästhetischer Art zu finden.

3. Der Architekturunterricht in Spanien

Nicht weniger offensichtlich ist es, dass die Lehrgrundlagen der Architektur vollkommen neu überdacht werden müssen.

An den spanischen Architektùrschulen sind seit einigen Jahren Erneuerungsversuche in diesem Sinne im Gang. Die folgenden Ausführungen sollen dem Leser die wesentlichen in unserem Lande angewendeten Methoden vorstellen.

Spanien besitzt zwei Architekturschulen, die in vollem Betrieb sind : in Madrid, im Jahre 1843 eröffnet, und in Barcelona, aus dem Jahre 1875 stammend. Die Fakultäten von Sevilla und Valencia wurden erst vor einigen Jahren eröffnet. Darüber hinaus bestehen Projekte im Zusammenhang mit anderen Städten. Alle diese Einrichtungen unterstehen dem Ministerium für Erziehung und Wissenschaft.

Die vom Opus Dei in Pamplona betriebene Schule weist einen besonderen Charakter auf, ihr Diplom wird jedoch vom Staat anerkannt.

Die nachstehenden Aufstellungen gelten für Madrid und Barcelona, da diese Schulen aktiver sind und grössere Erfahrung besitzen.

3.1. Dei1 Lehrkörper

Er setzt sich aus Professoren, stellver- tretenden oder ausserordentlichen Professoren, Lehrern, Hilfslehrern und Assistenten zusammen. Erstgenannte werden im Anschluss an Konkurrenzprüfungen auf Lebenszeit ernannt, alle übrigen Lehrkräfte wählt die Schule direkt.

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Das Personal der Madrider Schule setzte sich im Jahre 1968 aus 24 Professoren, 12 Adjunkten, 284 Dozenten und Assistenten zusammen.

3.2. Studentenzahl

Nachstehend die Zahlen für Madrid, wobei im Falle Barcelonas mit ungefähr der Hälfte zu rechnen ist : Erstes Jahr (Auswahl) 1800 Zweites Jahr (Auswahl) 440 Drittes Jahr 80 Viertes Jahr 95 Fünftes Jahr 100 Insgesamt 2510 Die Herkunft dieser jungen Leute setzt sich gebietsweise wie folgt zusammen : a) Madrid • 49% Ausserhalb 51 % b) Barcelona 54 % Ausserhalb 46 % Aus dieser Statistik wird ein Übergewicht der Stadtbewohner ersichtlich, was vermuten lässt, dass gewisse Talente sich aus materiellen Gründen nicht eijtfalten können.

Gesellschaftsschichten Madrid Barcelona

Söhne von Architekten oder anderen.

20% Akademikern 18% Söhne von Geschäftsleuten oder Unternehmern 45% 59% Söhne von Beamten 32% oder Angestellten 21% Arbeitersöhne 3% 2% Diese Verteilung ist offenkundig bedauerlich und beweist sehr gut die Unzulänglichkeiten unserer Gesellschaft.

Wer bezahlt das Studium ?

Madrid Barcelona

Familie Durch eigene Erwerbstätigkeit Staatshilfe

90%

83%

16 % 9%

25 % 7%

Interesse an der heutigen Architektur Madrid Barcelona

Spanien Skandinavien Japan USA Italien Frankreich England UdSSR A. Aalto Le Corbusier Mies van der Rohe Gropius Kahn Tange

290 244 206 171 158 125 104 57 295 250 243 152 124 113

301 173 223 177 268 128 116 43 214 272 176 119 140 142

Bei der Einteilung der Länder und Architekten sind wir von der Spalte «Madrid» ausgegangen, aber der Leser wird den Unterschied zu «Barcelona» von sich aus bemerken. Diese Untersuchung wurde vom Architekten Frederico Correa in den Jahren 1964/65 durchgeführt. Um absolute Gültigkeit zu besitzen, müsste sie von Jahr zu Jahr wiederholt werden.

Dennoch können wir einige Tendenzen aufzeigen :~~ - Le Corbusier stösst auf beträchtliches Interesse.

- Das grosse Interesse, das die Studenten Barcelonas an der italienischen und die Studenten Madrids an der skandinavischen Architektur haben.

- Das Interesse der Madrider an Mies van der Rohe, obwohl dieser einige seiner bedeutendsten Werke in Barcelona gebaut hat.

- Ein beinahe völliges Desinteresse an der russischen Architektur.

3.3. Zeitplan

Die Vorlesungen finden vom 1. Oktober bis Ende Juni statt, darin sind die Prüfungen eingerechnet. Bei Nichtbestehen können sich die Studenten im September zu erneuter Prüfung anmelden. Es gibt zwei Ferienperioden, drei Wochen an Ostern und zwei an Weihnachten.

Studenten, die während ihres Studiums arbeiten

3.4. Reformprojekte Madrid Barcelona

Bei Architekten 30% In Konstruktionsbüros 10% Als Nachhilfelehrer 18%

49% 36% 23%

Häufigkeit des Vorlesungsbesuches

Im Durchschnitt 50%. Während der ersten Jahre liegt der Prozentsatz bei 65%, wonach er abnimmt, eben weil die meisten Studenten zu arbeiten beginnen.

Fremdsprachenkenntnisse unter den Studenten Madrid Barcelona

Französisch Englisch Deutsch

65% 28% 4%

83% 30% 5%

Die bereits durchgeführten Reformen berührten die Studienorganisation, z. B.

im Hinblick auf die Zahl der Studienjahre. Bis 1957 war ein vorbereitendes Praktikum ausserhalb der Schule vorgeschrieben, auf das sechs Jahre Studium folgten. 1957 wurde das Praktikum abgeschafft und ein neues System mit sieben Studienjahren, darunter zwei «Auswahl»und fünf darauffolgende Jahre, eingeführt. Infolgedessen ergoss sich eine Lawine von Studenten über die Architekturfakultäten; in Madrid erhöhte sich ihre Zahl von 150 im Jahre 1947 auf 500 im Jahre 1957 und danach auf ungefähr 2000 im Jahre 1968. Aus diesem Grunde

wurde 1960 die Zahl der Studienjahre auf fünf begrenzt, darunter zwei «Auswahl»und drei «Projektjahre».

umgehende Lösung, gleichzeitig müssen zukünftige Systeme ausgearbbitet werden.

In diesem Sinne beschäftigt man sich zurzeit mit der Ausarbeitung neuer Pläne.

Der Student, der sein Studium mit Erfolg beendet, erhält den Titel Architekt, der es ihm gestattet, der offiziellen Architektenkammer anzugehören und folglich seinen Beruf auszuüben.

In Anbetracht der Tatsache,- dass die Arbeit des Architekten sich von früher radikal unterscheidet, ist die Ausbildung

Von wesentlicher Bedeutung. Misslingt uns ihre Veränderung, so werden zukünftige Architektengenerationen nicht zur Erfüllung ihrer Aufgaben fähig sein.

Es mu^j also im Interesse aller eingestanden werden, dass eine vollständige Revision der Unterrichtsmethoden unumgänglich ist. Sie kann nur in einem •offenen und loyalen Geist der Zusammenarbeit aller Beteiligten stattfinden.

Die Zeit der frucht- und wirkungslosen Kämpfe ist vorbei.. Sie müssen durch Gemeinschaftsarbeit ersetzt werden, wenn wir überleben wollen.

gliedert sind, unabhängige Schulen und verschiedene andere. Das Studienprogramm entspricht zum grössten Teil dem der englischen und amerikanischen Schulen. Die Vorlesungen sind im allgemeinen starr organisiert. Sie leiden unter mangelnder Koordination von Theo'rie und Praxis. Programm und Prüfungssystem gestatten es dem Studenten nicht, sein kreatives Können zu beweisen. Oft ist er ein guter Techniker, aber ohne einen entwickelten Teamgeist oder die Fähigkeit, in angrenzenden Berufen arbeiten zu können.

Unter der britischen Herrschaft waren Unterricht und Ausbildung dem britischen System angepasst. Europäische Architekten, wie Clude Batley, George Wittet, Herbert Baker, Edward Lutens, drückten der indischen Architektur ihren Stempel auf. Anderseits entwickelten zahlreiche Architekten einen von einheimischen Motiven beeinflussten Stil.

Diese Tendenz setzte sich auch nach der Unabhängigkeit fort. Der Einfluss Le Corbusiers und Pierre Jeannerets auf die Architektur von Chandigarh war ungeheuer gross. Zahlreiche indische Architekten setzten ihr Studium und ihre Ausbildung anderswo fort. Einige kehrten zurück, andere nicht, und dies führte zu einer langsamen «Gehirnflucht».

Auf eine Bevölkerung von 500 Millionen kann Indien ungefähr 3000 qualifizierte Architekten aufweisen. Diese Zahl ist in Wirklichkeit etwas höher, da gewisse Architekten nicht registriert sind. So kann man damit rechnen, dass auf 150000 Menschen ein Architekt kommt.

Aber es wird ein grosser Missbrauch mit dem Architektentitel getrieben. An die 2000 Ingenieure arbeiten als Architekten.

Die Vereinigung indischer Architekten hat beim Parlament eine Eingabe um Registrierung und Schutz des Titels gemacht.

Die indische Regierung ist ein bedeutender Auftraggeber, aber der Standard der Architektenarbeit ist niedrig, und die Rolle des Architekten ist wirkungslos.

Er hat nur eine untergeordnete Stellung in der administrativen und technischen Kontrolle der Projekte. Die kleinen Privatbüros liefern hierfür den besten Beweis. In den grossen Agenturen hat ein junger Architekt weniger Möglichkeiten, aber er kann dort viel lernen. Oder wie es ein Architekt ausgedrückt hat: «Es kommt vor, dass ein junger Architekt der einfache Untergeordnete eines übergeordneten Idioten ist.» Man könnte also sagen, dass der Architektenberuf in Indien sich in einem Übergangsstadium befindet.

«

grösseren Anzahl Menschen nicht zugänglich.

In England sind wir, meiner Meinung nach, Vt>n der Phase der ausschliesslichen Anfangsversuche zur «akzeptierten Vision» übergegangen. Die Phase der vollständigen Teilnahme.

Die Erfahrungen, die dieser Vision als Formel dienen, können folgendermassen aufgeteilt werden : Feststellung eins: Eine bestehende Stadt oder einen Stadtteil mit Neubauten zu füllen oder durch «Auffüllen», d. h. Haus für Haus, vollkommen wiederaufzubauen, ergibt nur ein charakterloses Durcheinander, selbst wenn der Standard der einzelnen Häuser hoch ist. (Das zeigt sich ebenso in Berlin wie in London oder Birmingham.) Feststellung zwei : Wenn der Raum einer bestehenden Stadt mit der ausdrücklichen

3.5. Probleme

Sie entstehen durch das ausserordentliche Anwachsen der Studentenzahl bei gleichbleibender Anzahl von Lehrkräften. Die für eine kleine Zahl Studenten adäquaten Unterrichtssysteme erweisen sich bei einer solchen Menge als ungenügend.

3.6. Lösungen

Einige Probleme erfordern sicherlich eine

3.7. Ausübung des Berufes

Santos Gosh Die Architektenausbildung in Indien Indien besitzt ein reiches architektonisches Erbe. Hunderte von Denkmälern, Palästen, Tempeln und Moscheen zeugen vom Beitrag der Architektur zu seiner grossen Vergangenheit. Architekten und Baumeister waren einst hochgeachtet, und ihre Ausbildung erhielten sie gemäss dem alten indischen Bildungssystem in den Werkstätten der Meister, im Ashram eines Guru. Die Regelung der Architektenausbildung und Ausübung des Berufes aber stammt aus der jüngsten Vergangenheit. Im Jahre 1896 gründete die Regierung von Bombay einen zweijährigen «Kursus für Industriezeichner» an der Sir J. J. SchooI of Arts. Im Jahre 1913 wurde dieser in eine richtige Architekturschüle verwandelt. Kalabhawan, Baroda, führte jedoch schon seit einiger Zeit Architekturvorlesungen durch.

Heute ist es möglich, ein Architekturlizentiat in Bombay, Baroda, Delhi, Roorkee, Kalkutta (Howrah), Kharagpur, Madras, Jadavpur (Kalkutta), Nagpur und Chandigarh zu erhalten und Diplomkursen in zwölf Schulen zu folgen. Nach dem Lizentiat existieren keine weiteren Vorlesungen. Gewisse Schulen führen jedoch einen weiteren Grad oder ein Diplom in Stadt- und Regionalplanung.

Indien kennt drei Schultypen: Schulen, die den Kunstgewerbeinstituten ange-

Peter Smithson Fragmentarische Utopie Einleitung

Ein Architekt beginnt, praktisch gesehen, erst dann in der Gesellschaft wirksam zu werden, wenn das Idealbild, das ihm das volle Bewusstsein der Gesellschaft vermittelt, allmählich eine konkrete und allgemein akzeptierte Form annimmt.

Ein Architekt kann in Vorwegnahme dieses Bildes gebaut und somit zu seiner Gestaltung beigetragen haben, aber bis zum Augenblick der Annahme, die ganz plötzlich kommt, baut er für sich selbst und eine Minderheit. Sein Werk ist einer

Die fragmentarische Utopie

Durch die praktischen, mit den Anstrengungen des Nachkriegsaufbaues gewonnenen Erfahrungen gibt es, glaube ich, eine «akzeptierte Vision». Die letzte derartige Vision in England war die Gartenstadt.

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Absicht, einen neuen Typ zu schaffen, neu gestaltet wurde (freier Raum, Bewegung, Parkplätze usw.), so macht man, auch auf einem so beschränkten Raum wie 350x350 Meter, einen Gewinn im Sinne der Qualität und erreicht einen aussergewöhnlichen Lebensstil. Und die Aufrechterhaltung einer formellen, hinlänglich beständigen Ausdrucksform vorherbedeutet sehr viel, auch wenn der Standard des Gebäudes (Details, Bauausführung) niedrig ist. Und es muss zugegeben werden, dass dieser Standard in England allgemein niedrig ist. Diese Beobachtung kann bei der Entwicklung der neulich erstellten GLC-Wohnungen gemacht werden, wo die formelle Ausdrucksweise bewahrt wurde, im Gegensatz zum Raum der Stag-Brauerei, wo dies nicht der Fall ist.

Feststellung drei: Die bemerkenswerten Bauten dieser letzten zwanzig Jahre besitzen, was nur mit einem einzigen Ausdruck beschrieben werden kann : eine hohe Intensität. In ihnen vermittelt sich das gefühlsmässige Engagement (der Einsatz, um ein mit einem unwiderstehlichen inneren Antrieb in nahe Übereinstimmung gebrachtes Resultat zu erhalten) von selbst. Diese Intensität scheint nicht Produkt eines Zusammenspieles verschiedener Umstände zu sein. Vielmehr kann der Erbauer oder eine für das Projekt verantwortliche Person diesen Willen zur Übereinstimmung besitzen (z. B.

Wales Build), wobei der Sinn für Begeisterung und der Einsatz von Energie Entwurf- und Baufehler aufwiegen können (wie in Feststellung eins); bisweilen ist es der Kunde oder der Architekt, der in dieser Richtung wirkt. Sowohl öffentliche Organe (d. h. British Rail, Eastern Region usw.) als auch Privatgesellschaften (wie der Economist) können Auftraggeber sein. Jeder muss in der Gesellschaft sehen

als solcher engagiert und bereit sein, im Rahmen dieser Gesellschaft zu handeln.

Geistes, wie er sich im Mädchen offenbart»).

Feststellung vier: Individuelle Bauten, auch hochintensive, können leicht fragwürdig und gleichsam zu Spielzeugen, die zum gewöhnlichen Durcheinander gehören, reduziert werden, wenn ihr spezifischer Raum und ihre Verbindungsmittel von allzu nah oder allzu entfernt stehenden Neubauten überragt oder erdrückt werden. Damit ein Gebäude einen Sinn hat (d. h. seine wahre Nützlichkeit für die Gesellschaft), damit es imstande ist, zu überleben, ist die Errichtung eines Gesamtzusammenhanges unumgänglich.

Ist dessen Aufstellung und Unverletzbarkeit mit Hilfe von Verträgen und der Raumanordnung gesichert, 'so sind unvereinbarliche Veränderungen kaum durchführbar. Eine Veränderung von Details fällt kaum ins Gewicht, im Gegensatz zu Änderungen, die das Grundsystem verwirren und sich von der Konstruktionsidee entfernen. Um das bekannteste Beispiel zu nennen : So lange Le Corbusiers Wohneinheit in Marseille neu war, war es ein leichtes, den Gedanken der Gartenstadt zu erkennen. Als eine Folge der Entwicklung der Umgebung wurde sie wieder zu einem Gebäude. Die Feststellung dieser Idee erfordert nur eine geringe Tätigkeit: die Errichtung von vier Wohneinheiten im Osten des Stadtkernes nach dem St-Dié-Plan (1945), unter Erhaltung der freien Räume und des Verbindungssystemes mit Hilfe einer energischen Gesetzgebung.

Feststellung fünf: Was unser Bewusstsein von einer Stadt oder einem Stadtteil wahrnimmt, ist gering. Wir «kennen» wahrscheinlich viele kleine Plätze und durchqueren sie im Auto oder in öffentlichen Verkehrsmitteln, wobei wir diese Orte völlig verschieden erleben (siehe Alison Smith, «Porträt des weiblichen

Die verbalen Erläuterungen zur transiRaum. Die Entwicklung des Menschen und der baulich gestalteten Umwelt hat die Verteidigung gegen die Natur als Ausgangspunkt und das Vertrautwerden mit dieser Natur als Ziel. So entwickelte sich die urbane Form des Wohnens von der befestigten Stadt zur offenen, auf das Land ausstrahlenden Stadt.

Mehr und mehr können die Elemente unserer bebauten Umgebung als Übergangselemente vom Menschen zur Existenz dienen, mit Erde, Raum, Sonne, Licht, Bewegung und Energie. Im Jahre 1924 verbreitete das von Theo van Doesburg zusammen mit Mondrian, Rietveld und anderen verfasste Manifest der Stijl-Gruppe den Gedanken: Die Gestaltung des Raumes wird nach Plänen geschehen, die imaginären Plänen im universellen Raum entsprechen.

Im Leben des Menschen werden die

gebauten Elemente mehr und mehr wie Messgeräte im universellen Raum erscheinen. Es gibt eine zwingende Verbindung zwischen der Auffassung des Menschen vom Universum und der architektonischen Ausdrucksweise. Und einen wesentlichen Bestandteil der architektonischen Entscheidung bildet die Beziehung zwischen der Auffassung vom Raum und dem räumlichen Ausdruck, den diese Auffassung durch konstruierte Elemente erhält.

Die Gesellschaft geht einer zeitlich zweigeteilten Existenz entgegen: automatisierte und unpersönliche Arbeitsstunden auf der einen Seite, Müssestunden auf der anderen. Bei dieser Freizeiti geht es darum, durch Schöpfung, Neuentdekkung, Erholung immer mehr mit der Existenz zu experimentieren. Der von Bauelementen wie Dächern und Mauern

torischen

Wahrnehmung sind an dieser

Stelle einzufügen.

Diese uns bekannten wenigen Plätze sind wir bereit, zu Fuss aufzusuchen.

Wenn wir bereit sind, sagen wir, einen halben Kilometer in einem Umkreis von einem halben Kilometer zu gehen, so haben diese kennbaren Plätze wahrscheinlich eine Ausdehnung von 300 bis 350 Metern Breite. (Diese Feststellung entspricht der unter Punkt zwei getroffenen.) Feststellung sechs: Diese erfassbaren Räume liegen uns am nächsten und berühren uns daher am tiefsten. Deshalb sollte man sich ihnen mit einem Höchstmass an Hingabe und Geld widmen. Es handelt sich also um die Umgebung der Häuser und Arbeitsplätze. Unser Erlebnis der Durchfahrtslinien und -möglichkeiten ist dagegen zeitlich sehr begrenzt, und wir haben keinerlei Verhältnis zu ihnen.

Bis jetzt haben wir unser Geld in Verkehrsanlagen investiert (z. B. das neue Scheepol und der Londoner Flughafen), und schon sind wir zur Feststellung gezwungen, dass sie überholt sind. Sie müssten geopfert und in Zukunft billig, zufällig und nicht permanent gebaut werden.

Die gegenwärtige Lage in England, die das Bewusstsein formt, führt uns zu folgenden Feststellungen : Notwendigkeit des Engagements; Schaffung und Organisation von Lebensund Arbeitsräumen, die mit Umsicht schön, geräumig und unverletzlich gestaltet sind; weniger kostspielige, leichter veränderliche Serviceeinrichtungen.

J.B. Bakema Mensch - Gesellschaft Architektur-Städtebau Der Mensch ist vor allem ein bewusstes Wesen, ein Wesen, das, laut Bergson, seine Entwicklung von einem Zustand zum anderen klar begreift. Seine vielleicht bezeichnendste Fähigkeit ist das InVerbindung-Bringen, das Vergleichen. So bringt er zum Beispiel diesen Baum hier mit der Silhouette des Dorfes am Horizont in Verbindung, die Sonne mit dem Gebirge oder das Wogen des Meeres mit der Bewegung des Sandes und dem Kontrast der Felsen. Er verbindet bewegliche Dinge mit unbeweglichen, den Verkehr mit dem Gebäude.

Der Mensch und seine Fähigkeiten befinden sich indessen in ständiger Entwicklung: Gegen die Natur, die er nicht noch nicht - versteht, sucht er im Haus, in der erbauten Umwelt Schutz. Gleichzeitig aber sucht er dén- engen Kontakt mit dieser Natur, mit dem allumfassenden 60

begrenzte Raum besitzt jedoch keine' rekreativen Funktionen. (Die derzeitigen Wohnformen haben grösstenteils keinerlei Erhol ungswert, daher wird das Wochenende zur Flucht auf den Strassen, deren Fassungsvermögen nie ausreichen wird, wenn die Wohnung keine Änderung erfährt.) Wenn ich in diesem Zusammenhang von Raum spreche, so meine ich ein und denselben Raum: ob Raum zwischen den Mauern oder zwischen den Häusern, es sind nur zwei Aspekte desselben Gedankens, derselben Erscheinung. Unsere heutigen Wohnungen sind zurrr grossen Teil keine Quelle der Erholung, sondern Hindernisse für die Entfaltung der persönlichen Initiative. Wir verwirklichen eine falsche Deutung des Gleichheitsgedankens im Sinne des Rechtes zur Verschiedenheit.

Die Stadt gleicht einem Gemälde, dessen Hintergrund die Wohnstätte für eine möglichst grosse Zahl von Menschen bildet. Ist aber der Hintergrund schlecht, so kann das Gemälde nicht durch ein spezielles Bauwerk (einige Farbtupfen) gerettet werden.

Im Jahre 1947 haben die CIAM aus der Erkenntnis der Bedürfnisse der jungen Nachkriegsarchitekten heraus den Gedanken formuliert, dass an der Schaffung einer physischen Stimmung gearbeitet werden muss, die die emotionalen und materiellen Bedürfnisse des Menschen durch Anregung seines Geistes befriedigt.

1958 hat sich das Team X in Otterlo das Ziel gesetzt, eine Architektur nach den Prinzipien der Inter-Relation der Funktionen, der Identifizierung (Gruppierung), des Wachstums und der Veränderung (Wohnung in Entwicklung) zu realisieren.

Gegenwärtig scheint mir die wesentliche Frage der Architektur darin zu bestehen : Wie muss ein Raum beschaffen sein, der Wahlmöglichkeiten bietet und der Auffassung, dem Gewissen und sogar der persönlichen geistigen Stimmung des Benutzers entspricht? Wie kann jedem Menschen eine Wohnzelle geboten werden, die im Hinblick auf das Universum seinen persönlichen Winkel bildet?

Die Freiheit, eine eigene Umgebung zu wählen, ist ein Recht, das die zukünftige Gesellschaft kennzeichnen wird. Mit architektonischen Prinzipien aber, die nur universelle Einförmigkeit verwirklichen, kann das wesentliche Bedürfnis des anonymen Kunden nach persönlicher Identifizierung im Universum nicht befriedigt werden.

Sollte eine Katastrophe wie die von Pompeji die Stadtgebiete von Amsterdam, Paris,' Warschau und Moskau mit Asche bedecken, würden die Archäologen des Jahres 2000 in den Ruinen den Ausdruck einer lebendigen demokratischen Gesellschaft erkennen? Ich glaube, wir errichten zurzeit eine Einförmigkeit, wie sie nur in Sklavengesellschaften vorkommt.

Die Architektur darf sich nicht in Gesetzen und bürokratischen Regeln verlieren. Dank der Funktion der architektonischen Form können der Gesellschaft ungeahnte räumliche Möglichkeiten erschlossen werden, die den Benutzer aus seiner erzwungenen Anonymität befreien.

Die Wohnung ist in gewissem Sinne die dritte Haut des Individuums (die Bekleidung die zweite). Diese Haut oder Hülle entspricht seiner Atmung, seinen Ambitionen, seinen Gedanken, seinem Bewusstsein und seiner eigenen Auffassung vom All.

Wenn die Erde vom Monde aus gesehen werden kann, so wird dies sicherlich für die Wohnung des Menschen im Erdraum Folgen haben.

Es handelt sich um nichts anderes als die während zwanzigjähriger Arbeit im Atelier Van den Broek und Bakema in Rotterdam entdeckten Prinzipien. Andere werden folgen; dies äber sind die Prinzipien, mit denen ich experimentiert habe und deren wichtigstes das der architektonisch-städtebaulichen Struktur ist. Man muss nämlich wissen, dass die architektonische Entscheidung bei der Programmformulierung beginnt. Hier zeigt sich die

soziale Verantwortung des Architekten, dadurch, dass sie klarmacht, dass die architektonische Form Ausdruck einer Lebenskunst sein kann. Der räumliche Umkreis gestattet dem Benutzer, Raumexperimente ohne direkte Beteiligung an der Funktion der Programme zu machen.

Der R-aumumkreis bietet die Möglichkeit, mit der räumlichen Inter-Relation einer bebauten Umgebung zu experimentieren und auf eigene Verantwortung den Augenblick des persönlichen Engagements in der Funktion zu wählen. Es ist Sache des Architekten, zusammen mit dem Kunden den Spielraum des Programmes, das es gestattet, einen solchen Umkreis zu verwirklichen, zu bestimmen.

Die Irrtümer bei der Analyse der Funktion liegen hinter uns. Sullivan hatte von 1901 an erklärt, dass alles Funktion und alles Form sei, der Bürokratismus hat aber eine falsche Reihenfolge eingeführt, indem er behauptete, dass sich die Form nach der Funktion richtet. Wir leben in einer Zeit der Ausdehnung und des Überflusses der Funktion. Durch die Formfunktion verwandeln sich die vom Programm her definierten Funktionen in Bedingungen der Lebenskunst. Mit Hilfe der Formfunktion können die grossen aus der industriellen, administrativen und städtischen Konzentration resultierenden Masse (die grossen Dimensionen) harmonisiert werden, Übergangselemente können diese Dimensionen auf das menschliche Wahrnehmungsvermögen abstimmen, das in Gefahr ist, zerstört zu werden, wenn es nicht gelingt, die grossen Masse durch kleine zu verändern.

Durch -Übergangselemente können das Milieu des Fussgängers mit dem des mächtigen mechanisierten Verkehrs in Einklang gebracht oder die Haltestellen der öffentlichen Verkehrsmittel durch Parkplatzplattformen mit den vertikalen, horizontalen und diagonalen Wegen der konstruierten Räume verbunden werden.

Die Elemente des öffentlichen Raumes, die Verkehrswege und der private Raum mit seinen Innenverbindungen werden den Maschen des (dreidimensionalen) Stadtgewebes gleichen.

Werden wir bald in einer Zeit leben, in der jede wirtschaftliche und politische Entscheidung für das Individuum nur dann von sozialem Wert ist, wenn dabei die Konsequenzen für die Verwendung des universellen Raumes berücksichtigt sind? In diesem Fall werden wir in einer Welt leben, die vom Architektur-Städtebau geregelt wird.

Künstlern und Kunstkritikern ein peinliches Gefühl der Ratlosigkeit, ja sogar der Frustration. Die grundlegende Ursache dieses weitverbreiteten Unbehagens ist immer dieselbe: der plötzliche Einschnitt

infolge der industriellen Revolution, die einerseits neue Aufnahme-, Reproduktion- und intensive Verbreitungsmittel für Kunstwerke brachte, handle es sich nun um Werke musikalischer, skulptu-

Architektur-Städtebau

Welche Grundprinzipien sind für eine lebendige und dynamische Architektur akzeptabel?

1. Innere Flexibilität.

2. Äussere Flexibilität.

3. Gruppierung in visuelle Einheiten, die sich aus den verschiedenen Wohnformen auf der Erde (unter den Bäumen), gegen den Horizont (über den Bäumen) und Übergangsformen (gegen die Bäume) zusammensetzen.

4. Geradlinige, strahlenförmige Ausdehnung der bestehenden Zentren auf das Land.

5. Dreidimensionale Strukturen, die die Kontinuität der privaten und öffentlichen Umkreise und die privaten Wohnzellen bedingen. Architektonisch-städtebauliche Strukturen.

Lucio Costa Die Kunst und das gesellschaftliche Erscheinen der Massen Mit Ausnahme des Filmes vielleicht Produkt neuer industrieller Techniken und folglich legitimer künstlerischer Ausdruck des neuen Sozialzyklus bemerkt man heute beinahe überall unter

61

raler oder literarischer Art, und ander­ Was die Bildhauerei betrifft, so bemerkt seits die während Jahrhunderten be­ man zurzeit zwei Künstlerkategorien: stehende soziale Ordnung veränderte, jene, die wissen, was Sie wollen, und indem sie ein immer breiteres, in zwei ihren Weg hartnäckig oder gelassen fortungleiche Teile zerfallendes Publikum setzen, das heisst, «die nicht suchen, aber schuf : eine Minderheit, auf der dauern­ finden», nach einem Ausdruck Picassos, den Suche nach Neuigkeiten, die man und die ungeheure Mehrzahl der «Sukünstlich überspannt und krank nennen chenden» oder «Teilnehmer», deren Akkönnte, und eine ungeheure Mehrheit, die tion nicht weniger legitim ist, handelt es sich noch ungenügend entwickelt hat und sich doch auch hierbei um wahre Künstkulturell unfähig ist, die bedeutendsten lertemperamente, aufgeschlossen, sensibel Werke der modernen Kunst zu akzep­ und leidenschaftlich.

Ich bin der Meinung, dass man, anstatt tieren.

Man muss also eingestehen, dass die diesen Künstlern ein künstliches, durch gegenwärtige Kunstkrise vor allem ein eine Gesetzgebüng der Vergünstigungen Problem wirtschaftlich-sozialer Art ist und Staatsaufträge subventioniertes Daund dass folglich die spezifischen Lösun­ sein zu ermöglichen, vielmehr Gesetze im gen, die erwogen werden können, noch Sinne ihrer obligatorischen Anwesenheit von der wie auch immer ausgeformten in allen Schulen erlassen müsste, um nicht Lösung dieses fundamentalen Problems allein den Zeichenunterricht, sondern besonders eine notwendige, grundlegende abhängen.

Daraus folgt, dass die vorühergehend Kunstkultur zu garantieren, wobei man möglichen Lösungen immer nur Not­ zu diesem Zweck auf Reproduktionen lösungen angesichts des Endresultates, und Projektionen, denen Erklärungen das das Problem in sich trägt, sein wer­ und graphische Demonstrationen folgen, den. Aber ungeachtet dieses Dringlich­ zurückgreifen muss. Und dies nicht nur keitscharakters können sie nichtsdesto­ in den Schulen, sondern auch in Fabriken weniger sehr wichtig sein, da man schon und auf Baustellen, im Versuch, die in jetzt das Gebiet a.bgrenzen und die we­ der Folge der Industrialisierung entsentlichen auf dem Spiel stehenden Werte standene Leere zwischen dem Künstler definieren könnte, um so gültige Grund­ und der Arbeiterbevölkerung zu füllen.

lagen für eine effektive Lösung zu Denn während früher Handwerker versichern, wenn einst der fruchtbare Nor­ schiedener Berufe genau wie Maler, Bildmalzustand endgültig die Verwirrung, hauer urid Architekten an der Gestaltung in der wir uns befinden, abgelöst haben des Zeitstiles teilhatten, hat .die Industriewir«J.

produktion dem Proletarier den mit den Anderseits muss auch erkannt werden, Handgriffen des Handwerks zusammendass unter den gegebenen Umständen hängenden Teil der Erfindung und nicht von einer Intensivierung der künst­ Initiative zugeschoben. So können also lerischen Produktion die Rede sein kann ; die ersichtliche Nichtigkeit der modernen es gibt bereits zu viele mittelmässige Kunst und der ihr eigene, relative SpielKünstler - Architekten, Maler, Bild­ raum für Autodidaktik wirksam zu einer hauer, Musiker und\Literaten -, die uns doppelten sozialen Funktion beitragen: mit ihren Zweifeln, ihren Ängsten oder jenen natürlichen Wunsch nach Erfinihrer Überheblichkeit langweilen und dung und freier Wahl, die dem Handderen Schöpfungen hinderlich sind ; son­ werker genommen wurde, fördern und dern es geht im Gegenteil darum, die allmählich die Distanz, die zurzeit den Intelligent der künstlerischen Tatsache Künstler vom Arbeiter trennt, verim Publikum zu intensivieren, ob man mindern.

nun an die kulturell bereits bewussten Übrigens könnte ein ungeheuer grosser Klassen denkt oder es sich um die auf­ Sektor der industriellen Planung die strebenden Massen handelt, denn die Tätigkeit der Künstler absorbieren, deren intensiv^ Industrieproduktion zwingt da­ plastische Berufung, wenn sie auch reell zu, die Probleme des individuellen Wohl­ ist, doch nicht dazu ausreicht, ein autobefindens und folglich der Kultur ins nomes künstlerisches Schaffen zu rechtAuge zu fassen. Nicht mehr in aufgrund fertigen.

der begrenzten Leistungsfähigkeit der Es handelt sich keineswegs um die künstlerischen Produktion beschränktem «dekorative» Kunst, die dem technischen Masse wie zuvor, sondern in breiter Handwerk eigen ist und nur durch Skala.

Besonderheiten und -in sehr begrenztem Das hierzu geeignete Mittel? Das ist die Masse fähig ist, zu überleben, sondern Frage. Es geht offensichtlich vor allem um die industrielle Kunst selbst, denn darum, die gegenwärtigen Normen des alle produzierten Gebrauchsgegenstände Volksschul- und Gymnasiumunterrichts - vom kleinsten bis zum grössten - haben zu überprüfen, denn hier muss ja wohl Formen, Materiale und Farben. Das begonnen werden. Nicht mit dem Ziel, funktionelle Prinzip lässt sie für eine kleine frühreife Künstler heranzuziehen, grosse plastische Bereinigung geeignet sondern in der Absicht, den Kindern und erscheinen, womit sie sich in ihrem Wesen ganz allgemein den Erwachsenen das der Architektur nähern. Hiermit sind wir Bewusstsein der künstlerischen Tatsache also bei dem für den Künstler interessanals einer normalen Lebensäusserung zu ten Thema angelangt, denn was man vermitteln.

Kunstsynthese zu nennen pflegt, sollte 62

bescheidenerweise immer hier seinen Ausgangspunkt haben.

Damit aber eine derartige Vereinigung durchführbar wird, ist es zunächst notwendig, dass die Architektur mehr junge Begabungen anzieht, da die meisten Architekturstudenten ein klägliches künstlerisches Gefühl besitzen. Auf der anderen Seite scheint mir der Gedanke, dass Maler und Bildhauer eine derartige Synthese herbeiführen könnten, verfehlt: Hört man sie reden, so könnte man glauben, dass sie sich die Architektur bisweilen als eine Art Background oder Scenario, das absichtlich für die Hervorhebung des wahren Kunstwerkes errichtet wurde, vorstellen ; oder aber, dass sie nach dner etwas szenographischen Fusion der Kunst streben, beispielsweise im Sinne des Barocks. Wichtig für die Herstellung dieser Vereinigung ist in Wirklichkeit, dass die Architektur selbst mit plastischer Gewissenhaftigkeit konzipiert und ausgeführt wird, das heisst, dass der Architekt selbst Künstler ist. Denn nur dann wird sich das plastische Werk der Maler und Bildhauer in die Gesamtheit der architektonischen Komposition als ein konstitutives, wenn auch mit einem eigenen autonomen plastischen Wert behaftetes Element einfügen können. Es geht also eher um eine Integration als um eine Synthese. Synthese trägt ja den Gedanken der Fusion in sich, aber eine solche Fusion, obgleich möglich und unter sehr speziellen Umständen sogar wünschenswert, wäre nicht der sicherste und natürlichste Weg der zeitgenössischen Architektur. Zumindest in den ersten Abschnitten, da diese verfrühte Vollendung zur frühzeitigen Dekadenz führen könnte.

Darüber könnte viel diskutiert werden, da es zahlreiche, offenbar Wohlfundierte Thesen gibt, deren Aussage aber zweideutig ist. Beispielsweise die Wandmalerei.

Während der Renaissance bildete die Mauer das wesentliche Element der Architektur, woraus sich logischerweise die Freske und andere Verfahren der Wandmalerei ergaben. Die moderne Architektur kommt aber im Notfall ohne Mauern aus; sie besteht aus einer Struktur und Wänden, die hinterher eingesetzt werderl. Die Mauer - ein sehr schönes Bauelement, das immer noch vorteilhaft verwendet werden kann - ist deswegen nicht weniger ein Zubehör der modernen Architektur, und es wäre offensichtlich unlogisch, die angestrebte Synthese auf ein überflüssiges Architekturelement zu gründen.

Ohne Zweifel wird es immer grosse Decken- und fortlaufende Wandflächen geben, die geeignet sind, in. symphonischem Sinn bemalt zu werden, genau wie grosse nach Art von Altarwänden abgesetzte Felder, aber hier handelt es sich urti ein Raumkonzept anderer Art, das man besser mit dem Namen Architekturmalerei - dasselbe gilt für die architek tonische Skulptur - bezeichnen würde, im Gegensatz zu dem, was man Raummalerei und -skulptur nennen könnte. Denn diese Kunstwerke verkleinerten Ausmasses und «intimistischer» Absicht sind nur vergängliche und somit gegenstandslose Äusserungen, wie ' man vermuten möchte. Im Gegenteil-werden sie eine um so dringlichere Notwendigkeit darstellen, als das soziale Gebot, die Errungenschaften des elementaren Komforts - den moderne Herstellungsverfahren und Massenproduktion ermöglichen - auf die grösstmögliche Zahl auszudehnen, sich verstärkt. Obgleich der Normalverbraucher angesichts der allgemeinen Verwirrung und entsetzt von den widersprüchlichen Auffassungen der Künstler selbst, die sich gegenseitig jeden Wert absprechen, es bis auf weiteres vorzieht, sich schöne Reproduktionen von Kunstwerken, die er bereits zu lieben gelernt hat, zu beschaffen, wird der Tag kommen, an dem die zeitgenössischen Werke, losgelöst von einem künstlichen Markt und allgemein zugänglich gemacht, in zahllosen, in autonomen Wohneinheiten gruppierten Heimen sehr wohl ihren Platz haben werden.

Da die gegenwärtige künstlerische Krise erwiesenermassen im Grunde nur eine Folgeerscheinung der der industriellen Revolution entsprungenen wirtschaftlichsozialen Krise ist, scheint es mir schliesslich natürlich, dass wir die Klärung dieses Vorganges - der schon mehr als ein JahrMathias Goeritz

hundert andauert - in dem einen oder nächst in der Vorweisung seines neuen anderen Sinn anstreben müssen, denn Zustandes gefällt, wird sich auch der nur dann wird die Kunst ihre normale kollektive «Neu-Reichtum» derselben Funktion in der Gesellschaft wiederauf­ Probe unterziehen müssen, bevor er nehmen können.

, diese unvermeidliche Wachstumskrise Mithin müssten alle Aktionen und jede überwinden und zur Reife gelangen kann.

Einstellung, die dazu beitragen, dieses Hierbei handelt es sich keineswegs um die wünschenswerte Endziel zu erreichen, angebliche Überlegenheit der Eliten von den Künstlern begrüsst werden, be­ gegenüber den Massen, da uns tägliche sonders von denen, die nicht an eine Erfahrungen lehren, dass die «Erleuchpolitische Ideologie gebunden sind. Wie tung» der Auserwählten der Kunst, und aber angesichts der Widersprüche unserer seien sie auch noch so einfachen UrWelt den Weg erkennen, der uns schliess­ sprungs, augenblicklich ist, während für lich zum wahren industriellen Zeitalter die Mehrheit der nichtkünstlerischen führen wird? Meiner Meinung nach ist Bevölkerung - unabhängig davon, ob sie der Vereinigungspunkt seht» einfach zu aristokratisch oder plebejisch ist - die finden: Jede Aktion, die dazu neigt, sich Achtung vor der Kunst in stufenweisen grundlegend dem Wohlbefinden und der Assimilierungsetappen geschieht. Wenn intellektuellen und sozialen Entwicklung der vorübergehende Verzicht auf künstleder Arbeitermassen entgegenzustellen, so risches Niveau der Preis ist, den wir dafür wie sie sich in Anbetracht der ausser­ zu zahlen haben, dass die soziale Gerechordentlichen Produktionskapazität der tigkeit erreicht wird - da wir bereits die modernen Industrie aufdrängt, oder diese technischen und materiellen Mittel zu Entwicklung auch nur aufzuhalten ver­ ihrer Durchführung haben -, müssen wir sucht, muss als den Interessen der Kunst darauf vorbereitet sein, ihn zu ertragen, schädlich betrachtet werden, denn sie um so mehr als diese erzwungene Fastenwürde das Erreichen des neuen, für ihre zeit unter den gegenwärtigen Umständen Entfaltung notwendigen Gleichgewichts in Fruchtbarkeit übergehen könnte. Die ungebührlich verzögern. Es müsste je­ auf breiteren Grundlagen wiedererstandoch ebenfalls anerkannt werden, -dass dene Kunst wird von neuem ihren Lauf dieses Erscheinen der Massen, das durch nehmen, lebenskräftig wie zuvor, denn die Intensivierung der Industrieproduk­ sie wird, da sie eine normale Lebenstion bestimmt wird, gezwungenermassen äusserung ist, ebensosehr wie der Mensch eine vorübergehende Senkung des künst­ leben.

lerischen Geschmacks bewirken wird.

Denn genau wie sich der Neureiche zu(

Kunst und Architektur Die Rolle des Architekten in der heutigen Gesellschaft ist wahrscheinlich bedeutender als je zuvor. Infolge der Bevölkerungsexplosion betätigt sich eine zunehmende Anzahl von Spezialisten auf dem Gebiete der Planung und Koordination. War es einst möglich, sich voll und ganz dem Plan eines Einzelhauses zu widmen, so sind heutzutage Gruppen von Ingenieuren, Baufachmännern und Soziologen mit der Lösung tiefgreifender städtebaulicher Probleme beschäftigt. Obgleich sie sich beim Eintritt in eine dieser Gruppen in den meisten Fällen auf ein Teilgebiet spezialisieren, so können und dürfen sie die Kenntnis des Gesamtkomplexes nicht aüf einen einzigen Aspekt beschränken.

Gleichzeitig wurde die Vorfertigung architektonischer Elemente weiterentwikkelt, die sich nicht länger auf Backstein und Trennwand beschränkt, sondern alle Einheiten der Wohnung umfasst, was die Verantwortung des Entwerfers noch vergrössert.

Neben den schwerwiegenden funktioneilen, technischen und sozialen Problemen, die sich dem Architekten stellen, besteht ein weiteres Problem, vielleicht das wichtigste von allen. Damit ein Bauwerk, meiner Meinung nach, die Bezeichnung

Architektur verdient, muss es zu gleicher Zeit Kunstwerk sein. Woran denkt man, wenn man in bezug auf die Wohnformen dieser Epochen allgemein von einer ägyptischen, griechischen, römischen, gotischen oder barocken Architektur spricht?

Ganz von selbst verbindet man sie mit den- Werken einer Architektur, deren Funktionen einen geistigen Charakter aufweisen und die als grosse Zeugen der Kunst der Vergangenheit Jahrhunderte überdauert hat.

Diese Art von Architektur existiert heute kaum mehr. Die Schuld daran trägt die moderne Gesellschaft. Von der Überzeugung ausgehend, dass Kunst nicht ausschliesslich Ästhetik bedeutet, sondern sich von dieser Auffassung zugunsten der geistigen Funktion distanziert, sollte sich das architektonische Werk, das Anspruch darauf erhebt, Kunstwerk zu sein - und ich glaube, die wahre Kunst ist es -, von dieser Funktion freimachen.

Der„zeitgenössische Architekt, der die Luft einer heterogenen, verworrenen Gesellschaft atmet, weiss im allgemeinen nicht, wie er an diese Probleme herangehen soll.

Er sieht sich weder durch den Glauben noch durch Ideen, die ihre Kraft bewahren und die Menschen einigen, bestärkt.

Dieser Architekt wirkt mittels Aufträgen von öffentlichen und privaten Organen in der Gesellschaft, und in beiden Fällen ist er vor allem dazu angeh'alten, sich materiellen Notwendigkeiten anzupassen. Desgleichen ist es ihm atfch bei der Projektierung kirchlicher Bauten in der Mehrzahl der Fälle möglich, eine wünschenswerte Tiefe zu erreichen, die einem Vergleich mit anderen Jahrhunderten gewachsen wäre, da ihn die allgemeinen Bedingungen zwingen, das Problem vom ästhetischen Standpunkt aus anzugehen, der seinerseits das Siegel der Verwirrung trägt. Die verschwommene Vorstellung von der grossen Gesellschaft der Zukunft und dem neuen Menschen sind allzumal nur Hoffnungen, Träume oder Illusionen.

Ohne Zweifel hat die fortschreitende Spezialisierung des modernen Lebens innerhalb der Architektur zu grösserer «Stil»-Einheit geführt, und sie besitzt trotz zahlreicher Ausnahmen, wie zum Beispiel die phantastische oder imaginäre Architektur, einen weit mehr bestimmten Charakter im Sinne des plastischen Ausdrucks als jede andere Kunstart.

In diesem Sinne bietet sich die Architektur als die vielleicht am meisten «avancierte» Kunst unserer Zeit an, wenn sie

sich aufgrund der praktischen Voraussetzungen,- und sei es auch nur teilweise von der Tyrannei einer Ästhetik, wie sie noch Malerei und Bildhauerkunst beherrscht, befreit. Auch den letztgenannten fehlt es an soliden Grundlagen. Jeder Künstler rechtfertigt sein Werk auf seine Weise. Was sie in der Gesellschaft, in der sie sich entwickeln, grundlegend eint und unterscheidet, ist nicht so sehr die Tatsache ihres «künstlerischen» Schaffens mit seinem Nonkonformismus oder mit seiner Revolte. Das bedeutet, dass die Künstler sich für den Appell an das Gewissen einer konformistischen Gesellschaft entschieden haben. Die einen tun dies mittels eines exzentrischen Gehabens, die anderen mittels schamloser Werke oder auch durch Äusserung einer anarchistischen Haltung, die sie zum kontinuierlichen Protest zwingt. Diese Haltung rechtfertigt bis zu einem gewissen Punkt die Eitelkeiten und Extravaganzen, hinter denen sich das bisweilen verzweifelte (obgleich unbewusste) Suchen nach festen Werten offenbart.

So sollte also der Architekt, dem daran liegt, ein solcher zu sein, auch Künstler sein. Er hat den Vorteil, sich in einem Teil, dem konkreten, seines Berufes entfalten zu können, aber er verliert sich in ihm, oder besser, er verbirgt sich dahinter,

um der Verantwortung aus dem Wege zu gehen, die ihm der künstlerische Teil auferlegt. Und wenn er an kühnen Visionen, wie zum Beispiel dem Manifest der Arquitectura Prospectiva, strauchelt, so wird er schlechter Laune und weigert sich, ihren (sicherlich relativen und diskutablen, worin sie der gesamten heutigen Kunst gleicht) Wert anzuerkennen, und beklagt sich danach über die übertriebene Bedeutung, die diesen Utopien beigemessen wird. In den Augen des Künstlers ist der Architekt ein Konformist, während dieser ihn seinerseits für einen haltlosen Träumer hält.

Während sich dem Plan-Architekten-die ungeahntesten Gelegenheiten bieten, Werke von nie erhoffter Grösse zu schaffen Trabantenstädte, gigantische Wohnkomplexe, Industrie- und Handelszentren, usw. -, sieht man sich in eben diesem Augenblick zur Erkenntnis genötigt, dass seine Architektur geistig nicht «funktioniert».

Man könnte sich fragen: Welche Ausbildung muss der Architekt erhalten, damit er fähig ist, Kunst zu schaffen? Ich glaube nicht, dass dies von. ihm abhängt. Das einzige, was er im Augenblick tun kann, ist, sein Talent mit der Unruhe des Künstlers zu vereinigen und zum Nutzen beider eine Arbeitsgruppe zu bilden. Diese

Verbindung führt nicht notwendigerweise zur Schaffung grosser Kunstwerke, wenn sie sich nicht vom Zeitgeist begünstigt sieht. Man wird aber eine Verbesserung der Atmosphäre zugunsten einer neuen Architektur erhalten, die nicht ausschliesslich auf materiellen Funktionen und oberflächlichen ästhetischen Kriterien aufbaut.

Wenn sich beide, Architekt wie Künstler, von einem Prinzip ausgehend auf die Organisation von Ideen, Formen und Farben konzentrieren - vom städtebaulichen Konzept des Generalplanes bis hin zu Einzelheiten, die am Ende die Wohnatmosphäre des Menschen schaffen -, so werden sie ohne Zweifel zu einer höheren Dimension als der derzeitigen aufsteigen, weil sie dahin tendieren wird, den Wert des Lebens hervorzuheben.

Ich bleibe indessen davon überzeugt, dass sich das Grundproblem nicht von der derzeitigen Ästhetik aus lösen lässt, da hierfür eine Kollektivmoral erforderlich ist, die heutzutage einfach nicht existiert.

Gerade darin besteht die Aufgabe sowohl des heutigen Architekten wie auch des Künstlers, ihre Zeit vergeistigen zu suchen und diese Moral finden zu helfen und damit den Grund zu einer in Zukunft höherstehenden Kunst zu legen.

Produkt, das, wie so viele andere gleichartige Produkte, als künstlerisch angesehen werden kann. Ein Haus ist schliesslich nur ein «Wohnkasten», eine Kirche ein «Betkasten» usw. Ist diese Verlegung der Architektur in die Abteilung der Industriegestaltung eine futuristische Vision oder eine genaue Beschreibung der Wirklichkeit von heute?

Die einzige Überlegenheit der Hausgestaltung über die Industriegestaltung liegt in ihrem Prestige, das seine Wurzeln in der berühmten Geschichte der Architektur hat. So geniesst die Architektur den hervorragenden Vorteil ihres edlen und alten Ursprungs, ihrer traditionellen Auszeichnung, eine der Künste zu sein.

Es ist übrigens leicht, die Betonung auf einen gegenseitigen und doppelt gerichteten Einfluss zwischen Malerei und Bildhauerei einerseits und Architektur anderseits zu legen. Gelehrten wie Heinrich Wölfflin zufolge übertraf die Malerei während der Renaissance die Architektur an Bedeutung; und Rudolf Wittkower beweist anhand von Raffaels Skizzenblock, dass auch während des Barocks die Architektur der Malerei folgte. Am Anfang dieses Jahrhunderts üben die Werke von Künstlern wie Piet Mondrian oder Theo van Doesburg offensichtlich einen grossen Einfluss auf die Architektur aus. Der Beweis für die wirkliche Exi-

stenz von engen Verbindungen zwischen der Architektur und ihren Nachkommen (Architektur - Mutter der Künste) findet sich in zahlreichen Beispielen ; es ist aber schwierig, das Gefühl zu unterdrücken, dass diese Verwandtschaft, zumindest während der Renaissance, besonders der wahrhaftigen Identität von Architekten, Malern und Bildhauern entsprang. Zu dieser Zeit war ein Architekt auch Maler und/ oder Bildhauer, so dass diese Symbiose natürlich war. Wenn wir jedoch in dieser Materie etwas tiefer schürfen, wenn wir am Anfang die Architektur eine's Renaissancepalastes seines Bilder- und Skulpturenschmuckes entledigen, so werden wir erstaunt sein. Die Proportionen sind von Regeln bedingt, die Architekten wie Malern und Bildhauern gemeinsam sind.

Die Architekten jener Zeit brauchten sich nur der aufgestellten Proportionsregeln zu bedienen und ihre Handlungsfreiheit war von so geheiligten architektonischen Hilfsmitteln wie Bogen, Pfeiler, Architrav usw. bestimmt. Es wäre interessant, über die Gründe nachzudenken, aus denen die Renaissance, während der die Wissenschaften in hoher Blüte standen, weniger zur architektonischen Erneuerung beigetragen hat als die Gotik, die nur mühsame wissenschaftliche Fortschritte machte. Und dieser Gedanke legt uns die Erkenntnis eines ebenso seltsamen wie bezeichnenden Phänomens nahe,

Aba Elhanani Die Architektur im Gewirr der plastischen Künste Ebenso wie das Wort Kunst mit seltsamen und wechselnden Definitionen belegt wurde, haben sich um den Begriff Architektur verschiedene Definitionen herauskristallisiert.

Der Autor dieses Artikels hat eine Definition gewählt, derzufolge jegliche geplante Struktur zum Gebiet der Architektur gehört, und er ist der Ansicht, dass eine Unterscheidung zwischen Architektur und Baukonstruktion weder realistisch, noch praktisch oder möglich ist.

Der Gedanke einer universalen oder allgemeinen Architektur scheint heute unannehmbar, und die Meinung Ruskins in bezug auf Klassifizierung und Unterscheidung von Architektur und Konstruktion besteht weiterhin. Die/ verschiedenen unrichtigen Definitionen lassen so oder so erkennen, dass die Architektur eine Art Baukunst + ...... ist.

Verwenden wir provisorisch diese Formel : Architektur = Baukunst + x.

Wenn eine Struktur ihrer Qualität nach nicht vollständig architektonisch ist, wenn ihr dazu eine «Prise Salz» fehlt, wo kann dann dieses Etwas hergenommen werden? Es ist offensichtlich, dass man dieses Etwas auf dem Gebiet der Malerei oder der Bildhauerei suchen muss. Durch einfaches logisches Herleiten aber kann die Architektur in die Abteilung der Industriegestaltung verlegt werden. Das Haus wird also zu einem Industrie64

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dass nämlich unsere heutige Zeit, die an wissenschaftlichen Erfolgen so unvergleichlich reich ist, keine Revolution ganz zu schweigen von einem wirklichen Fortschritt - auf dem Gebiet der Bautechnologie gebracht hat, im Vergleich zur allgemeinen Technologie, die so avanciert ist. Es genügt, einen Jet einem Auto des Jahrhundertbeginns gegenüberzustellen und sie dann beide mit einem Poelzig-Theater vom Anfang des 19. Jahrhunderts und einem Scharoun-Theater aus den fünfziger Jahren zu vergleichen.

Wir können noch drastischer werden, indem wir das Kolosseum von Rom und das New Yorker Lincoln Center miteinander vergleichen. Die Bedeutungslosigkeit des technologischen Unterschiedes ist erstaunlich.

Es ist vielleicht nicht reiner Zufall, wenn im Augenblick einer wirklich revolutionären Veränderung in der Architektur, am Ende einer Epoche und vor dem wirklichen Beginn einer neuen Richtung die abstrakte Kunst erscheint. Le Corbusier und Gropius verlangten die Integration von Kunst und Architektur, und das Bauhaus versuchte sich in einer Ausbildung, die zur «künstlerischen Architektur» neigte. Der Beschaffenheit der Baustoffe wurde keine Aufmerksamkeit mehr gewidmet. Um Formen auszudrücken, war alles recht. Die Linie, die Malerund Bildhauer trennt, verschwamm, und die Architektur wurde zu einem idealen Beruf, in dem die abstrakte Kunst eine feste Grundlage für alle ihre vielfältigen Variationen bilden konnte. Diese Tendenz verstärkte sich noch unter dem Einfluss der Theorien Cézannes, deh vom Bau eines Gemäldes sprach und die geometrischen Grundformen eines Bildes «Baublöcke» nannte. Dieser Einfluss auf die moderne Architektur war bedeutend.

Über die Tiefe und die Natur dieses Einflusses ist jedoch noch keine Studie ausgearbeitet worden.

Was die Architekten hauptsächlich von

den Malern und Bildhauern verlangen, ist die Freiheit, alle paar Monate oder Jahre ihre Ausdrucksweise ändern zu können. Ausserdem die Freiheit und den Mut zur Revolte gegen die Tradition, die Freiheit und den Mut, das Publikum mit unkonventionellen, gewagten und ungeheuren Schöpfungen zu konfrontieren. Denn wozu der Funktionalismus?

Wer hat gesagt, dass ein Gebäude bequem sein muss? Wo steht geschrieben, dass eine Schule wie eine Schule aussehen soll?

So viele Konventionen, die, sakrosankt, in den zwanziger, dreissiger und vierziger Jahren die Stellung überholter Idole, reif für den Schrott, innehatten. Auch wir, die Architekten, sind fähig, die öffentliche Meinung zu schockieren, sei es mit gewagten Formen oder einer antiästhetischen Kunst oder mit einem in Strukturen, Vorschlägen und Kostenvoranschlägen auftretenden Primadonnagehabe.

Bauen wir ein schwerbewohnbares Haus, dessen Benutzung eine Qual ist, so können wir immer behaupten, dass Maler und Bildhauer gleichermassen Vorgehen, dass der Mangel an beabsichtigtem Komfort nur dazu dient, dem «Verbraucher» die Natur unserer Zeit, Krieg und Atombombe, vor Augen zu führen.

Und somit wird der wesentliche Unterschied zwischen Architektur und allen anderen plastischen Künsten klar ersichtlich. Die Architektur braucht die soziale Schizophrenie und Glaubenskrise nicht auf die gleiche Weise auszudrücken, wie das Malerei, Bildhauerei, Poesie und Literatur tun müssen. Die Architektur interpretiert ihre Zeit vor allem durch die Verwendung von technischen Kenntnissen einerseits und durch Schaffung von physischen Erleichterungen, die den dieser Zeit eigenen Tätigkeitsformen angepasst sind anderseits.

Meiner Meinung nach kann der Brutalismus in Beton von Le Corbusier in all seiner pathetischen Schönheit die moderne Architektur nicht zum Fortschritt bewegen. Im Gegenteil, er hemmt und lähmt. Denn wenn wir auf dem Gebiet der Gewebe und Formen (nützliche Formen) Ergebnisse erhalten können, so ist es überflüssig, technische Verbesserungen zu suchen. Denn wenn ein Picasso die afrikanische Kunst in den Kubisrqus eingeführt hat, so könnte ein zukünftiger Le Corbusier, sagen wir, eine polynesische Architektur entdecken und sie in eine ultramoderne und rechtmässige Richtung des 21. Jahrhunderts verwandeln. Es ist die bittere Wahrheit, dass die Technologie des Bauwesens um Jahrhunderte hinter dem übrigen industriellen Fortschritt zurückgeblieben ist.

Von allen bildenden Künsten hat nur die Architektur ihren Platz in der vollen Wirklichkeit des menschlichen Lebens.

Das ist natürlich, da die Architektur, im Unterschied zu anderen Künsten, die Entwürfe im Raum schaffen, den Raum selbst aufschliesst und dann in ihm Formen schafft.

Ist die Formel Architektur = Baukonstruktion, oljne Beifügungen, nicht ausreichend? Genügt es nicht, wenn wir von uns selbst sagen, dass wir Gebäude projektieren, die ihrem Zweck entsprechen und komfortabel sind, ihr funktionelles Wesen ausdrücken und uns ein Gefühl der Befriedigung geben? Es sei erlaubt, auch die Verpflichtung hinzuzufügen, all dies mit den besten heutigen technologischen Kenntnissen auszuführen, um so die Verfahren zu verbessern und die Herstellungskosten zu senken.

Diese Definition hört sich absolut prosaisch und reaktionär an. Wir meinen aber, dass einige «Wiederbeleber» auf der Erde die wirkliche Avantgarde stellen könnten. Eine derartige Avantgarde würde zumindest die Architektur wieder an ihren richtigen Platz verweisen, wo weder Verkleidungen noch Moden vorherrschen, sondern die Kontinuität durch Fortschritt gesichert wird.

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Interesse vollbracht, darunter Brücken, Banken und Industrieanlagen . . . Allgemein ist die architektonische Tätigkeit indessen den Bedingungen einer der kulturellen Tradition des 18. Jahrhunderts verbundenen Nachfrage unterworfen.

Erneuerer sind nicht erwünscht.

In den lateinischen Ländern existieren jedoch einige Stätten, an denen die neuen Ideen zu wertvollen Werken Anlass zu geben vermögen: Barcelona, Norditalien, Paris . . . Durch die Initiative einiger Bauleute war in Frankreich der Eisenbeton eingeführt worden. Ingenieure, die nicht wie die Architekten durch die erdrückende Lehre der Akademie belastet sind, realisieren die ersten Betonbauten.

Mit der Errichtung des Gebäudes in der Avenue Franklin, des Champs-ElyséesTheaters und der Kirche in Rancy weiten die Gebrüder Perret die Anwendung des Stahlbetonskelettes über das Gebiet aus, das ihm bis dahin Vorbehalten war. So massiv ihr Ausdruck anfangs auch war, so wird diese Architektur allmählich einen feinen, leichten und zarten Charakter annehmen. Pierre Jeanneret, der von 1921 bis 1923 mit den Gebrüdern Perret zusammenarbeitet, zeigt sich dieser kühnen Auffassung gegenüber sehr bald aufgeschlossen und wird sich deren neue Möglichkeiten zu eigen machen. Le Corbusier, der zuvor ebenfalls im PerretBüro gearbeitet hat, hat übrigens bereits

Gilles Barbey Pierre Jeanneret 22. März 1896 bis 4. Dezember 1967 Vor nicht allzulanger Zeit ehrten einige Architekten einen Mann, dessen Persönlichkeit und Werk trotz der Aussergewöhnlichkeit ihres Beitrages lange verkannt wurden. Der wahre Wert der von Pierre Jeanneret dank einem unermüdlichen Schaffen übermittelten Botschaft wird sicherlich dann erkannt werden, wenn das Werk dieses bescheidenen Mannes eine weite Verbreitung gefunden haben wird.

Jeanneret studierte zwischen 1913 und 1915 Architektur an der Genfer Kunstschule. Zu dieser Zeit ist das Genfer Milieu auf das Erscheinen neuer Ideen wenig vorbereitet. Dennoch hatten vereinzelte Schöpfer einige Werke von

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im Domino-Projekt den unzweifelhaften Vorteil, den das Betonskelett bietet und der die architektonische Ausdrucksweise erweitern wird, bestätigt.

Als Pierre Jeanneret 1923 zu seinem Vetter Le Corbusier stösst, ist das Tor zu völlig neuen Schöpfungen mehr denn je geöffnet. Die kritische Einstellung, mit der die öffentliche Meinung ihre Gedanken aufnehmen wird, bedeutet für sie gleichermassen Zurückhaltung und Anreiz. So entsteht zwischen Le Corbusier und Pierre Jeanneret ein fruchtbarer Dialog, bei dem sich Übereinstimmung und Unstimmigkeit abwechseln. Jeanneret hat dabei eine dreifache Rolle. Er ist ein für Le Corbusier, den Chef des Büros, jederzeit verfügbarer Gesprächspartner und dessen Gefährte ausserhalb der Arbeitszeit. Die beiden Vettern treiben Gymnastik bei Albert Jeanneret, sehen sich gemeinsam Ausstellungen und Schauspiele an und begeben sich auf Erkundungsfahrten in die Natur. In ihrem Streben nach Wahrheit und der Formulierung von Antworten, die den von ihnen analysierten Bedürfnissen Genüge leisten, vereint sie tiefes Einverständnis.

Die Verschmelzung ihrer Sensibilität und Vorstellungswelt lässt eine solide und variierte Arbeit entstehen. Die durch Beobachtung der sie umgebenden Erscheinungen geweckten Ideen nehmen sogleich in Vorschlägen, zu denen jeder seinen Teil beiträgt, festeGestalt an. Diese Gemeinsamkeit ihrer jeweiligen Überzeugung resultiert in so vollkommenen Meisterwerken wie dem Savoy-Haus in Poissy, das nur schwer erkennen lässt, welchen Beitrag der eine oder andere geleistet hat. So offenkundig wird das Ergebnis von der Einheit der Auffassung, Klarheit und Kraft geprägt. Im Laufe von siebenundzwanzig Jahren gemeinsamer Arbeit haben Pierre Jeanneret und Le Corbusier ihre Anstrengungen vereint, um dieses völlig homogene Werk zu schaffen, in dem jedes Projekt als eine natürliche und bereicherte Folge des vorhergehenden erscheint.

Im Jahre 1940 wird Arbeit eine Seltenheit. Paris ist besetzt. Pierre Jeanneret und Le Corbusier sehen sich, um ihre Arbeit weiterführen zu können, zur Trennung gezwungen. Besonders von diesem Zeitpunkt an wird Pierre Jeanneret in der weisen Sparsamkeit der verwendeten Mittel die Grundlagen des architektonischen Fortschrittes, um den er sich sein ganzes Leben lang bemühen wird, finden. Der Krieg lässt neue Bedürfnisseentstehen. Emigrierte und Heimgesuchte müssen zu geringsten Kosten untergebracht werden. Im Verlauf der Kriegsjahre erfindet Pierre Jeanneret zahlreiche Systeme, die den seit 1946 so verbreiteten Fertigbau ankündigen. Zerlegbare, transportable, entfaltbare, erweiterbare Häuser: alle von Pierre Jeanneret‘mit Jean Prouvés Hilfe hastig gesuchten Lösungen beweisen einen bemerkenswerten Erfindergeist. Davon zeugt 66

jene Wohnung auf einem Fahrgestell, deren Wände augenblicklich so niedergelassen werden können, dass sie eine fortlaufende Hülle bilden. Beweglichkeit, Einfachheit des Zusammenbaus und verringerte Kosten sind wertvolle Beiträge zilr Architektur. Pierre Jeanneret hat sie weitgehend eingeführt.

Am meisten muss dabei bewundert werden, dass die Wirtschaftlichkeit dieser Bausysteme nicht die Zerstörung der Wohnung miL sich führt. Das Streben nach Einfachheit ist keinesfalls gleichbedeutend mit Formenarmut. Die architektonische Lösung ist nicht mehr abhängig von der verwendeten Materialmenge, sondern eher abhängig vom Streben nach Harmonie, das die verschiedenen Wahlsituationen charakterisiert. Ständig beachtet Pierre Jeanneret die Grundbedürfnisse des Menschen : das Bedürfnis nach Schutz, nach freiem Raum, Licht und Hygiene, nach Intimität.

Die Sorge um die Einfügung und den Zweck des Bauwerkes ist für ihn fundamental. Das Suchen neuer Ausdrucksformen bildet nicht , allein die Antwort auf technische Bedingungen, sondern ist vielmehr eine Folge der uneigennützigen, mit ungewohnter Erfindungsgabe erarbeiteten Vorschläge. Jean Prouvé hat Projekte enthüllt, die unglücklicherweise unbekannt geblieben sind. Pierre Jeanneret plante den Bau von künstlichen Böden monumentaler Ausmasse. Ihre Einfügung in die Landschaft und ihre vorausgeplante Erschliessung gestatten es, dank der Industrialisierung, frei und unter den vorteilhaftesten Bedingungen zu bauen. Eine so revolutionäre Idee ist seitdem nicht verwirklicht worden. Pierre Jeanneret war ständig darum bemüht, den Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit in seine Projekte einzubeziehen. In Grenoble, wo sich Jeanneret 1941 niederliess, um zu einer Besatzungsmacht, die ein Regime der Unterdrückung errichtet hatte, etwas Distanz zu haben, setzte er sein Werk unter Schwierigkeiten fort.

Die Spannung und Resignation, der sich die französische Bevölkerung ausgesetzt sieht, ermutigen die Menschen, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Jeanneret akzeptiert diese Form der Unterdrükkung nicht. Er entfaltet ganz im Gegenteil seinen gesamten Einfallsreichtum und führt seine Arbeit mit einigen Freunden zusammen geduldig und entschlossen weiter. Es wird wenig oder überhaupt nicht gebaut. Die Verkehrsmöglichkeiten sind beträchtlich eingeschränkt. Daher widmet Jeanneret sein Schöpfertalent Einrichtungsgegenständen. Der Mangel an Rohwaren, wie Leder, Gummi, Metall und Leim, hindert ihn nicht, Möbel aus einfachsten Mitteln anzüfertigen. Das Beispiel des Sessels aus x-förmig übereinandergelegten Brettern, die von Seil-Armlehnen im richtigen Abstand gehalten werden, ist sehr be-.— zeichnend für seine Arbeitsweise. Weit

davon entfernt, angesichts der Armut der zur y Verfügung stehenden Mittel hilflos dazustehen, erfindet er, von einem summarischen Material ausgehend, neue Möglichkeiten zur Konkretisierung seiner Einfälle. Nicht gelähmt zu sein, wenn die Beschränkung ein unumgängliches Gebot ist, zeichnet den wirklich kreativen Menschen aus.Jeannerets Dynamik, Bescheidenheit und besonders seine Beweglichkeit haben ihm Freundschaften von seltener Güte sowie die Hochachtung seiner Umgebung zuteil werden lassen. Er verstand es, seine Beobachtungen auszuwerten und in einer direkten und grosszügigen Sprache zu formulieren. Zwischen 1944- und 1951 nimmt er seine Tätigkeit als Architekt und Städtebauer wieder in Paris auf. Er wird mit dem Studium gruppierter Wohnungen beauftragt, für die er im Vergleich zu den gemeinhin verwendeten Normen verbesserte Lichtverhältnisse entwickelt. Das «Vertikalverkehrsprojekt» für Villeneuve-Saint-Georges, dessen Gründdisposition eng mit der Wohneinheit in Marseille verwandt ist, ist so geplant, dass die allmähliche Loslösung der, im Schnitt gesehenen, Bauflächen das Sonnenlicht bis in die Wohnungsmitte eindringen lässt. Die im Verhältnis zur Fassadenanordnung schräg gestellten Mauern ergeben an der \Ost-WestRiphtung der Wohnungen, dass die Räume länger am Sonnenlicht der Tagesmitte teilhaben.

Dieselbe Bestrebung findet sich, wenn auch iii einem etwas anderen Sinne, in der Entwicklung des Technischen Zentrums von Béziers. Hier galt es, gute natürliche Licht- und Belüftungsbedingungen zu schaffen und gleichzeitig die Säle gegen die übermässige Wärme der Sommermonate zu schützen. Die Antwort auf diese klimatischen Bedingungen lag in einer strengen Komposition der Betonmassen. Im Gegensatz hierzu sind die vom Sonnenlicht abgewendeten Teile als weite Metallfenster gestaltet, die in ihrer ganzen Breite geöffnet werden können.

Eine derartig kraftvolle und in allen ihren Teilen wohldurchdachte Architektur resultiert in einem Werk hoher Güte.

Jeanneret begibt sich auch in die Vereinigten Staaten und kreiert dort Sessel und Stühle, die ihren Wert bis heute behalten haben, da sie von Überlegungen betreffend die Mechanik der Bewegungen des menschlichen Körpers inspiriert sind.

Da keinerlei Konzession an die Auffassung der Form gemacht wurde, haben diese Möbel ihren vollkommen zeitgenössischen Charakter bis in unsere Tage hinein bewahrt. Jeannerets Ideenreichtum und die perfekte amerikanische Industriefertigung haben sie zu ausgezeichneten Schöpfungen gemacht.

Eine Intervention von Claudius Petit, dem französischen Wohnungsbauminister, stellte die Zusammenarbeit zwischen Le Corbusier und Pierre Jeanneret wieder her. Chandigarh, die neue Hauptstadt

des indischen Bundesstaates Pandschab, stellen und der auf alle Niveaus verteilten Organisation findet sich nicht nur in den soll gebaut werden. Und es kann wohl Menschengruppen inspirierte wahrschein­ Plänen, sondern wird auch im Laufe der keine bessere Wahl getroffen werden, als lich Jeanneret zu jener Stufenform, die er Bevölkerung neuer Viertel ständig überdie beiden ehemaligen Partner von der ' selbst in seinen monumentalsten Werken prüft. Bäume, Gras und Wasser sind Teil Rue de Sèvre mit der Verwirklichung beachtet hat.

der architektonischen Komposition und dieses Projektes zu beauftragen. Im Pierre Jeanneret verwirklicht mit den am tragen dazu bei, einen lebendigen und Jahre 1951 reist Pierre Jeanneret nach Platze verfügbaren Mitteln das Werk harmonischen Lebensrahmen zu schaffen.

Indien und wird dort bis 1965 ständig Le Corbusiers in Chandigarh, das Kapi­ Als sich Pierre Jeanneret mit dem Projekt wohnen. Das Werk, das er in einem tol, den Obersten Gerichtshof, das des Gandhi Memorial in Chandigarh Zeitraum von fünfzehn Jahren allen Parlamentsgebäude und das Sekretariats­ betraut sieht, gelingt es ihm, dieses Werk Schwierigkeiten und dem Klima zum haus. Le Corbusier verbringt nur einige mit Takt und Überzeugung zu gestalten.

Trötz vollbringen wird, ist der beste Tage im Jahr in Indien, und die mit Das Gandhi Bawan ist zugleich ein ZeugBeweis für seine starke Persönlichkeit.

Pierre Jeanneret gewechselten Briefe be­ nis des grossen Mannes und ein MittelIn den Briefen an seine Freunde gibt er weisen deutlich die gemeinsame Begeiste­ punkt in bezug auf alle Weltreligionen.

immer wieder seiner Bewunderung für die rung und gegenseitige Achtung, die die Diese «bewohnte Skulptur» erhebt sich Kultur Nordindiens, für ihr Bestes, beiden Architekten verbindet. Wènn in der Mitte einer Wasserfläche, Frieden Ausdruck : die Edelheit des menschlichen Le Corbusiers Werk in Indien jenen Ein­ und Gleichgewicht, Vergänglichkeit und Kontaktes, die Schönheit der Natur, den druck vollkommener Leichtigkeit und Ewigkeit symbolisierend. In drei eng Erfindungsreichtum der handwerklichen grosser Unmittelbarkeit vermittelt, so miteinander verbundenen Räumen beTradition. Die Architektur Pierre Jean- darf dabei nicht vergessen werden, dass finden sich Versammlungs- und Studiennerets wird sich in Zukunft in diesem es das Ergebnis von zäher Arbeit ist, deren stätten. Das Aufeinandertreffen von lokalen Zusammenhang weiterentwickeln hauptsächlicher Urheber Pierre Jeannerét Winkel und Bogen, von Kompaktem und als eine Gesamtheit von treffenden Ant­ war. Jeanneret erwirbt sich das Vertrauen Aufgelockertem formt eine weit über worten auf ewige Probleme.

und die Freundschaft Nehrus und der einfache plastische Virtuosität hinaus Eine Architektur im eigentlichen Sinne Mitglieder des Parlamentes, die in ihm beherrschte Gesamtheit, um einen symexistiert noch nicht, und dennoch strahlt einen wirklichen Verbündeten sehen. Die bolisch erweiterten Inhalt darzustellen.

alles Architektur aus: die Eingeborenen­ Aufträge strömen in sein Büro, und man Nichts wurde dem Zufall überlassen, und hütten aus getrocknetem Lehm, die versteht heute kaum, wie er in einer so dennoch ist die Komposition von einer Konstruktion der Karren, das Innere der kurzen Zeit all das verwirklichen konnte, totalen formellen Freiheit.

Behausungen; in denen die Bewohner auf was er unternommen hatte. Denn sein Pierre Jeanneret ist sowohl Architekt dem nackten Boden leben. Sie verfügen Werk ist so umfangreich, dass es für und Städtebaudirektor des Staates über eine oberflächliche, aber vollständig einen einzigen, wenn auch mit noch so Pandschab als auch Direktor der Archiin den Rahmen eingefügte Einrichtung. guten Mitarbeitern umgebenen Mann tekturschule von Chandigarh und aktiver Jeanneret begibt sich in diese Wohn­ übermässig erscheint. Nie entsteht der Architekt. So viele auf sich vereinte Aufstätten, bemerkt die Art der Pandschab- Eindruck der Erschöpfung vor der Auf­ gaben hindern ihn nicht daran, seinen Frauen, über ihren Haushaltpflichten zu gabe. Der Beitrag ist ohne Unterlass zahlreichen Besuchern zur Verfügung zu wachen, wobei Stützen in Reichweite alle erneuert.

stehen. Sein positiver Einfluss auf viele ihre Bewegungen erleichtern.

Die von Pierre Jeanneret in Chandigarh Studenten ist offensichtlich.

Einen wesentlichen Teil seiner Beschäfti­ und Umgebung gebauten Wohnhäuser Seine Erfindungsfreude verleitet ihn dazu, gung widmet Jeanneret dem Klima. Jede beherbergen alle Bevölkerungsschichten. Boote zu entwerfen, die er auf dem Lebensweise ist unlöslich daran gebun­ Wozu das Gebäude auch immer be­ Chandigärh-See benutzt. Seine aus rohem den. Die Veranden und Tore vor den stimmt ist, es spiegelt die Sorge um ein Holz, Bambus, geflochtenen Matten, neuen Wohnstätten sind mit Rücksicht 1 menschenwürdiges Milieu. Aus diesem aus Getreidekörben und Betonarmierunauf einen Baustoff mit begrenzten und Grunde haben das Haus eines Ministers, gen gefertigten Möbel bleiben erstaunliche dennoch beständig erneuerten Möglich­ eines einfachen Arbeiters und auch sein Schöpfungen, deren Preis auch für die keiten ausgeformt. Der lockere Tonziegel eigenes Heim jene Schlichtheit gemein­ 'ärmsten Familien erschwinglich ist. Er gibt Jeanneret skulpturale Möglichkeiten, sam, die dem Wunsch nach Formulierung stellt sie in seiner Wohnung auf und die er wirkungsvoll zu nutzen versteht. des Wesentlichen entspringt. Der Kom­ bietet sie denen an, die ihre Schönheit Durch eine Verlängerung des Daches fort besteht folglich nicht in einer voll­ erfassen. Wollte man den schöpferischen nach aussen schafft er zwischen dem kommenen Ausstattung, sondern in allem, Gang Pierre Jeannerets in wenigen WorInnern und dem Freien einen Ort der was zur Entfaltung der Bewohner beiträgt: ten zusammenfassen, so könnte man saRuhe und Zerstreuung. Schatten und Licht, Raum, Schönheit und Harmonie gen : Einfachheit, Sparsamkeit, Schönheit Kühle sind der Gewalt der Mittagssonne der Formen. Pierre Jeannerets Willens­ und Wahrheit.

angepasst. Eine transversale Ventilation* kraft bewirkt, dass sein Werk in Übereinsoll einen angenehmen Aufenthalt garan­ stimmung mit der indischen Auffassung Bemerkungen zum Städtebau tieren. Unter seiner Tätigkeit in Indien von der Zeit, in der die Vergangenheit (handgeschriebene Notizen von Pierre sucht Pierre Jeanneret mehr denn je ein­ eine weit bedeutendere Rolle spielt als im Jeanneret) fache und wirtschaftliche Lösungen zu Westen, unvergänglich bleibt. Die Schaffung einer ewigen Natur erfordert viel Die Einteilung der Verkehrswege muss entwickeln.

Das Fehlen jeglicher Mechanisierung auf Vorstellungskraft. Pierre Jeanneret wird unter Berücksichtigung verschiedener Geden Baustellen überrascht ihn. Nachdem nacheinander mit dem Bau zahlreicher schwindigkeiten und Zwecke geschehen.

er sich in Europa um arbeitskraft- und Einzel- und Kollektivwohnungen, Schu­ Die Führung der Verkehrswege muss von damit kostensparende Systeme bemüht len, Universitätsgebäude und Verwal­ der bestmöglichen Anordnung und Aushatte, sieht er sich plötzlich der Not­ tungszentren beauftragt. Daneben macht richtung der Gebäude abhängig gemacht wendigkeit gegenüber, unzählige Hand­ er Stadtbaupläne,'die sich auf die Not­ werden, nicht wie in unseren Städten, wo langerdienste zu verwenden, wo Maschi­ wendigkeit gründen, Automobile und die Häuser parallel und symmetrisch zu nen die Arbeit hätten übernehmen kön­ Fussgänger zu trennen, intensive Arbeits­ beiden Seiten der existierenden Strassen nen. So bilden gigantische Holzgerüste gegenden zu schaffen, die mit Erholungs­ aufgereiht sind. Letzteres, System ist eine Folge von Plattformen und Rampen,' zonen abwechseln, das Wohlbefinden bezeichnend für einen überholten Städteauf denen sich die Arbeitsgruppen die eines jeden zu fördern, indem ihm die bau.

Baustoffe in einer fortlaufenden Kette Freiheit gegeben wird, sich überall nieder­ Der moderne Städtebau kennt die der weiterreichen. Der Anblick dieser Bau­ zulassen und jederzeit umzuziehen. Diese Strasse zugewendete Hauptfassade und 67

die Hinterfassade nicht mehr. Nur vier im Raume errichtete Fassaden, alle gleich bedeutsam. Hörte ich in Chandigarh von «front elevation» und «back elevation» sprechen, so fühlte ich mich sofort beunruhigt. Von höheren Bauwerken gesehen, bilden dieTerrassen der niedrigeren Häuser eine fünfte Fassade.

Eine Stadt muss in Sektoren eingeteilt sein, deren Ausmasse es jedem Bewohner gestatten, seine täglichen Bedürfnisse ohne Zuhilfenahme mechanischer Transportmittel zu befriedigen.

Jeder Sektor sollte ausreichende Grünflächen besitzen) damit das Zentrum trotz ständiger Ausdehnung der Stadt nicht erstickt. Damit soll das Grundübel aller unserer Städte vermieden werden. Die Stadt bedeckte Jahr für Jahr neues Land, ohne dass man deshalb für grössere innere Grünzonen gesorgt hat. Auch das kompakteste Dorf ist, umgeben von Feldern, lebensfähig. Dehnt sich dieses Dorf aber aus und verwandelt sich zur

Stadt und behält dabei die Eigenschaften des kleinen Dorfes bei, so wird die Stadt bestimmt an zu .grossem Blutandrang sterben.

In dieser Lage befinden sich die meisten unserer Städte, und die Städtebauer sehen sich zum Abbruch alter Gebäude und dem Bau von Hochhäusern gezwungen, um den Verkehr verbessern und Grünflächen anlegen zu können. Die Kraft des Architekten muss sich auf diese künftigen Eventualitäten konzentrieren.

Bei der Errichtung einer modernen Stadt kann die langsichtige Planung nicht genug hervorgehoben werden.

Wenn die Planung einer modernen Stadt grosszügige Verkehrs- und Grünflächen vorsehen muss, so sollte ihre Fläche doch beschränkt werden. Bei der Verwirklichung der ersten Bauetappe von Chandigarh (für 150000 Einwohner) konnte die gewünschte Dichte nicht erreicht werden, da es Indien in diesem Augenblick noch an Geld und technischen

Möglichkeiten fehlt. In der Tat werden diese Sektoren von 1200x300 m Ausdehnung von Schnellstrassen abgegrenzt, die reine Durchfahrtswege sind und keine Verbindung zu den. Wohnvierteln haben.

Hier liegt der Schlüssel zur Urbanisierung Chandigarhs. Dank dem Verständnis der Promoter und Verantwortlichen dieser Stadt hat Le Corbusier, damit zum erstenmal ein solches System verwirklichen können. Sämtliche Kreuzungen dieser grossen Schnellstrassen, die niveaugleich liegen, sind so weiträumig geplant, dass der Verkehr durch Ausbau zu gegebener Zeit, mehrgeschossig fliessen kann, ohne Eingreifen von Polizisten oder Ampeln wie in unseren alten Städten.

Dem Fussgänger innerhalb der Wohngebiete wird alle Achtung zuteil. Der Übergang von Sektor zu Sektor geschieht über unter- oder überirdische Passagen, die mit den Kreuzungen nie in Verbindung stehen.

richtung Mauerwerke hinzugefügt. In einer solchen Wohnstätte, die mehrere Räume umfasst, sind alle Trennungs-, Verbindungs- und Tragelementè aus demselben Material wie die Aussenkruste.

Alle Hohlräume sind aus dem Felsen geschlagen ; Schränke, Treppenstufe^, die Treppen selbst, Schwellen, Regale, Kamine und Liegen entstanden auf dieselbe zusammenhängende Weise.

In diesem Gebiet herrscht das' rauhe Kontinentalklima Kleinasiens. Die Höhlen bewahren aber eine permanente Temperatur, im Sommer sind sie kühl und im Winter angenehm warm. Dieses Material bietet den Menschen also einen sicheren Schutz gegen die rauhe Witterung der Gegend.

In dieser Mondlandschaft bildet die Vielzahl der Feenkamine mit ihrer grauen, monotonen Farbe eine harmonische Einheit mit der Silhouette der umliegenden Bauten. Hier fühlt man die Arbeit des Menschen, der zu dieser an Visionen reichen Natur eine harte und zugleich gefühlsvolle Welt gefügt hat. Einige wohlaüsgewogene und wohlproportionierte Kegelgebilde, an die Abhänge angelehnte Wohnbauten und statische Linien ■ bilden einen sehr angenehmen Kontrast zu der bewegten Atmosphäre der Landschaft. Die Lage der Wohnplätze' wird von den Feenkaminen, den Geröllhalden oder den für Ackerbau ungeeigneten Bodenstücken bestimmt. An diesen Plätzen wohnt man je nach den topographischen Verhältnissen in Gruppen; weite Plätze in der Mitte von Wohnsiedlungen bezeichnen den Dorfcharakter; man gelangt von einem Platz zum anderen durch enge in den Tuffstein gehauene Gänge. Die im Fels überein-

ander angelegten Wohnungen erhalten Licht im Überfluss, sind gut belüftet und bieten Aussicht über den Platz, den sie einrahmen.

Die wunderbaren, robusten, zerbrechlichen, eingestürzten Feenkamine, die von alten Häusern oder neuen Bauwerken umgeben sind, die halb verfallenen Umfassungsmauern, die eingeebneten und teilweise abgebauten Terrassen bilden eine bildlich vollkommene Einheit.

Die Gebäude bilden aufgrund der verschiedenen Höhen, auf denen sie liegen, eine abgestufte Komposition und bieten sehr lebendige und verschiedenartige Perspektiven. Manchmal besitzen die Wohnungen nur eine einzige Öffnung ins Freie. Das Leben spielt sich hinter den Mauern ab.

Die Häuser haben im allgemeinen zwei Stockwerke: Das Erdgeschoss dient als Lager, Küche und Stallung, während die Etagen den Aufenthaltsräumen Vorbehalten sind. Die Baupläne sind den Möglichkeiten des Geländes angepasst.

Im Kellergeschoss halten sich Lebensmittel lange frisch: Äpfel zwei Jahre lang, Trauben einen Monat, Fleisch zwei Wochen. Die Früchte Südanatoliens werden, nachdem sie eine Saison lang in der Umgebung von Ortahisar in Kellern, die 100 Tonnen fassen, gelagert wurden, zu den günstigen Jahreszeiten in den grossen Städten verkauft. Diese Keller sind natürliche Kühlräume.

Der örtliche Mittelpunkt wird vom «Tandir», einer unterirdischen Herdstätte, gebildet. Eine Aushebung in der Mitte des «Sommerraumes» schafft dieses Tandir, das von einem bedeckten, auf drei Seiten geschlossenen und mit dem Innenhof verbundenen Raum gebildet wird;

Sevinç Hadi Das Görem-Gebiet: Felsenarchitektur Mitten in Kleinasien, am Fusse des Erciyasberges, dort wo die Salzwüste zu Ende geht, beginnt eine Vulkanlandschaft, die sich von Urgüp bis Nevsehir erstreckt.

Dieses ungefähr 40 km breite Gebiet ist mit neogenischem Tuffstein bedeckt.

Infolge der Erosion dieses weichen Steines und unter physikalischen und chemischen Einwirkungen haben sich überzogene Felsen gebildet, die in dieser Gegend «Feenkamine» genannt werden. Die berühmten Kirchen von Cappadoce liegen in den Felsen dieses Gebietes.

Die Feenkamine bilden das beherrschende Element, das die natürliche und architektonische Eigenart dieser Gegend ausmacht. Einzeln oder in Gruppen besitzen diese Felsenkamine grossen Ausdrucksreichtum und erstaunliche Formbarkeit, was den Betrachter tief beeindruckt. In diesem pittoresken Milieu stehen sie als dominierende Wächter.

Manchmal sieht man scharflinige Felsen, manchmal alte, die, nachdem sie Generationen beherbergt haben, nun ganz durchlöchert sind.

Die Feenkamine bestehen aus einer leicht zu bearbeitenden Masse, die bei Berührung mit Luft hart wird. Unter Ausnutzung dieser Eigenschaft haben Menschen seit Jahrtausenden ihre Wohnstätten in die Felsen gehauen. Diese Behausung ist nur eine Felshöhle, die nach oben oder nach unten hin geformt wurde und so einige Stockwerke bildet.

In allen Teilen der Anlage, sowohl über wie unter der Erde, ist das bewegte Leben der Menschen gegenwärtig. Die ersten Anlagen lagen in den Feenkaminen; später wurden je nach Bedarf und unter Berücksichtigung der Sonnen- und Wind68

der Rauch zieht durch einen' kleinen, Öffnungen sind eng, man begnügt sich ebenfalls in den Fels gehauenen Kanal ab. mit etwa 80 bis 90 cm; die Felsflanken, Ebene, offene Flächen sind das beherr­ die die Öffnungen tragen, werden zu schende Element der Aussenfassaden. vertikalen Flächen umgearbeitet, woDie Flohlräume und glatten, weiten durch die Mauermasse 'ungefähr einen Flächen, die die Beschaffenheit des Meter dick ist. Die Fassaden sind mit Materials bietet, vermitteln einen plasti­ Dekorationen - aus einem kurz- und schen Charakter, der sich den in die geradlinigen Motivrhythmus bestehend Felswände gehauenen Öffnungen an­ versehen und harmonieren mit der Archipasst. Im gebauten Teil der Häuser for­ tektur. Die Stockwerkhöhe wird an der men Gewölbe oder Balken das Dach. Fassade angegeben, die Fenstergesimse Die Dachbedeckeng besteht aus waag­ scheinen den Erfordernissen des Gebäurecht gestampfter, regelmässig zylin­ des entsprungen und nicht an der Fassade drisch geformter Erde. Horizontaler oder angebracht. Die Schwellenhöhen sind mit vertikaler Gewölbedruck spielt nur in Blumendekorationen markiert.

diesen Teilen eine Rolle. Die architek­ Die Felsen und Feenkamine beherbergen tonische Gestaltung ergibt sich aus den sowohl Menschen als auch Tauben.

■statischen Bedingungen ; im Falle geringer Taubenschläge sind in dieser Gegend Öffnungen ist die Decke flach und parallel ebenso wichtig wie Wohnungen, da der zum Boden herausgemeisselt, erreicht die Taubenmist ein ausgezeichnetes DüngeÖffnung 3 bis 4 m, so wird sie von einem mittel für die steinige Erde bildet. Das Gtfwölbe abgeschlossen, und bei noch Ozengidere-Tal besitzt so viele Tauben, grösseren Ausmassen sind Säulen aus der dass es auch Taubental genannt wird.

Felsmasse gehauen. Tür- und Fenster- Überall in diesem Gebiet wurden Tauben-

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Schläge angelegt; unbewohnte Häuser oder die oberen Teile der Feenkamine dienen diesem Zweck. Die Eingänge sind, um die Tauben anzulocken, blau und rot bemalt.

Der örtliche Baustoff, die soziale und wirtschaftliche Struktur haben auf die Lebensweise und folglich auf die Organisation der Häuser und Dörfer eingewirkt.

Die Vorarbeiter und Arbeiter im Baugewerbe kennen ihr Fachgebiet sehr gut und sind darin wahrhaftige Meister, denn die Kunst der Vorfahren überträgt sich von Generation zu Generation. Die Meister, die die Wahrheit des Steines und des Kampfes der Menschen gegen die Natur begreifen, haben toten Stein wiederbelebt. Die Plätze dieses Gebietes, die Anlage der Dörfer und Häuser, die Verschmelzung mit der Natur sind für Architekten lehrreich. Die Gegend von Urgüp-Görem-Nevsehir ist eine tiefere Studie wert.

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Gilles Barbey Forschung in der Architektur In einigen Jahren wird architektonische Forschung allgemein als ebenso notwendig betrachtet werden, Wie dies auf dem Gebiet der Medizin, der Physik, der Biochemie und vieler anderer Wissenschaften bereits der Fall ist. Man könnte denken, dass diese Ansicht eine gewisse Gehaltlosigkeit oder ausschliesslich die Sorge, auf der Tagesordnung zu stehen, in sich birgt, da es sich in Wirklichkeit unter den derzeitigen Umständen sehr gut leben lässt und architektonische Forschung folglich überflüssig ist. Aber gerade die unzulängliche Erforschung des neuen Potentials und die mangelnde Verbreitung der erhaltenen Resultate führt zu der allgemeinen Mittelmässigkeit, die wir um uns herum wahrnehmen.

Die Bemühungen derer, die aktiv eine breite und unserer Lebensweise mehr gerechte architektonischelnformation anstreben, müssen unterstützt werden. Jeder Architekt ist Forscher, da ihm seine Tätigkeit die Entwicklung seines Schöpfungsvermögens und die Koordination zahlreicher Werte im Hinblick auf einen sehr spezifischen Endzweck auferlegt.

Eine Verfahrensweise, die allzuoft den Spuren der technokratischen Entwicklung folgt, kann unglücklicherweise nicht als Forschung bezeichnet werden. Beim Versuch, die Qualität dieser oder jener Einzelheit aufzuwerten, verliert der Architekt den Gesamtüberblick. Der natürliche Forschungskreislauf, der Dokumentation + Assimilation + Phantasie = Schöpfung beinhaltet, wird dabei nicht angewendet.

Dank der entschlossenen und hartnäckigen Arbeit aufgeschlossener Menschen existiert jetzt ein reiches Informationsmaterial. Daran sind nicht nur

«Visionäre» - oder was man als solche bezeichnet - beteiligt, obgleich man ihre Leistung nie vernachlässigen sollte. Einer vereinfachten Vofausschau, bei der man sich damit zufrieden gibt, für die Bedürfnisse von morgen rein technologische Heilmittel zu finden, sollte mit Misstrauen begegnet werden. Diese Art von Forschung schafft einen Ausdruck, der sich auf eine mechanisierte Umwelt beschränkt.und die Architektur zu einer rein technischen Übung und dem Lancieren neuer Gebrauçhsgegenstânde macht.

Jegliche Architekturforschung behandelt auf der einen oder anderen Stufe folgendes Problem: Schaffung eines möglichst günstig definierten Raumes. Dabei ist der qualitative Gesichtspunkt mindestens ebenso wichtig wie der quantitative.

Selbst wenn Charakter und Bedürfnisse von Region zu Region beträchtliche Verschiedenheiten aufweisen, so weist das menschliche Streben doch gewisse Konstanten auf; die man kennen muss. Einzig eine gute Information wird uns vor monumentalen und mit derartiger Sicherheit ständig wiederholten Irrtümern bewahren können.

Man muss sich ständig auf die vitalen Funktionen des Menschen beziehen und sich bewusst sein, dass die mit einfallsreichen Mitteln herbeigeführte Vereinigung einer grossen Anzahl identischer Zellen nicht zwingend zum Erfolg führt, auch wenn jede Einheit für sich betrachtet gut geplant ist. Es herrscht jener weitverbreitete Glaube, dass eine im Detail wohldurchdachte Anordnung, ist sie nur häufig wiederholt, auch in grossem Massstab eine befriedigende Lösung darstellt. In Wirklichkeit ist dies meist. falsch. Denn wenn die vom

Architekten gefundene Antwort auf technisch und wirtschaftlich soliden Basen ruht, so wird man jedoch eine vollständige Unkenntnis der geistigen Beweggründe erkennen. So erleben wir unzählige Versuche, Wohnungen zu entwickeln, die in ihren Bestandteilen ganz und gar rationalisiert sind und alle Voraussetzungen für eine Massenproduktion besitzen. Die Entwicklung der menschlichen Bedürfnisse ist bei der Planlegung, die einem bekannten Schema folgt und vorausgetroffenen Wahlen untergeordnet ist, die ihrerseits nicht mehr in Frage gestellt werden, nicht in Betracht gezogen worden. Daraus ergibt sich, dass die Anfangsfehler mit hundert oder tausend multipliziert werden. Resigniert wird der Bewohner dieser Wohnungen nichtsdestoweniger die nötigen Mittel finden, in ihr zu leben.

Neben den technischen Aspekten, die zu einem Grad verherrlicht werden, dass sie das Wesentliche verbergen, wissen wir nichts über die Art, wie sich die menschliche Wahrnehmung , im Innern der Wohnung auswirkt. Wir wissen nicht genau, wie und weshalb eine mittelmässige Wohnung das psychische System des Individuums beeinflusst. Wir wissen nicht wirklich, wie der Mensch den Raum «erfasst und verbraucht». Wir ignorieren im allgemeinen, welche düsteren Wirkungen eine schlechte Architektur zeitigt, und wir haben uns daran gewöhnt, nicht darauf zu achten.

Glücklicherweise haben sich einige von dieser Wissenslücke auf einem so grundlegenden Gebiet beunruhigte Forscher, daran gemacht, das Verhalten des Menschen in seinem Wohnmilieu zu erforschen. Beim Zusammentragen von anthro69

pologischer, soziologischer, psychologischer, ökologischer Information und Beobachtungen auf zahlreichen anderen Wissenschaftsgebieten entdeckten sie Hinweise, die sie ihrerseits verbreiteten. So entstand die Sorge um die Umwelt. Das Raumbedürfnis .fand mit der Zeit eine qualitative Definition.

Eine bessere Entfaltung des Menschen setzt räumliche Kontinuität voraus.

Räumliche Kontinuität besitzt ganz besonders die wilde Natur, Wälder, Wiesen, Meeresküsten . . . überall da, wo die natürlichen Elemente ohne den geringsten Abbruch aufeinanderfolgen.

Diese primäre Eigenschaft der Architektur sollte in unseren Stadtwohnungen verwirklicht werden, besonders da dies heute nicht der Fall ist und wir eine immer massivere Entfremdung der städtischen Wohnform und eine Zunahme der Geisteskrankheiten erleben.

Warum, also ist diese Kontinuität so bedroht? Weil sich mit zunehmender Systematisierung des Bauwesens die Zahl der identischen Räume ins Unendliche vermehrt. Meist sind diese Volumen Würfel oder Längwürfel: von sechs Flächen - Boden, Decke und vier Wänden - gebildete Zimmer, insgesamt eine beträchtliche Anzahl rechteckiger Kanten. Jede Kante bedeutet Bruch und Diskontinuität des Volumens, also Hindernis. Kommen zu diesen Eigenschaften übermässig begrenzte Dimensionen und wahllos verstreute Öffnungen hinzu, wird das Milieu kaum erträglich. Gerade das geschieht meistens.

Daneben gilt es noch weitere Bestrebungen zu beachten: den berechtigten Wunsch nach Schutz und Auslauf ins Freie. Genau wie sich das Blickfeld von der Netzhaut aus weitet und sich bei der Begegnung mit der Umwelt vergrössert, so muss die Situation des Menschen in seiner Behausung ihm eine gesellschaftlich-kulturelle Vollendung ermöglichen.

Wie aber kann dies erreicht werden, wenn er sich zu Hause hinter einem Komplex von Gängen und Treppen verbarrikadiert sieht? Beim Öffnen der Haustür treten wir nicht ins Freie, und unsere Fenster gehen auf die Nachbarmauer.

Meistens gleichen Sich die Wohnungen zu sehr und sind in .ihrer Zusammensetzung ungenügend variiert. Der konstante Abstand zwischen Decke und Boden, die Identität der Zimmer untereinander und das Fehlen jeglicher Öffnung nach aussen sind Mängel, durch die der Mensch sich eingesperrt fühlt. Die Wohnung muss folglich entneutralisiert werden, und man sollte Leitdimensionen einführen. Ist ein Raum teilweise grosszügig dimensioniert und teilweise beschränkt und besteht eine direkt ersichtliche Beziehung zwischen dem Innern und dem Freien, so kann er als Leitraum bezeichnet werden. Ist der Charakter eines Zimmers somit genau festgelegt, so muss ein Übermass an spezifischen Eigenschaften vermieden 70

werden. Wichtig ist, dass eine Wohnstätte Raum zur Aktion, zur Veränderung, Zerstreuung oder Sammlung bietet. Indem man eine Türe mit einem Etikett versieht, schränkt man die Benutzung des dahinterliegenden Zimmers ein.

Um die besonderen Eigenschaften ein# Raumes hervorzuheben, wird es nicht länger notwendig sefii, die Wände mit unnützem Schmuck zu versehen. Sein Charakter fwird ganz im Gegenteil eine Folge seiner Ausformung sein. Möbel werden nicht länger obligatorisches Zubehör sein, das den Boden versperrt und die Bewegungsfreiheit beschränkt. Es ist denkbar, dass die Möbel mehr und mehr im Wohnungsbau aufgehen werden und sogar gleichzeitig mit dem Haus erstellt werden. Vielleicht wird man «Wohnböden» erfinden, eine Aufeinanderfolge von ebenen und zufälligen Oberflächen.

Sie wären dem Relief einer Landschaft, in der der Körper Unterstützung für seine verschiedenen Tätigkeiten finden könnte, angepasst. Boden und Wände wären nicht länger untrennbar geteilt, sondern würden in weichen Biegungen ineinander übergehen. Der Wert der Wohnungsbestandteile kann sichtlich verändert und entwickelt werden.

Eine geeignete Forschung muss die tiefen und wesentlichen Bestrebungen des Menschen in Betracht ziehen, um so in Zukunft zu einem harmonischeren Milieu zu gelangen. Bisher hat die Wohnung einzig den' rein, vegetativen Appetit des Menschen befriedigt. Ein Plan entsteht in Abhängigkeit von Schlaf, Freizeitbeschäftigungen, Nahrungs- und sanitären Bedürfnissen. Es ist vollkommen unzumutbar, wenn er den psychischen Funktionen des Menschen zuwidergeht oder sie vernachlässigt.

Aufgrund der Aussage zahlloser Ärzte, Psychiater und Soziologen wissen wir, dass die in letzter Zeit in aller Eile errichteten Wohnstätten die Ursache vieler Übel bilden: Familienzwistigkeiten, Jugendkriminalität, Traumatismen ... Es besteht in Zukunft keinerlei Anlass mehr, diese Erkenntnisse zu ignorieren und mit dem Bau mittelmässiger Wohnungen fortzufahren. Dieses globale Bewusstsein dieser Probleme muss weiterentwickelt werden, um die Schaffung und Wiederentdeckung würdigerer Lebensbedingungen zu erreichen.

Beim Versuch, diese bereits begonnene Architekturforschung weiter zu präzisieren, lohnt es sich, einige voneinander verschiedene Wege’ zu beschreiben. Die systematischste und umfangreichste Arbeit wird in den Vereinigten Staaten betrieben. Das beruht auf der Tatsache, dass die wirtschaftliche Entwicklung der USA auf eine weit ausgeprägtere Art als in Europa, zu einer bedeutenden Ausdehnung der Stadtzentren im Laufe einiger Jahrzehnte beigetragen hat, dass diese in einem Land, das keine histonschen Gesamtheiten kennt, in anarchischer Weise gewachsen sind und dass die Architekten angesichts des ewigen Problèmes, einen abstossenden städtischen Rahmen neu zu gestalten, ein besonderes Bewusstsein dieser Probleme entwickelt haben.

Das Institut amerikanischer Architekten zählte im Jahre 1966 58 Forschungsorgane, davon 41 im Rahmen einer Universität. Die von diesen Instituten untersuchten Gegenstände und Projekte erstrecken sich von der Wohnung zum Studium der Lichtverhältnisse, über Planung, Geschichte, Psychologie . . .

und dies immer in Verbindung mit der Architektur. Die Arbeiten werden von Forschungsgruppen oder individuell ausgeführt. Sie führen zur Abfassung von Thesen und Memorien, zur Aufstellung von Graphiken und Karteien und zu praktischen Versuchen.

Der Ingenieur Buckminster Fuller ist, assistiert von John McHale, seit langem ein Erfinder und Forscher von seltener Grösse. Nach der Erprobung und Anwendung völlig neuer Bausysteme, wie zum Beispiel geodätischer Kuppeln, leichter und transportabler Metallhäuser, wirtschaftlicher Strukturnetze, hat sich Fuller daran gemacht, ökologische Grundlagenforschung zu betreiben. Seine Tätigkeit hat ihn dazu angeregt, solche Erscheinungen wie die Geschwindigkeit der Bevölkerungszunahme, die Entwicklung der Produktivität, die Widerstandskurven von Metallen, das Anwachsen der Verkehrsmittel usw. im einzelnen zu studieren.

Zur Durchführung dieser kolossalen Aufgabe, der er den Namen «World Design Science Research 1965-1975» gab, rief er alle Architekturschulen der Welt auf, ihre Anstrengungen zu vereinigen, da er glaubt, dass ihre Studenten Zeit, Fähigkeit und den erforderlichen Sinn für Synthese haben, um sie zu. einem guten Ende zu führen. Der Spezialist kann nach und nach durch den Elektronenrechner ersetzt werden, da dieser die Kriterien unfehlbar unterscheidet - und aufgrund dieser Tatsache den Platz des Spezialisten einnimmt -, wogegen der Mensch die Fähigkeit der Beurteilung und der Synthese, die zur geeigneten Integration der Werte führt, besitzt. Diese globale Vision der ökologischen und evolutiven Phänomene ist kapital, und der Architekt scheint nach Ansicht Fullers am besten plaziert, um sie zu formulieren.

Es muss ebenfalls auf die Forschungen hingewiesen werden, die sich auf die Entdeckungen von Fachleuten auf dem Gebiet 'der Kommunikation und Wahrnehmung, wie Edward T. Hall, J. J. Gibson und M.'McLuhan, stützen. Die auf dem Gebiet der zwischenmenschlichen Beziehungen,unter Berücksichtigung ihrer fortwährenden Entwicklung, durchgeführte tiefgehende Analyse klärt uns über alle psychjschen und affektiven Mechanismen des Menschen auf und orientiert uns im Hinblick auf die direkten Auswirkungen, die diese Erscheinungen auf das unter Mithilfe des Architekten er-

fundene und geformte Lebensmilieu haben. Die architektonische Psychologie stellt sich als eine wesentliche Wissenschaft heraus. Sie studiert die Beziehungen zwischen Mensch und Raum, worin er sich aufhält, zeigt Methoden auf, die zur Definition der geeignetsten Hülle führen und befasst sich mit cten Grundunterschieden zwischen den menschlichen Verhaltensweisen, die dem Projektgestalter wertvolle Hinweise liefern.

Robert Wehrli schildert in seiner Studie «Architectural Psychology» verschiedene Verfahrensweisen, die es dem .Architekten gestatten, von Anfang an sicher zu gehen, dass er bei der Ausarbeitung eines Projektes die grundlegenden Bestrebungen des Menschen nicht ausser acht lässt. Robert Bechtel hat'das individuelle Verhalten studiert und dabei zwischen Gewohnheits- und Erkundungsgängen unterschieden. Durch Untersuchungen in Museen, bei denen er für das Publikum bestimmte graphische Aufnahmegeräte verwendete, gelang es ihm zu messen, wo und wie lange der Besucher vor Kunstwerken verharrte. Dabei erhielt er wertvolle Hinweise über natürliche Bewegungen und die vom Individuum beachteten kritischen Abstände. Andere Forscher studierten das soziale Verhalten und den täglichen Kontakt zwischen Familien, die in entgegengesetzten Wohnkategorien leben. Andere wiederum haben sich von der Übung der Sinne ausgehend näher mit der Beziehung zwischen Wohnung und Bewohner beschäftigt. Sie verstanden es, klar aufzuzeigen, welche Eigenschaften man von einem wohldurchdachten Innern erwarten kann, und sie wiesen auf die Irrtümer hin, zu denen die Gewohnheit von dem Augenblick an, wo die Bestandteile der Architektur nicht neu durchdacht werden, unfehlbar führt.

Neben der gesamten analytischen Forschung muss auch die Weiterführung des praktischen Experimentes betont werden, Einige dem Werk Robert Venturis entnommene Beispiele beweisen eindeutig den Willen, Innenräume von grossem formellem Reichtum zu gestalten. Dadurch erreicht man die Schaffung' von plastischen Aussenvolumen, die das Bestreben nach einem fortlaufenden Ineinandergehen von Dächern und Mauern charakterisiert. Dieses Verfahren ist in dem Masse fortschrittlich, in dem nicht ein konventionelles Programm in das Innere eines zuvor errichteten Volumens

gepresst wurde. Auch Charles Moore hat diese Kontinuität des Raumes gesucht, die synonym mit einer nach so vielen engen Wohnungen wiedergefundenen Freiheit ist. Ihm schwebte die Errichtung geräumiger, leerer Volumen vor, in denen einige grossdimensionierte, lebhaft gefärbte Elemente zugleich als Trennwände und Möbel dienen. So entstand die Idee vom «Kondominium», von der Struktur innerhalb der Struktur - ein Versuch, den Massstab im Innern der Wohnung in Frage zu stellen. Die Farbe spielt dabei eine aktive Rolle, sei es als Verbindungselement oder um den Kontrast zwischen den Oberflächen hervorzuheben. Weite, mehrere Meter lange lineare Motive strecken sich von der Mauer bis zur Decke. Durch Grundieren erhält das Zimmer èine erweiterte Dimension und vermittelt so den Eindruck, als ob die so gezeichneten Flächen durch einen sehr breit dimensionierten Körper aufgeteilt würden. Man kann feststellen, dass diese Versuche die ersten Offenbarungen einer Zivilisation sind, in der der Mensch den Raum auf eine neue Weise begreift. Dies ist richtig, und es zeigt sich darin der Wille, die Wohnung nicht mehr auf ein kleines gepolstertes Nest zu reduzieren, sondern sie dank den plastischen, symbolischen und räumlichen Aufrufen der Strassen, der Schaufenster und sogar der Autobahnen, viel: mehr mit einer viel weiteren Gesamtheit zu assimilieren.

Der Beitrag der französischen Gruppe «Architecture Principe» - Claude Parent, Paul Virilio, Michel Carrade, Morice Lipsi - scheint grundlegend, da er die Errichtung rechteckiger Strukturen in Frage stellt, die als Produkte eiper vergangenen Zeit und überholter Bedürfnisse betrachtet werden können. Es wird also nicht mehr genügen, nach traditionellen Methoden zu bauen, sondern es geht darum, in Zukunft eine Architektur zu schaffen, die dem Fussgänger ein freies Bewegen erlaubt. Es ist wichtig, eine bewohnbare und bestehende Unterlage zu schaffen anstelle einer Anhäufung von Etagen. Diese Unterlage kann in ihrer Form nahe mit Hoch- und Tiefbauwerken, wie Autobahnnetzen und -kreuzungen, verwandt sein, die ihrerseits von diesem erweiterten Massstab profitieren.

Durch Orientierung des Städtebaus und der Architektur nach einer besseren Entfaltung im Raum eher als durch ein

Streben nach Beweglichkeit ihrer Bestandteile können Lebensbedingungen geschaffen werden, die unseren Bedürfnissen entsprechen. Die schräge Fläche erlaubt es, eine Verschmelzung der unaufhörlichen Kreislauffunktionen der Wohnung zu verwirklichen. Einige Schöpfungen der Gruppe «Architecture Principe» beweisen bereits das Engagement der Architektur in Manifestationen, deren grundlegende Gegebenheiten von Dynamik und Beständigkeit gebildet werden.

Es ist ohne Zweifel überflüssig, an dieser Stelle über die in fast allen Ländern der Welt unternommenen und in ihrem Endresultat häufig verschiedenen Vorschläge zu berichten. Schöpfer wie Paolo Soleri, Yona Friedman, Paul Maymont, Arthur Quarmby und Walter Jonas sind für ihre zahlreichen verschiedenen Studien bekannt. Aus ihren Projekten spricht das Streben, mit neuen Begriffen eine an das Leben von morgen angepasste Wohnform zu finden.

Jede Art von Forschung muss von einer tiefgreifenden Kenntnis der menschlichen Bestrebungen ausgehen. Es ist also völlig unzureichend, dem technischen Fortschritt begegnen zu wollen,. indem man die Wohnprobleme in Abhängigkeit der Entwicklung von Maschinen, der zukünftigen Verkehrsmittel und der Bändigung neuer Energien löst. Neben allen offenkundigen Vorteilen, die die technische Perfektionierung bietet, kommt man nicht darum herum, sich dem Problem des symbolischen Wertes - und seiner direkten Auswirkungen auf den Bewohner - des zukünftigen Lebensmilieus zu stellen. Der Mensch kann sich nicht mit einem vollkommen künstlichen und hochgradig mechanisierten Rahmen zufrieden geben, in dem er nur eine Antwort auf seine dringendsten Bedürfnisse findet. Er darf also nicht länger die Verfolgung des technischen Fortschrittes mit dem Klima des Wohlbefindens verwechseln, das einer geeigneten Anpassung 'wesentlicher Werte entspringt.

Man sollte also der Lehren Jane Jakobs gedenken, der darzulegen verstand, wo Reichtum und Armut der existierenden städtischen Strukturen lagen. Auch kann man auf die Schriften Gaston Bachelards zurückgreifen, der die Resonanz von Grundelementen wie Wasser, Raum und Licht mit einer instruktiven Subtilität analysiert hat.

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Richard England Die Architektur der maltesischen Inseln Geschichtliche Tradition

Es wird zunächst notwendig sein, eine kurze Beschreibung des hauptsächlichen Baumaterials der Insel, ihres Steines, zu geben. Durch Verwendung dieses bemerkenswerten, Materials konnte Malta eine erstklassige Architektur schaffen. Der

Stein, aus dem alle Bauwerke geschaffen sind, ist ein weicher, unter dem Namen Globigerina Limestone bekannter Kalkstein. Er ist leicht zu fördern, zu brechen und zu formen. Bei der Berührung mit Luft beginnt er hart zu werden, zu reifen und nimmt eine dünkle Farbe an. Die

Genauigkeit der Werke, Skulpturen und der Zusammensetzung gewaltiger Plattenwerke wird erst bei ihrem Anblick glaublich, um so mehr als man daran denken muss, dass die Baumeister nicht mit dem Gebrauch von Kupfer und Bronze vertraut waren. Die Anlage des Hagar Qim 71

und des Mnajdra, als Stufentempel bemerkenswertem Einfallsreichtum übergruppiert, ist die einzige Gruppe, die im wunden, die klimatischen Bedingungen Verhältnis zu einer ausgedehnten Land­ werden mit ausserordentlicher Klarheit schaft studiert werden kann. Es besteht beachtet, und die Gesamtanlage beweist kein Zweifel, dass das schönste architek­ eine einfache und direkte Denkweise, die tonische Werk dieser Epoche das unter­ für die gesamte einheimische Primitivarchitektur charakteristisch ist. Dieses irdische Hypogeum ist.

Obgleich phönizische und römische.Über- Erbe ist, wenn auch oft vergessen, ohne reste erhalten sind, kann sich keine dieser Zweifel von grosser Bedeutung und kann Epochen mit der megalithischen oder der als der typischste und einheimischste Teil darauffolgenden glanzvollen Ära messen : unserer ganzen überreichen architekdie Beherrschung der Insel durch die tonischen Tradition betrachtet werden.

Ritter vom St.-Johannes-Orden. Eine kuriose Erscheinung ist das beinahe voll­ Die gegenwärtige Lage ständige Fehlen arabischer Überreste, Seit etwas weniger als drei oder vier obwohl die Insel während mehrerer Jahr­ ’ Jahren sind die maltesischen Inseln hunderte von Arabern beherrscht war. Gegenstand einer unglaublichen NachInteressanterweise wurden, bis auf wenige frage von seiten der Touristen und mögAusnahmen, alle während dieser Zeit lichen Ansiedler, die in Zukunft sehr errichteten Bauwerke von maltesischen wohl eine Erweiterung erfahren könnte.

Architekten entworfen, die in ihrer Mehr­ Ohne Zweifel erlebte Malta die wichtigste zahl von den Rittern zur Ausbildung nach Bauperiode, die es je gekannt hat. Mit Italien geschickt worden waren. Dieser einem architektonischen Hintergrund und Zeitabschnitt geht mit der vollständigen einer lebendigen Umgebung hoher Güte Erstellung der Festung Vailetta zu Ende, müsste die neue Architektur eigentlich einem einzigartigen Beispiel für einen sehr viel versprechen; dennoch hat die Gesamtentwurf und Einzelgebäude von neue Ära nichts Bemerkenswertes hervorhoher Qualität. Während der ganzen gebracht. Viele neue Bauwerke, und das Besetzung der Insel durch die Ordens­ ist ein äusserst wichtiges Element, spieritter entstanden hervorragende Bauten, geln jedoch einen gewissen Traditionaliszu denen jenes erhabene Beispiel der mus sowohl in der Verwendung der Theaterarchitektur (geschaffen unter der Baustoffe als auch in der AussengestalHerrschaft des Grossmeisters Manoel de tung wider. Vielleicht wird eine speziViihena), dp.s Manoel-Theater, gehört. fische Ausbildung, die mehr auf unsere Auch die Festung Medina wurde während Umgebung bezogen ist und sich besondieser Zeit ausgebaut, wenn auch ihre ders an unsere lange und ausserordentUmgestaltung zur befestigten Stadt Jahr­ liche Tradition anlehnt, dazu beitragen, hunderte früher begonnen worden war.

Architekten hervorzubringen, die ihrerNach dem Ende der Ritterherrschaft seits mit mehr Gefühl fül unsere Umwelt wurde die Insel im Jahre 1814 britisch. schaffen werden. Mit dem Bau der neuen Aber im Vergleich zum Nachlass ihrer . Universität wird die Architekturfakultät Vorgänger scheiterte der Beitrag der heftige Veränderungen erleben.

Engländer kläglich.

Der Artikelverfasser ist auf der Suche Die Insel besitzt ein sehr starkes Indivi­ nach einem architektonischen Ausdruck, dualitätsgefühl, das ebenso in abgelegenen der mit der maltesischen Tradition harBauernhöfen wie in den Dörfern zu be­ monieren könnte. Er ist davon übermerken ist. Dieser einheimische, spon­ zeugt, dass diese Bestrebung schwierig tane Ausdruck der Architektur zeigt sich und mühevoll sein wird, sie muss aber dem Betrachter in einer einzigartigen, vor allem aufrichtig verfolgt werden, frei überall verwendeten Grundform: dem von ausländischen Einflüssen und KliWürfel.

schees. Anderseits ist die Verwendung Ein Bauernhof setzt sich aus einem ein­ fortschrittlicher Methoden in einem Land fachen dominierenden Würfelelement, wie Malta aufgrund des Mangels an das einen besonderen Ausdruck auf­ Facharbeitern schwierig.

richtigen, klaren und kraftvollen Denkens Unsere traditionellen Bauten weisen ein widerspiegelt, zusammen. Das Problem sehr starkes Übergewicht massiver Elehiess Überleben, und die angewendete mente über den leeren Raum auf - die Lösung ist direkt und glücklich. Die Mauerdurchbrüche sind klein -, um so Räume sind sorgfältig gewinkelt, die die trockene Sommerhitze fernzuhalten.

Konstruktionsschwierigkeiten werden mit Patios, die einen wohlbenötigten Schutz

gegen Wind und Regen bieten, herrschen vor.

Die allgemeine Tendenz, die sich in der touristischen Entwicklung der ganzen Wélt abzeichnet, besteht in der Unterdrückung einer Wesentlichkeit, die in der architektonischen Schöpfung mit Vorteil verwendet werden kann : Originalität.

Der Autor hofft aufrichtig, dass Malta sich diesem Ström nicht anschliessen wird, sondern im Gegenteil seine ruhmreiche Vergangenheit assimiliert, was zur Formung und Schaffung eines modernen und neo-originalen Ausdrucks beitragen würde, der, obgleich er die Probleme und Lösungen des Traditionalismus mit.

sich führt, wesentlich jung, kraftvoll und zeitgemäss sein wird.

Die Werke des Autors offenbaren ein Bestreben, das diesen Glauben rechtfertigt, durch eine Verbindung mit der lokalen Tradition und unter Beibehaltung des mediterranen Charakters, ohne dabei auf die Verwendung eines modernen Rationalismus zu verzichten. Sein Projekt für die St.-Josephs-Kirche in Manikata sowie ein Kitwurf zu einer Kapelle sind von den Grundformen der megalithischen Tempel und auch der primitiven Geräteschuppen, die oft in der maltesischen Landschaft zu sehen sind, inspiriert. Sie folgen dem traditionellen Vorbild, nach dem die Kirche auf dem höchsten Punkt des Dorfes liegt, und ihren barocken Formen, die mit der kubischen Struktur des Dorfes kontrastieren.

Der Architekt hat in Malta, einer verhältnismässig jungen Nation, die sich erst noch verankern muss, heute eine äusserst wichtige Stellung. Denn der maltesische Architekt hält den Schlüssel zur Zukunft des Landes in seiner Hand, nicht nur in architektonischer Hinsicht, sondern in einem viel weiteren und wichtigeren Sinn. Die Lösung für Malta ist, nach Ansicht des Autors, in einer für unser Land (und in ihm geborenen) besonderen Architektur zu suchen, einer Architektur,, die, da sie in Abhängigkeit ihrer speziellen Umwelt geschaffen wurde, gezwungenermassen maltesisch sein wird, denn sie wird geschaffen sein, um mit einer existierenden maltesischen «Voraussetzung» übereinzustimmen.

Das Gefühl und die Schaffung dieses Werkes müssen sich als eine spezifische Lösung des maltesischen Lebensproblemes, unter dessen besonderen Bedingungen, entwickeln.

Die «Freundschaftsstrasse» Die Internationale Bildhauerversammlung, die vom Organisationskomitee der XIX. Olympischen Spiele im Rahmen des Kulturprogramms einberufen wurde, hat sich vollkommen von allen Symposien oder bisher in anderen Ländern organisierten Bildhauertreffea unterschieden.

Da der Zweck des Ganzen war, im Zei72

chen der Völkerverständigung die Elite der Menschheit zu vereinigen, haben hier in der Tat zum erstenmal Künstler aus den fünf Kontinenten teilgenommen. Nie zuvor war ein Treffen von einem so weiten und grosszügigen Begriff inspiriert worden.

Die künstlerische Orientierung dieser

Versammlung hat ihr noch einen anderen fundamentalen Gesichtspunkt gegeben, denn von Anfang an war eine enge Zusammenarbeit zwischen den Künstlern, Planern, Architekten und Ingenieuren vorgesehen. Die Gesamtheit der Arbeiten bildete den Mittelpunkt des Symposions. Hierfür waren achtzehn Bild-

hauer aus sechzehn Ländern eingeladen, ein Originalmodell anzufertigen. Zu diesem Zwecke sandte jeder dieser Bildhauer ein Modell einer monumentalen Skulptur ein (aus Eisen, Aluminium, Silber, Gips, Holz, Ton oder Pappe). Diese Entwürfe wurden von einer Gruppe mexikanischer Beigeordneter und Techniker überprüft.

Die Leitung unterstand dem Architekten Pedro Ramirez Vasquez, Präsident des Organisationskomitees der XIX. Olympischen Spiele, und dem Bildhauer Mathias Goeritz, künstlerischer Berater des Organisationskomitees und Urheber des Projekts der «Freundschaftsstrasse».

Da die Materialwahl auf den Beton beschränkt war, musste die Auswahl der Künstler auch danach gerichtet werden: Es konnten ’nur diejenigen in Betracht kommen, die schon einige Erfahrungen in der Handhabung des Betons hatten oder deren Gesamtschaffen durch seinen Stil für eine Interpretation in diesem Stoff geeignet war. Eine Gruppe, die aus Architekten, ■ Kunstkritikern und Vertretern des Organisationskomitees gebildet war, war mit der Endauswahl beauftragt. Die Ausführung des Projekts in einem monumentalen Massstab war die geeignetste, da die Origihalidee zu berücksichtigen war, im Herzen einer weiten, offenen Landschaft, dem ganzen Südabschnitt des «peripherischen Ringes» entlang (Autobahn, die die Stadt Mexiko umkreist), dessen Zentrum das olympische Dorf bildet, eine 17 km lange «Strasse» zu schaffen. Die genannte Autobahnstrecke durchläuft den «Pedegral» (Lavazone, in der die Bauten ziemlich selten sind). Die Strasse wurde mit den Skulpturen in Abständen von 1 bis 1,5 km abgesteckt. Diese Abstände wurden in den interessanteren Gebieten, wie z. B. nahe dem olympischen Dorf, verkürzt. Die Höhe der Werke schwankt zwischen 5,70 m und 18 m, mit einem Durchschnitt von 11 m.

Die ausländischen Bildhauer sind gegen den I. Juni 1968 in Mexiko angekommen.

Die groben Arbeiten waren schon ausgeführt (Grundlagen, verschiedene Fundamentelemente), da die Berechnung und die Pläne schon zuvor ausgeführt worden waren.

Mehrere Programmpunkte wurden erst im Laufe der Internationalen Bildhauerversammlung festgelegt, wie z. B. die Ausarbeitung und Farbe der Skulpturen, die Grünanlagen, die Beleuchtung usw.

Bei der Eröffnungssitzung hatte Mathias Goeritz einen Vorschlag unterbreitet, der darauf hinausging, einen «Internationalen Rat der künstlerischen Planung» zu gründen. Unter anderem sagte er: «Das Lebensmilieu des modernen Menschen wird von Tag zu Tag verwirrter.

Die Bevölkerungszunahme, die steigende Lebenssozialisierung und der immer schneller werdende Fortschritt einer der Technik gewidmeten Epoche haben eine verwirrende Wirkung. Eine allgemeine Hässlichkeit - sei dies der täglichen Gebrauchselemente oder der Reklameplakate - haftet den Städten und vor allem den Vororten und Strassen an, wo doch diese letzteren im Jahrhundert der Schnelligkeit und des Autos eine nie zuvor gekannte Bedeutung erreicht haben.

Folglich ist es notwendig, eine künstlerische Planung für die Strassennetze und den zeitgenössischen Städtebau vorzusehen. Anstatt mit den Städtebauern, Architekten und Ingenieuren Zusammenarbeiten zu können, sieht sich der Künstler heute gezwungen, für eine Minderheit, die die Ausstellungen und Museen besucht, zu arbeiten.

Der Begriff einer Kunst, die von Anfäng an in die Stadt eingeplant wird, ist für unsere Epoche von fundamentaler Bedeutung. Wir müssen das künstlerische Schaffen aus dem Bereiche der <kunst für="" die="" kunst)="" befreien="" und="" es="" in="" einen="" geplanten="" zusammenhang="" bringen,="" um<="" p=""></kunst>

es der Masse zugänglich zu machen und im selben Planungszusammenhang die fundamentalen geistigen Bedürfnisse der modernen Gesellschaft wiederzugeben.» Die Liste der teilnehmenden Bildhauer in der Reihenfolge ihrer Werke auf der «Freundschaftsstrasse» : 1. Angela Gurria Mexiko 2. Willi Gutmann Schweiz I 3. Milos Chlupac Tschechoslowakei 4. Kioshi Takahashi Japan 5. Pierre Székely Ungarn/Frankr.

6. Gonzalo Fonseca Uruguay 7. Costantino Nivola Italien 8. Jacques Moeschal Belgien 9. Todd Williams USA 10. Grzegorz Kowalski Polen 11. ClementMeadmore Australien 12. Herbert Bayer Österreich/USA 13. Joop J. Beljön Niederlande 14. Itzhak Danziger Israel 15. Olivier Séguin Frankreich 16. Möhamed Melehi Marokko 17. Helen Escobedo Mexiko 18. Jorge Dubón Mexiko Ausser der «Freundschaftsstrasse» sind noch drei weitere Skulpturen von monumentalem Charakter an verschiedenen Punkten Mexikos errichtet worden.

Gegenüber dem Stadion- «Azteca» hat Alexander Calder, Ehrenmitglied des Komitees, ein- 24 m hohes Eisen-«Stabil», dessen Titel «Die rote Sonne» lautet, geschaffen.

Der mexikanische Bildhauer German Gueto, ebenfalls Ehrengast, hat beim Olympischen Stadion des Universitätszentrums eine 7 m hohe Bronzeskulptur geschaffen.

Eine aus sieben 15 m hohen Säulen gebildete Einheit aus bestrichenem Beton, «Der grosse Bär» betitelt, ein Werk von Mathias Goeritz, erhebt sich am Eingang des Sportpalastes.

Herbert Bayer Gedanken eines Bildhauers der «Freundschaftsstrasse» Ich versuche hier, die Gedanken, die mir durch den Kopf gegangen sind, und die Beobachtungen, die ich beim Vorbereiten meiner Skulptur sowie während der Internationalen Bildhauerversammlung von Mexiko gemacht habe, zusammenzufassen. Es war jedenfalls ein Experiment, das mein gesamtes zukünftiges Schaffen kennzeichnen wird.

Die Idee von monumentalen Skulpturen hatte einen Beigeschmack der zahllosen Monumente unserer Städte sowie der pseudomonumentalen Anschauungen, die im Geist derer herrschen, die das Volk regieren und verwalten. Anderseits stehen heute die sichtbaren Künste in Beziehung mit dem Massstab und dem Raum, mit der Einfachheit und der Kühnheit. All

das sind Elemente, die auf die monumentale Ausdrucksform hinzielen. Die Tatsache, dass zahlreiche moderne Künstler nicht mit dem Begriff des Monumentalen vertraut sind, ist auf die seltene Arbeitsmöglichkeit auf diesem Gebiet zurückzuführen. Für meinen Fall, kann ich sagen, dass ich fast keine habe.

Es war mir klar, dass ein Unterschied zwischen «grossen Ausmassen» und «monumental» besteht. Ein Modell oder Entwurf hat - einmal in natürlicher Grösse ausgeführt - .nicht unbedingt die Eigenschaft, monumental zu sein. Anderseits kann eine kleine Zeichnung durchaus einen monumentalen Charakter besitzen, den das vollendete Werk auch beibehalten wird. Der monumentale

Charakter eines Werkes hängt vor allem von den Proportionen und Beziehung^ des Werkes selbst, von seinen Beziehungen zum Menschen und seiner Umwelt ab.

Seit langem habe ich die Autobahn als ein Objekt angesehen, das des künstlerischen Interesses würdig ist. Achtzehn Skulpturen in einem Abstand von einem halben bis zu zwei Kilometern einer grossen Hauptverkehrsstrasse entlang zu errichten ist ein neuartiger und interessanter Versuch, eine Strecke von etwa elf Meilen zu verschönern. Dieses Experiment war meinen Ansicht nach ohnehin früher oder später einmal zu versuchen.

Bis,jetzt waren wir nur in der Lage, die Autobahnen mit Reklameplakaten zu entstellen. Obwohl die meisten Werke 73

auf eine Weise errichtet sind, dass man anhalten und sie von nahe betrachten kann, bietet sich der häufigste Anblick dem Autofahrer, der mit einer Geschwindigkeit von 25 bis 40 Meilen vorbeifährt.

Bei verschiedenen Skulpturen, die von Natur aus mehr für Stahl oder Bronze und ähnliches geschaffen waren, aber gezwungenermassen in Beton ausgeführt werden mussten, boten sich einige Ausführungsschwierigkeiten, besonders hinsichtlich der grossen Ausmasse. Wir

mussten da eine Schwäche anerkennen: Aufgrund der seltenen öffentlichen Aufträge gibt es nur wenige Künstler, die in der Lage sind, den technischen und künstlerischen Anforderungen, die von der Kommission gestellt worden waren, zu entsprechen. Glücklicherweise kam keine weitere Autorität (Architekt, Kunde üw.) hinzu. Mathias Göritz, der Leiter dieses Projekts, war der taktvolle Vermittler zwischen den Künstlern, dem Olympischen Komitee und den Unternehmern.

Dass dreidimensionale Objekte einer Autobahn entlang mit dem Verkehr und seinen Einrichtungen eine Einheit bilden und dann als neue Elemente der Ästhetik des Verkehrs erscheinen können, diese Frage bleibt hier unbeantwortet. Aber es scheint mir, dass die Gesamtzahl der Skulpturen Mexikos zu einer neuen Ausdrucksform führen kann, die mit der modernen, motorisierten Bewegungsidee verbunden ist.

Planung» umgehen möchte, auch wenn ich mir bewusst bin, dass meine Absichten scheitern können.

In plastischer Hinsicht bietet die gleiche Strasse mit ihren dynamischen Kurven, ihren Steigungen und Hängen, ihren Einund Ausfahrten die geglücktesten und überzeugendsten Elemente; sie wurde jedoch nicht von Künstlern, sondern von Ingenieuren gebaut. Die Randskulpturen folgen aufeinander und geben den Eindruck von «Ausstellungswerken». In ihnen besteht überhaupt keine urbanistische Notwendigkeit. Wenn die Künstler von Anfang an mit den Strassenbauingenieuren zusammengearbeitet hätten, hätte man sie besser zur Geltung bringen können.

Unter Verwendung einer einheitlichen Farbe hätte man viel erreichen können.

Indem man ein ganzes Stadtviertel oder mindestens die angrenzenden Bauwerke einer Hauptverkehrsstrasse mit einer einzigen Farbe (z. B. mit einem kräftigen Blau oder Orange) bemalt, kann man die verwirrenden urid hässlichen Formen, die sich durch die Vielzahl kleiner Elemente bilden, vermeiden. Zweifellos hat die Farbe die Fähigkeit, zu vereinheitlichen und eine Gesamtheit zu bilden (sie kann mit Grünflächen oder anderen Kontrastelementen aufgelockert werden).

Bei der «Freundschaftsstrasse» hat man sich bemüht, aus der Buntheit eine Tugend zu machen. Die Skulpturen wurden mit verschiedenen lebhaften und leuchtenden Farben versehen ; man strebte jedoch nach einem harmonischen Ablauf des Ganzen. Vielleicht wäre das Ergebnis besser gewesen, wenn man allen Werken die gleiche Farbe gegeben hätte. Es kam jedoch nicht in Frage, diese ohne Farbanstrich zu belassen, da das deprimierende und interesselose Zementgrau sich nicht von der undurchsichtigen Atmosphäre dieser Region abgehoben hätte.

Aber trotz allen Unvollkommenheiten bin ich dgr Überzeugung, dass das Experiment gültig war. Es hat vor allem dazu gedient, den Künstler aus der Isolierung der Geschäftsgalerien zu lösen und eines

der dringendsten Stadtprobleme aufzugreifen : die Klarstellung der Ästhetik der Vorstadt und der Strasse.

Bei der Eröffnungssitzung des Internationalen Bildhauertreffens (17. Juni 1968) habe ich von einem Traum, den ich praktisch seit zehn Jahren geträumt hatte, gesprochen: die Neuplanung des gesamten Landes mit Hilfe von «Stationen», d. h. riesigen vertikalen Elementen, 150-200 m hohen Türmen im Abstand von ca. 150 km, den Strassen entlang von der Nordgrenze (USA) bis Guatemala und vom Atlantik (Veracruz) bis zum Pazifik (Acapulco), durch " Gebirge und Wüsten, Urwälder und Städte hindurch gebaut. Diese letzteren würde man nicht berühren. Aber in den architektonisch «leeren» Gebieten (obgleich im allgemeinen bevölkert) müssten neue Städte entstehen, deren Konstruktion mit einem gewaltigen künstlerischen Komplex beginnen wurde. Die für die Durchführung dieses Programms notwendigen Millionen von Dollars würden riesige Privatkapitalien einbringen. * In den ausgedehnten unterentwickelten Zonen würden die neuen Städte (am Anfang Hotels, Motels, Dienststationen, Schulen) um künstlerische Bauwerke aus dem Boden wachsen. Der derzeitig auf die Hauptstadt sowie Acapulco konzentrierte Fremdenverkehr könnte sich somit auf das gesamte Land ausdehnen. Mexiko würde sich mit einem Schlag in ein Land der Kunstrenaissance des 20. Jahrhunderts, das mit dem schönen Italien der vergangenen Jahrhiindérte vergleichbar ist, verwandeln. Die Kontrolle der «künstlerischen Planung» dieser Stationen würde in jedem Einzelfall von einer zahlreichen, aber streng ausgewählten Gruppe, die von Architekten, Künstlern, Ingenieuren, Soziologen, Ökonomen usw.

gebildet wird, übernommen. Diese würden sich nicht nur mit den grossen Bauwerken befassen, sondern ebenfalls mit der zusammenhängenden Entwicklüng der Stadtausdehnung sowie auch mit dem Unterhalt der Strassen, die die Stationen miteinander verbinden.

Mathias Goeritz Selbstkritische Stellungnahme zum Projekt der «Freundschaftsstrasse» Die Bedeutung der «Freundschaftsstrasse» beruht vor allem darin, dass es nicht möglich war, auf die Aufgabestellung eine befriedigende Lösung zu finden. Das Originalprojekt, das darin bestand, die monumentalen Skulpturen auf der Autobahn zwischen der Stadt und den Vororten zu erstellen, konnte aus verschiedenen Gründen nicht ausgeführt werden. Wenn es möglich gewesen wäre, die Werke in der Stadt selbst zu erstellen, hätten sich die Bildhauer der grossen und schwierigen, aber sehr interessanten Aufgabe, ihre Werke im Zusammenklang mit den schon bestehenden Bauwerken zu schaffen, gegenüber gesehen, d. h. sie der Allgemeinatmosphäre zur Verschönerung zu «integrieren». Zweifellos wäre auf diese Art alles zehnfach teurer geworden. Die Künstler wären mehrere Male in das Land gekommen, und jeder hätte sich eine Arbeitsgruppe mexikanischer Architekten und Ingenieure gebildet. Es wären viel gewaltigere Monumente notwendig gewesen. Grosse Schwierigkeiten beim Erhalt der Baugenehmigung wären aufgetreten ; es wäre auch schwierig gewesen, . Künstler zu finden, die sich freiwillig den von den Fabriken, Kaufhäusern, Wolkenkratzern, Wohnhäusern, Gittern, Mauern oder Hütten gestellten Bedingungen unterstellt hätten und gleichzeitig fähig gewesen wären, der Strasse ein harmonisches und einheitliches Aussehen zu verleihen.

4Äles was mit dem Gedanken verbunden war, die Freundschaft zwischen den Ländern auszudrücken, war unausführbar.

So hat sich das Projekt auf eine mehr oder weniger geglückte Dekoration eines Abschnittes des praktisch verlassenen «peripherischen Ringes» beschränkt. Einige Künstler haben Skulpturen geschaffen, ohne sich die Frage zu stellen, wie diese von vorbeirasenden Autos aus betrachtet aussehen würden, und auch ohne an das Spiel von Licht und Schatten zu denken.

Diese Werke wären vielleicht in einem öffentlichen Park' besser am Platze gewesen. Das heisst nicht, dass ich das Problem der «künstlerischen Vorstadt74

$ Im Mittelpunkt des Schnittpunktes der beiden grossen Strassen wäre die Hauptstadt, in welcher der «peripherische Ring» der Internationalen Freundschaft nach und nach dem Arbeitsablauf folgen ’

,

würde, bis er schliesslich zusammenwachsen wird.

Die Tatsache, dass ich diesen Traum immer beibehalte, macht mir Hoffnung, dass die Welt der Lösung dieses Problems

oder dem Treffen eines einheitlichen Geistes näher ist, und dies trotz dem Pessimismus, der mich jeden Morgen beim Öffnen, der Zeitung überfäl't.

Fall den Vorrang. Gleich anfangs hoben sich die Zeichnungen des jungen New Yorker Künstlers Lance Wyman, Chef der graphischen Zeichnungsabteilung, ab, der eine umfassende Studienserie schuf, aus der schliesslich das Signet von Mexiko. 68 sowie das Hauptplakat hervorging. Diese dienten bei den verschiedensten Zwecken sowie bei der Stadtdekoration als Ausgangspunkte.

Der mexikanische Pavillon an der Mailänder Triennale war ein Beispiel für die Einigung räumlicher und graphischer Begriffe.

Die Ausarbeitung dieser Zeichnungen zielte darauf ab, bei den Olympischen Spielen von Mexiko ein spezifisches Schausystem zu schaffen. Wyman hat auch die Briefmarken entworfen zweifelsohne die besten, dies bisher in Südamerika herausgegeben wurden.

Bei all diesen Arbeiten lassen sich die Experimente moderner Kunsttendenzen feststellen (Op, Pop), die hier eine

besonders lobenswerte Anwendung finden.

Auf seiten der graphischen Zeichnung zeichnet sich ein besonderes Interesse an der Schaffung neueröInformations- und städtischer Kennzeichnungssrysteme usw.

ab. Schliesslich wurde der Mitarbeiter Wymans, der Engländer Peter Murdoch, eingeladen, der Gruppe beizutreten.

"Murdoch schlug verschiedene Elemente vor, entwarf eine internationale industrielle Zeichnung, während seine Gattin, Julia Murdoch, sich anderen beim Entwurf von Andenken und Uniformen angeschlossen hat.

Es müssten noch viele Mitglieder der von Ramirez Vasquez ausgewählten und geleiteten Gruppe genannt werden, die auf verschiedene Weise an der Aufgabe mitgewirkt haben, das sportliche Ereignis in ein prächtiges Fest und einen glänzenden Erfolg der modernen Zeichnung zu verwandeln.

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Ida Rodriguez Prampolini Die Arbeitsgruppe des Architekten Pedra Ramirez Vasquez : Die graphische und industrielle Zeichnung anlässlich der XIX. Olympischen Spiele 1966 bildete der Architekt Pedro Ramirez Vasquez, Präsident des Organisationskomitees der XIX. Olympischen Spiele, eine Zeichnergruppe, um dem sportlichen Ereignis einen besonderen Rahmen - in seinem publizistischen wie auch dekorativen Sinn - zu geben. Unter seiner persönlichen Leitung taten sich in der Stadt Mexiko mehrere junge Talente zusammen, die beauftragt waren, diesen Spielen sowohl einen zusammenhängenden als auch sichtbar wirkungsvollen Charakter zu geben.

Ramirez Vasquez ernannte den Bildhauer Mathias Goeritz zum künstlerischen Mitarbeiter. Die Koordination der verschiedenen relativen Zeichnungs- und Anwendungstätigkeiten bei der Stadtdekoration wurde dem Architekten Eduardo Terrazas anvertraut, während der Architekt Villazon zum Abteilungschef von Diserto de Productos (Product Design) ernannt wurde. Jedoch hat die graphische Zeichnung im vorliegenden

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