Urbanisierung von Aaiter9 Flandern (Belgien)

Robert Krier

Diese Arbeit, die zu einem Städtebauwettbewerb der Internationalen Genter Messe eingereicht wurde, behandelt ein Problem, das zum Angstgespenst nicht nur der Mittel- und Großstädte sondern auch in zunehmendem Maße der Kleinstädte und Dörfer geworden ist.

Aaiter erwartet in den nächsten zwanzig Jahren eine Vervierfachung seiner Einwohnerzahl. Das klingt nach „Alarmstufe 1“ und ist es in der Tat. Daß es bis zur Alarmstufe kam, ist ein Zeichen dafür, daß irgend etwas in der Strukturplanung des Landes nicht stimmte, daß also die öffentlichen Instanzen diesem Wachstumsphenomen völlig unvorbereitet und tatenlos gegenüberstanden.

Nun, was ist in solchen Dringlichkeitsfällen zu tun? Am Beispiel Aaiter.

A) Analyse der Altbausubstanz und ihrer

Struktur.

B) Untersuchung der Bezugsmöglichkeiten der eventuellen Neubaukomplexe.

C) Verkehrsplanung unter Berücksichtigung des Wachstumsprozesses, d.h. die Straßen und Fußgängerwege sollen so geplant werden, daß sie im Endstadium voll zum Tragen kommen, und nicht von Fall zu Fall eine Verkehrslösung zur anderen hinzugeflickt wird.

Zu a)

Alt-Aalter ist eine typische „Bandanlage“.

Die Häuser reihen sich hauptsächlich an einer Straße auf mit einigen Querarmen.

Wo sich öffentliche Gebäude befinden wie Kirche, Rathaus, Schule, Kloster, Bahnhof... weitet sich die Straße auf mit einem

entsprechenden allgemein zugänglichen Areal. All diese Gegebenheiten bedeuten wichtige Akzente für eine spätere Erweiterung.

Häufigster Haustyp ist das Einfamilienhaus. Hier drängt sich die Frage auf, ob man es sich erlauben konnte, diesen Maßstab zu brechen und eine Hochhausstruktur an die Flanke des harmonisch gewachsenen Altbaubestandes aufzureihen, die sich nie mit demselben hätte integrieren können. Der Schwerpunkt der Baumasse würde sich unweigerlich an den Rand des Stadtkernes verlagern, was eine Gleichgewichtsstörung im Städtebaugewebe mit sich ziehen würde, genausogut vom Gesichtspunkt der Architekturkomposition (wenn man diesen Ausspruch wagen darf), wie auch vom Gesichtspunkt der Orientation des Fußgänger und Fährverkehrs.

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Zu c)

Ich bin überzeugt, daß sich Thesen finden lassen, die die gerade aufgezählten in Zweifel setzen könnten, doch stellte ich mir ganz einfach das Thema, dieses Problem im Maßstab der Altbebauung zu lösen und zwar einzig und allein mit niedrigen Bauten, die im höchsten Maße in der Lage waren, mit dem Altbestand aufs Engste und Unaufdringlichste zu verwachsen.

Um nun den Vorteil einer Hochhausbebauung, nämlich die hohe Wohndichte, etwas wett zu machen, mußte eine Siedlungsform gefunden werden, die eine möglichst hohe Wohndichte und eine entsprechend ökonomische Ausnutzung des Geländes gewährleisten konnte.

Das dichte Wohnen ist nicht nur als eine Reaktion auf die schlechten Erfahrungen der sogenannt „offenen“ Siedlungstechnik zu verstehen, oder als der notwendige Zoll zu dem allgemeinen Städtebautrend der letzten Jahre, oder gar als eine formal architektonische Masche, sie ist ein unumgängliches Postulat von all den Instanzen oder Einzelpersonen, die diese Häuser erstellen und verkaufen, respektiv vermieten, von denjenigen die sie kaufen, bewohnen oder weitervermieten. Postulate von all denjenigen, die die erforderlichen öffentlichen Einrichtungen benutzen und von den Behörden, die dieselben zu unterhalten und zu pflegen haben. Kurz, die Häuser müssen billig sein, die öffentlichen Einrichtungen optimal, als zur Zeit unumgänglicher Stadtkomfort.

Billig sollten die Häuser werden durch die Massenherstellung, die Grundstücke hingegen durch ihre Kleinheit. Das hört man nicht gern, ist aber eine notwendige Konsequenz. Diese Kleingärten von 100200 qm sind umso wertvoller, da sie von den Nachbarn nicht eingesehen werden können. Der Gartenanteil kann natürlich ohne weiteres vergrößert werden für solche die es sich leisten können.

Dieser Siedlungstyp, der nicht nur die Reihenhäuser seitlich aneinanderstoßen läßt, sondern noch dieselben mit den gegenüberliegenden Zeilen im Obergeschoß verbindet, dürfte die dichteste Bebauungsmöglichkeit mit Einfamilienhäusern darstellen, die zu erzielen ist. Was darüber hinausgeht, läuft die Gefahr, unerträglich zu werden. Das Verhältnis von Geschossfläche zur Grundstückfläche ist immerhin gegenüber den in Deutschland geltenden Bestimmungen verdoppelt (G.F.Z. = 0,8 bis 1,0). Da die Konstruktion der Häuser auf eine vielfältige Anpassungsfähigkeit hin geplant ist, kann ohne weiteres aufgestockt und in der Tiefe beigebaut werden.

Das Konzept für eine klare und reibungslose Verkehrsplanung für Fußgänger und Fahrzeuge präzisierte sich parallel mit der Ausarbeitung des Siedlungssystems. Das leistungsfähigste Straßensystem ist laut Untersuchungen in den USA das Netzoder Rastersystem und zwar genau so gut in den Strecken, wie in den Knotenpunkten.

(Fischer und Boukidis, Traffik Quaterly, Jan. 63). Es wurde hier gemischt mit Stichstraßen zu den einzelnen Garagen.

Nach Untersuchungen der Durchbruchmöglichkeiten der Altbaustruktur ergab sich ein Rastermaß von 200-250 X 400 m., das sich für Wohnquartiere gut eignete.

Es lassen sich folgende Leitmotive zu dieser Städtebaustudie ableiten: 1. Schaffung von Wohnvierteln mit direkter Beziehung zur vorhandenen Bebauung und Anpassung an deren Struktur.

2. Trennung von Fußgänger- und Fährverkehr ohne dieselben zu weit auseinanderzulegen.

3. Schaffung eines kompakten Einfamilienhaussiedlungssystems mit hoher Wohndichte.

4. Sämtliche Häuser sind komplett industriell vorgefertigt und nach einem anpassungsfähigen Prinzip konzipiert.

1. Wohnviertel, Strukturplan Mehr als bei irgendeiner anderen Entscheidung spielen bei der Festlegung der Grundstruktur sämtliche Faktoren mit hinein, die zum größten Teil schon angeschnitten wurden. Gesucht wurde eine Lösung mit klar gegliederten Quartieren, mit eindeutigen öffentlichen und privaten Bereichen. Die öffentlichen Fußwege, Spielplätze, Grünflächen und Schulgelände sind so bemessen, wie sie voraussichtlich von einem Städtchen wie Aalter finanziert und ohne großen Aufwand gepflegt werden können.

Die bereits geplante westliche Umgehungsstraße gab praktisch den Anlaß eine ebensolche nach Osten hin anzulegen und so eine Begrenzung für das Baugebiet zu schaffen. Zwischen den beiden parallelen Straßen wurde ein Netz von Querverbindungen geschaffen im Abstand von 200250 m. und zwar an den Stellen, wo die Altbebauung noch Lücken aufwies, so daß diese ohne größere Durchbrechungen realiert werden könnten.

2. Trennung von Fußgänger- und Fährverkehr.

Die von Städtebauern so sehr propagierte Trennung von Autoverkehr und Fußgängerwegen hat in sehr vielen Fällen unglückliche Lösungen hervorgerufen, die zur Isolierung des einen respektiv des anderen führten. Reine Fußgängerwege sind nur durch unmittelbare Nähe des Fährverkehrs gerechtfertigt. Diese Einsicht wurde hier konsequent durchexerziert. Jedes Haus hat zwei Zugänge, einen von der Fahrstraße, von der Eigentumsgarage her, den anderen von der Fußgängerstraße. Das Fußgängernetz ist mit der alten Hauptstraße direkt verbunden.

Diese soll nur halbtags für die Belieferung der Geschäfte freigegeben werden.

3.

Es wird eine Folge von Plätzen, Straßen und engeren Verteilerwegen von einer kontinuierlichen Bebauung umschloßen, die ihre Hauptorientierung quartierweise senkrecht zur Altbebauung hat. In der alten Hauptstraße wird sich auch weiterhin das Einkaufszentrum befinden. Wegen der geringen Entfernungen ist das Schaffen von Nebenzentren nicht erforderlich.

Die einzelnen Bauabschnitte werden am günstigsten Wohnviertelweise vorgenommen. Auch diese können in einzelnen Stufen von der Altbebauung ausgehend realisiert werden.

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4. Bautechnik Es handelt sich um eine Stahlskelettbauweise, deren Decken aus einem leichten Flächentragwerk bestehen. Dieses Konstruktionskonzept geht auf Studien von Frei Otto zurück. Der erste Schritt in dieser Richtung sind die Terrassenbauten unter dem deutschen Pavillon in Montreal.

Die einzelnen Balken, (425 mm Konstruktionshöhe) die in einem Achsenabstand von 1250 mm mittels Knotenpunkten miteinander verbunden sind, bestehen aus kaltverfestigtem Bandstahl mit kreisförmigen Stegaussparungen. Jeder Balken besteht aus zwei Blechteilen, die durch Unterpulververschweißung miteinander verbunden sind. Die Balkenenden sind gefaltet und punktverschweißt und werden mittels eines Vierkantstutzens miteinander verschraubt.

Stützen können theoretisch an jedem Knotenpunkt aufgestellt werden. Es wurde hier der zweckmäßige Stützenabstand von 5 X 5m. gewählt. Über weitere technische Details geben die Konstruktionszeichnungen Auskunft. Sämtliche Außen- und Innenpanels werden schon in ähnlicher Weise von mehreren Industrieunternehmen gefertigt. Die Kunststoffbeschichtung der Außenteile soll im wesentlichen in weiß sein. Die Beschichtung der Innenwände ist handwarm.

Die angewandten Montier- und Verfugungsprinzipien stützen sich besonders auf Erfahrungen der Firma Cimt Jean Prouvé, Paris und der Firma Hoesch, Hamm, Deutschland.

Fußboden und Deckenelemente sind ganz vorgefertigt und federnd in die Konstruktion eingehängt. Sämtliche Innenwände sind montier- und demontierbar, ohne daß andere Bauteile beschädigt werden.

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